Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

veranlaßt Ausgrabungen, stellt Bildsäulen. Urnen und Sarkophage auf, thut
mancherlei Verdienstliches für Philologie und Alterthumskunde, Die übrigen
Fächer werden um so stiefmütterlicher behandelt. Die Universitäten und
Schulen stehen ganz unter der Hand von Lischöfen und geistlichen Congrega-
tivnen, von denen jeder Lehrer geprüft und bestätigt werden muß. Der höhere
Unterricht ist meist von Jesuiten geleitet, welche die Jugend mit lateinischer
Grammatik und später mit Scholastik bearbeiten. Medicin und Rechtskunde
stehen seit der Revolution, wo die ausgezeichnetsten Professoren als Liberale
das Land meiden mußten, auf der Stufe der Mittelmäßigkeit. Die Früchte
der Akademien schmecken mit Ausnahme derer, welche die musikalischen liefern,
durchgehends nach dem Treibhaus. Einen jungen Künstler oder Gelehrten
von bedeutendem Ruf erzogen zu haben, kaun sich die Regierung Pius des
Neunten so wenig rühmen wie die seines Vorgängers auf dein heiligen Stuhl.
Die Hauptsorgen des Papstes auf dem Gebiet des Unterrichts sind den An-
stalten gewidmet, welche junge Leute aus fremden Ländern zu Priester" vor¬
bereiten. Jeder dieser künftigen Apostel des Katholicismus steht zu dem hei¬
ligen Vater in persönlicher Beziehung, dieser wählt seine Lehrer, seine Bücher,
hört seine Predigten, liest seine Schriften und gibt ihm beim Abschied Worte
der Ermahnung und seinen Segen mit. Alles andere muß vor diesen Pflanz¬
schulen des Einflusses Roms im Auslande und ähnlichen vorzugsweise auf
die Heranbildung von Geistlichen berechneten Instituten zurückstehen. Mit
der Volkserziehung ist es noch ganz so kläglich bestellt, wie vor hundert Jahren.
Die Elementarschulen, auf dem Lande selten, so daß Hunderttausende weder
lesen noch schreiben können, lehren nicht einmal die einfachsten Gegenstände
des Unterrichts vollständig. Die Mittelschulen sind so übel beschaffen, daß
jeder, der seinen Kindern einige höhere Bildung zu geben wünscht, sie ins
Ausland, nach Toscana, Sardinien oder der Lombardei zu schicken genöthigt
ist. Die Gelehrtenschulen, deren es eine erste und eine zweite Classe gibt,
sind vorwiegend zur Erziehung von Theologen bestimmt.

Wie elend es um das päpstliche Militär steht, ist so bekannt, daß der
Name Schlüsselsoldat in Italien fast gleichbedeutend mit Hasenfuß und Meuterer
ist. Die Kurie ist zu schwach, als daß sie an die Einführung der allenthalben
verhaßten Conscription denken könnte. Da der Kriegerstand unter der Priester-
regierung immer mit Geringschätzung behandelt wurde, fehlen die zusammen¬
haltenden Elemente der Ofsiziersehre; da bei jener Laune und Willkür mehr
walten als das Gesetz, mangelt allenthalben der Gehorsam. Ein östreichischer
Offizier, der eine Zeit lang in päpstlichen Diensten stand und dann an der
türkischen Grenze in Garnison lag. vergleicht die römischen Offiziere mit denen
des Sultans und findet eine auffallende Aehnlichkeit. Die Soldaten werden
unter der Hefe der Bevölkerung angeworben, übel behandelt, und wenn sie


veranlaßt Ausgrabungen, stellt Bildsäulen. Urnen und Sarkophage auf, thut
mancherlei Verdienstliches für Philologie und Alterthumskunde, Die übrigen
Fächer werden um so stiefmütterlicher behandelt. Die Universitäten und
Schulen stehen ganz unter der Hand von Lischöfen und geistlichen Congrega-
tivnen, von denen jeder Lehrer geprüft und bestätigt werden muß. Der höhere
Unterricht ist meist von Jesuiten geleitet, welche die Jugend mit lateinischer
Grammatik und später mit Scholastik bearbeiten. Medicin und Rechtskunde
stehen seit der Revolution, wo die ausgezeichnetsten Professoren als Liberale
das Land meiden mußten, auf der Stufe der Mittelmäßigkeit. Die Früchte
der Akademien schmecken mit Ausnahme derer, welche die musikalischen liefern,
durchgehends nach dem Treibhaus. Einen jungen Künstler oder Gelehrten
von bedeutendem Ruf erzogen zu haben, kaun sich die Regierung Pius des
Neunten so wenig rühmen wie die seines Vorgängers auf dein heiligen Stuhl.
Die Hauptsorgen des Papstes auf dem Gebiet des Unterrichts sind den An-
stalten gewidmet, welche junge Leute aus fremden Ländern zu Priester» vor¬
bereiten. Jeder dieser künftigen Apostel des Katholicismus steht zu dem hei¬
ligen Vater in persönlicher Beziehung, dieser wählt seine Lehrer, seine Bücher,
hört seine Predigten, liest seine Schriften und gibt ihm beim Abschied Worte
der Ermahnung und seinen Segen mit. Alles andere muß vor diesen Pflanz¬
schulen des Einflusses Roms im Auslande und ähnlichen vorzugsweise auf
die Heranbildung von Geistlichen berechneten Instituten zurückstehen. Mit
der Volkserziehung ist es noch ganz so kläglich bestellt, wie vor hundert Jahren.
Die Elementarschulen, auf dem Lande selten, so daß Hunderttausende weder
lesen noch schreiben können, lehren nicht einmal die einfachsten Gegenstände
des Unterrichts vollständig. Die Mittelschulen sind so übel beschaffen, daß
jeder, der seinen Kindern einige höhere Bildung zu geben wünscht, sie ins
Ausland, nach Toscana, Sardinien oder der Lombardei zu schicken genöthigt
ist. Die Gelehrtenschulen, deren es eine erste und eine zweite Classe gibt,
sind vorwiegend zur Erziehung von Theologen bestimmt.

Wie elend es um das päpstliche Militär steht, ist so bekannt, daß der
Name Schlüsselsoldat in Italien fast gleichbedeutend mit Hasenfuß und Meuterer
ist. Die Kurie ist zu schwach, als daß sie an die Einführung der allenthalben
verhaßten Conscription denken könnte. Da der Kriegerstand unter der Priester-
regierung immer mit Geringschätzung behandelt wurde, fehlen die zusammen¬
haltenden Elemente der Ofsiziersehre; da bei jener Laune und Willkür mehr
walten als das Gesetz, mangelt allenthalben der Gehorsam. Ein östreichischer
Offizier, der eine Zeit lang in päpstlichen Diensten stand und dann an der
türkischen Grenze in Garnison lag. vergleicht die römischen Offiziere mit denen
des Sultans und findet eine auffallende Aehnlichkeit. Die Soldaten werden
unter der Hefe der Bevölkerung angeworben, übel behandelt, und wenn sie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109077"/>
          <p xml:id="ID_1009" prev="#ID_1008"> veranlaßt Ausgrabungen, stellt Bildsäulen. Urnen und Sarkophage auf, thut<lb/>
mancherlei Verdienstliches für Philologie und Alterthumskunde, Die übrigen<lb/>
Fächer werden um so stiefmütterlicher behandelt. Die Universitäten und<lb/>
Schulen stehen ganz unter der Hand von Lischöfen und geistlichen Congrega-<lb/>
tivnen, von denen jeder Lehrer geprüft und bestätigt werden muß. Der höhere<lb/>
Unterricht ist meist von Jesuiten geleitet, welche die Jugend mit lateinischer<lb/>
Grammatik und später mit Scholastik bearbeiten. Medicin und Rechtskunde<lb/>
stehen seit der Revolution, wo die ausgezeichnetsten Professoren als Liberale<lb/>
das Land meiden mußten, auf der Stufe der Mittelmäßigkeit. Die Früchte<lb/>
der Akademien schmecken mit Ausnahme derer, welche die musikalischen liefern,<lb/>
durchgehends nach dem Treibhaus. Einen jungen Künstler oder Gelehrten<lb/>
von bedeutendem Ruf erzogen zu haben, kaun sich die Regierung Pius des<lb/>
Neunten so wenig rühmen wie die seines Vorgängers auf dein heiligen Stuhl.<lb/>
Die Hauptsorgen des Papstes auf dem Gebiet des Unterrichts sind den An-<lb/>
stalten gewidmet, welche junge Leute aus fremden Ländern zu Priester» vor¬<lb/>
bereiten. Jeder dieser künftigen Apostel des Katholicismus steht zu dem hei¬<lb/>
ligen Vater in persönlicher Beziehung, dieser wählt seine Lehrer, seine Bücher,<lb/>
hört seine Predigten, liest seine Schriften und gibt ihm beim Abschied Worte<lb/>
der Ermahnung und seinen Segen mit. Alles andere muß vor diesen Pflanz¬<lb/>
schulen des Einflusses Roms im Auslande und ähnlichen vorzugsweise auf<lb/>
die Heranbildung von Geistlichen berechneten Instituten zurückstehen. Mit<lb/>
der Volkserziehung ist es noch ganz so kläglich bestellt, wie vor hundert Jahren.<lb/>
Die Elementarschulen, auf dem Lande selten, so daß Hunderttausende weder<lb/>
lesen noch schreiben können, lehren nicht einmal die einfachsten Gegenstände<lb/>
des Unterrichts vollständig. Die Mittelschulen sind so übel beschaffen, daß<lb/>
jeder, der seinen Kindern einige höhere Bildung zu geben wünscht, sie ins<lb/>
Ausland, nach Toscana, Sardinien oder der Lombardei zu schicken genöthigt<lb/>
ist. Die Gelehrtenschulen, deren es eine erste und eine zweite Classe gibt,<lb/>
sind vorwiegend zur Erziehung von Theologen bestimmt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1010" next="#ID_1011"> Wie elend es um das päpstliche Militär steht, ist so bekannt, daß der<lb/>
Name Schlüsselsoldat in Italien fast gleichbedeutend mit Hasenfuß und Meuterer<lb/>
ist. Die Kurie ist zu schwach, als daß sie an die Einführung der allenthalben<lb/>
verhaßten Conscription denken könnte. Da der Kriegerstand unter der Priester-<lb/>
regierung immer mit Geringschätzung behandelt wurde, fehlen die zusammen¬<lb/>
haltenden Elemente der Ofsiziersehre; da bei jener Laune und Willkür mehr<lb/>
walten als das Gesetz, mangelt allenthalben der Gehorsam. Ein östreichischer<lb/>
Offizier, der eine Zeit lang in päpstlichen Diensten stand und dann an der<lb/>
türkischen Grenze in Garnison lag. vergleicht die römischen Offiziere mit denen<lb/>
des Sultans und findet eine auffallende Aehnlichkeit. Die Soldaten werden<lb/>
unter der Hefe der Bevölkerung angeworben, übel behandelt, und wenn sie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0355] veranlaßt Ausgrabungen, stellt Bildsäulen. Urnen und Sarkophage auf, thut mancherlei Verdienstliches für Philologie und Alterthumskunde, Die übrigen Fächer werden um so stiefmütterlicher behandelt. Die Universitäten und Schulen stehen ganz unter der Hand von Lischöfen und geistlichen Congrega- tivnen, von denen jeder Lehrer geprüft und bestätigt werden muß. Der höhere Unterricht ist meist von Jesuiten geleitet, welche die Jugend mit lateinischer Grammatik und später mit Scholastik bearbeiten. Medicin und Rechtskunde stehen seit der Revolution, wo die ausgezeichnetsten Professoren als Liberale das Land meiden mußten, auf der Stufe der Mittelmäßigkeit. Die Früchte der Akademien schmecken mit Ausnahme derer, welche die musikalischen liefern, durchgehends nach dem Treibhaus. Einen jungen Künstler oder Gelehrten von bedeutendem Ruf erzogen zu haben, kaun sich die Regierung Pius des Neunten so wenig rühmen wie die seines Vorgängers auf dein heiligen Stuhl. Die Hauptsorgen des Papstes auf dem Gebiet des Unterrichts sind den An- stalten gewidmet, welche junge Leute aus fremden Ländern zu Priester» vor¬ bereiten. Jeder dieser künftigen Apostel des Katholicismus steht zu dem hei¬ ligen Vater in persönlicher Beziehung, dieser wählt seine Lehrer, seine Bücher, hört seine Predigten, liest seine Schriften und gibt ihm beim Abschied Worte der Ermahnung und seinen Segen mit. Alles andere muß vor diesen Pflanz¬ schulen des Einflusses Roms im Auslande und ähnlichen vorzugsweise auf die Heranbildung von Geistlichen berechneten Instituten zurückstehen. Mit der Volkserziehung ist es noch ganz so kläglich bestellt, wie vor hundert Jahren. Die Elementarschulen, auf dem Lande selten, so daß Hunderttausende weder lesen noch schreiben können, lehren nicht einmal die einfachsten Gegenstände des Unterrichts vollständig. Die Mittelschulen sind so übel beschaffen, daß jeder, der seinen Kindern einige höhere Bildung zu geben wünscht, sie ins Ausland, nach Toscana, Sardinien oder der Lombardei zu schicken genöthigt ist. Die Gelehrtenschulen, deren es eine erste und eine zweite Classe gibt, sind vorwiegend zur Erziehung von Theologen bestimmt. Wie elend es um das päpstliche Militär steht, ist so bekannt, daß der Name Schlüsselsoldat in Italien fast gleichbedeutend mit Hasenfuß und Meuterer ist. Die Kurie ist zu schwach, als daß sie an die Einführung der allenthalben verhaßten Conscription denken könnte. Da der Kriegerstand unter der Priester- regierung immer mit Geringschätzung behandelt wurde, fehlen die zusammen¬ haltenden Elemente der Ofsiziersehre; da bei jener Laune und Willkür mehr walten als das Gesetz, mangelt allenthalben der Gehorsam. Ein östreichischer Offizier, der eine Zeit lang in päpstlichen Diensten stand und dann an der türkischen Grenze in Garnison lag. vergleicht die römischen Offiziere mit denen des Sultans und findet eine auffallende Aehnlichkeit. Die Soldaten werden unter der Hefe der Bevölkerung angeworben, übel behandelt, und wenn sie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/355
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/355>, abgerufen am 23.07.2024.