Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

in Paris, welche 50 Mill. Lire betrug. Jedes Budget versprach einen Ueber¬
schuß der Einnahmen über die Ausgaben, und stets wurde beträchtlich mehr
verausgabt als eingenommen. Noch im Jahre 1858 belief sich das Deficit auf
12 Millionen Lire. Dem Lande kommt von den Steuern, die sich unter Pius
dem Neunten in einigen Districten fast verdoppelt haben, wenig zu Gute.
25 Millionen verschlingen die Jntressen der öffentlichen Schuld. 10 braucht
das Heer, 2 die Justiz, wovon die Hälfte in der Hauptstadt bleibt, deren
Gerichte besonders kostspielig, weil größtentheils mit Prälaten besetzt, sind.
Anderthalb Millionen erfordert die Erhaltung der milden, d. h. im Wesent¬
lichen zur Ermunterung des Bettels eingerichteten Anstalten. Der öffentliche
Unterricht ist mit 400,000 Lire bedacht, eine Summe, die etwa dem gleich¬
kommen wird, was ein norddeutscher Kleinstaat vom zwanzigsten Theil der
Größe des Erdtheils des heiligen Petrus für seine Schulen verwendet.

Unser Römer äußert ferner: "Wir beklagen uns nicht darüber, daß wir
Abgaben entrichten müssen; denn die gibt es allenthalben. Allerdings aber
möchten wir unser Geld auf unsre Angelegenheiten verwendet sehen. Die
Basiliken, die Kirchen und Klöster, welche man auf unsere Kosten baut und
unterhält, freuen uns als Katholiken und betrüben uns als Bürger; denn
diese Bauwerke sind ja nur eine höchst unvollständige Entschädigung für die
Eisenbahnen, die Landstraßen, die regulirten Flüsse, die Dämme gegen Über¬
schwemmungen, welche uns mangeln. Glaube, Liebe, Hoffnung muntert man
mehr auf als Landwirthschaft, Handel und Gewerbe."

Auch hierin ist nichts übertrieben. Wenn es sich auch begreift, daß in einem
Kirchenstaat Manches sein muß wie geschildert, so gibt es doch unzählige Dinge, die
selbst in einem Kirchenstaat unvergleichlich besser sein könnten. Die sonst von der
Reaction geübte Politik, das Mißvergnügen über die Vertagung freisinniger
Wünsche durch Begünstigung der materiellen Interessen zu beschwichtigen, wird
von der päpstlichen Regierung nicht beliebt. Man fürchtet den Fortschritt selbst
auf diesem Gebiet, und wo dies nicht der Fall ist. hat man' mindestens keinen
Sinn, kein ernstliches Antreffe für ihn. Als der jetzige Papst den Thron be¬
stieg, stellten die Römer aus seinem weltlichen Namen ein Anagramm zusam¬
men, welches dem Lande Eisenbahnen verhieß. Es hat sich so wenig erfüllt, daß,
abgesehen von der durch die Franzosen zu Militärzwecken erbauten Bahn zwischen
Rom und Civita Vecchia, der Kirchenstaat nur den fünf Stunden langen
Schienenweg zwischen Rom und Frascati besitzt. Der Zustand der Land¬
straßen ist so kläglich, daß Briefe aus Wien Bologna um volle vierund-
zwanzig Stunden eher erreichen als Briefe aus Rom. Die zunächst um die
Hauptstadt gelegenen Ortschaften sind zwar mit dieser, nicht aber untereinan¬
der durch fahrbare Straßen verbunden. Will man zu Wagen nach einem
leitwärts liegenden Orte gehen, so muß man den Umweg über Rom nehmen.


in Paris, welche 50 Mill. Lire betrug. Jedes Budget versprach einen Ueber¬
schuß der Einnahmen über die Ausgaben, und stets wurde beträchtlich mehr
verausgabt als eingenommen. Noch im Jahre 1858 belief sich das Deficit auf
12 Millionen Lire. Dem Lande kommt von den Steuern, die sich unter Pius
dem Neunten in einigen Districten fast verdoppelt haben, wenig zu Gute.
25 Millionen verschlingen die Jntressen der öffentlichen Schuld. 10 braucht
das Heer, 2 die Justiz, wovon die Hälfte in der Hauptstadt bleibt, deren
Gerichte besonders kostspielig, weil größtentheils mit Prälaten besetzt, sind.
Anderthalb Millionen erfordert die Erhaltung der milden, d. h. im Wesent¬
lichen zur Ermunterung des Bettels eingerichteten Anstalten. Der öffentliche
Unterricht ist mit 400,000 Lire bedacht, eine Summe, die etwa dem gleich¬
kommen wird, was ein norddeutscher Kleinstaat vom zwanzigsten Theil der
Größe des Erdtheils des heiligen Petrus für seine Schulen verwendet.

Unser Römer äußert ferner: „Wir beklagen uns nicht darüber, daß wir
Abgaben entrichten müssen; denn die gibt es allenthalben. Allerdings aber
möchten wir unser Geld auf unsre Angelegenheiten verwendet sehen. Die
Basiliken, die Kirchen und Klöster, welche man auf unsere Kosten baut und
unterhält, freuen uns als Katholiken und betrüben uns als Bürger; denn
diese Bauwerke sind ja nur eine höchst unvollständige Entschädigung für die
Eisenbahnen, die Landstraßen, die regulirten Flüsse, die Dämme gegen Über¬
schwemmungen, welche uns mangeln. Glaube, Liebe, Hoffnung muntert man
mehr auf als Landwirthschaft, Handel und Gewerbe."

Auch hierin ist nichts übertrieben. Wenn es sich auch begreift, daß in einem
Kirchenstaat Manches sein muß wie geschildert, so gibt es doch unzählige Dinge, die
selbst in einem Kirchenstaat unvergleichlich besser sein könnten. Die sonst von der
Reaction geübte Politik, das Mißvergnügen über die Vertagung freisinniger
Wünsche durch Begünstigung der materiellen Interessen zu beschwichtigen, wird
von der päpstlichen Regierung nicht beliebt. Man fürchtet den Fortschritt selbst
auf diesem Gebiet, und wo dies nicht der Fall ist. hat man' mindestens keinen
Sinn, kein ernstliches Antreffe für ihn. Als der jetzige Papst den Thron be¬
stieg, stellten die Römer aus seinem weltlichen Namen ein Anagramm zusam¬
men, welches dem Lande Eisenbahnen verhieß. Es hat sich so wenig erfüllt, daß,
abgesehen von der durch die Franzosen zu Militärzwecken erbauten Bahn zwischen
Rom und Civita Vecchia, der Kirchenstaat nur den fünf Stunden langen
Schienenweg zwischen Rom und Frascati besitzt. Der Zustand der Land¬
straßen ist so kläglich, daß Briefe aus Wien Bologna um volle vierund-
zwanzig Stunden eher erreichen als Briefe aus Rom. Die zunächst um die
Hauptstadt gelegenen Ortschaften sind zwar mit dieser, nicht aber untereinan¬
der durch fahrbare Straßen verbunden. Will man zu Wagen nach einem
leitwärts liegenden Orte gehen, so muß man den Umweg über Rom nehmen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0353" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109075"/>
          <p xml:id="ID_1004" prev="#ID_1003"> in Paris, welche 50 Mill. Lire betrug. Jedes Budget versprach einen Ueber¬<lb/>
schuß der Einnahmen über die Ausgaben, und stets wurde beträchtlich mehr<lb/>
verausgabt als eingenommen. Noch im Jahre 1858 belief sich das Deficit auf<lb/>
12 Millionen Lire. Dem Lande kommt von den Steuern, die sich unter Pius<lb/>
dem Neunten in einigen Districten fast verdoppelt haben, wenig zu Gute.<lb/>
25 Millionen verschlingen die Jntressen der öffentlichen Schuld. 10 braucht<lb/>
das Heer, 2 die Justiz, wovon die Hälfte in der Hauptstadt bleibt, deren<lb/>
Gerichte besonders kostspielig, weil größtentheils mit Prälaten besetzt, sind.<lb/>
Anderthalb Millionen erfordert die Erhaltung der milden, d. h. im Wesent¬<lb/>
lichen zur Ermunterung des Bettels eingerichteten Anstalten. Der öffentliche<lb/>
Unterricht ist mit 400,000 Lire bedacht, eine Summe, die etwa dem gleich¬<lb/>
kommen wird, was ein norddeutscher Kleinstaat vom zwanzigsten Theil der<lb/>
Größe des Erdtheils des heiligen Petrus für seine Schulen verwendet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1005"> Unser Römer äußert ferner: &#x201E;Wir beklagen uns nicht darüber, daß wir<lb/>
Abgaben entrichten müssen; denn die gibt es allenthalben. Allerdings aber<lb/>
möchten wir unser Geld auf unsre Angelegenheiten verwendet sehen. Die<lb/>
Basiliken, die Kirchen und Klöster, welche man auf unsere Kosten baut und<lb/>
unterhält, freuen uns als Katholiken und betrüben uns als Bürger; denn<lb/>
diese Bauwerke sind ja nur eine höchst unvollständige Entschädigung für die<lb/>
Eisenbahnen, die Landstraßen, die regulirten Flüsse, die Dämme gegen Über¬<lb/>
schwemmungen, welche uns mangeln. Glaube, Liebe, Hoffnung muntert man<lb/>
mehr auf als Landwirthschaft, Handel und Gewerbe."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1006" next="#ID_1007"> Auch hierin ist nichts übertrieben. Wenn es sich auch begreift, daß in einem<lb/>
Kirchenstaat Manches sein muß wie geschildert, so gibt es doch unzählige Dinge, die<lb/>
selbst in einem Kirchenstaat unvergleichlich besser sein könnten. Die sonst von der<lb/>
Reaction geübte Politik, das Mißvergnügen über die Vertagung freisinniger<lb/>
Wünsche durch Begünstigung der materiellen Interessen zu beschwichtigen, wird<lb/>
von der päpstlichen Regierung nicht beliebt. Man fürchtet den Fortschritt selbst<lb/>
auf diesem Gebiet, und wo dies nicht der Fall ist. hat man' mindestens keinen<lb/>
Sinn, kein ernstliches Antreffe für ihn. Als der jetzige Papst den Thron be¬<lb/>
stieg, stellten die Römer aus seinem weltlichen Namen ein Anagramm zusam¬<lb/>
men, welches dem Lande Eisenbahnen verhieß. Es hat sich so wenig erfüllt, daß,<lb/>
abgesehen von der durch die Franzosen zu Militärzwecken erbauten Bahn zwischen<lb/>
Rom und Civita Vecchia, der Kirchenstaat nur den fünf Stunden langen<lb/>
Schienenweg zwischen Rom und Frascati besitzt. Der Zustand der Land¬<lb/>
straßen ist so kläglich, daß Briefe aus Wien Bologna um volle vierund-<lb/>
zwanzig Stunden eher erreichen als Briefe aus Rom. Die zunächst um die<lb/>
Hauptstadt gelegenen Ortschaften sind zwar mit dieser, nicht aber untereinan¬<lb/>
der durch fahrbare Straßen verbunden. Will man zu Wagen nach einem<lb/>
leitwärts liegenden Orte gehen, so muß man den Umweg über Rom nehmen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0353] in Paris, welche 50 Mill. Lire betrug. Jedes Budget versprach einen Ueber¬ schuß der Einnahmen über die Ausgaben, und stets wurde beträchtlich mehr verausgabt als eingenommen. Noch im Jahre 1858 belief sich das Deficit auf 12 Millionen Lire. Dem Lande kommt von den Steuern, die sich unter Pius dem Neunten in einigen Districten fast verdoppelt haben, wenig zu Gute. 25 Millionen verschlingen die Jntressen der öffentlichen Schuld. 10 braucht das Heer, 2 die Justiz, wovon die Hälfte in der Hauptstadt bleibt, deren Gerichte besonders kostspielig, weil größtentheils mit Prälaten besetzt, sind. Anderthalb Millionen erfordert die Erhaltung der milden, d. h. im Wesent¬ lichen zur Ermunterung des Bettels eingerichteten Anstalten. Der öffentliche Unterricht ist mit 400,000 Lire bedacht, eine Summe, die etwa dem gleich¬ kommen wird, was ein norddeutscher Kleinstaat vom zwanzigsten Theil der Größe des Erdtheils des heiligen Petrus für seine Schulen verwendet. Unser Römer äußert ferner: „Wir beklagen uns nicht darüber, daß wir Abgaben entrichten müssen; denn die gibt es allenthalben. Allerdings aber möchten wir unser Geld auf unsre Angelegenheiten verwendet sehen. Die Basiliken, die Kirchen und Klöster, welche man auf unsere Kosten baut und unterhält, freuen uns als Katholiken und betrüben uns als Bürger; denn diese Bauwerke sind ja nur eine höchst unvollständige Entschädigung für die Eisenbahnen, die Landstraßen, die regulirten Flüsse, die Dämme gegen Über¬ schwemmungen, welche uns mangeln. Glaube, Liebe, Hoffnung muntert man mehr auf als Landwirthschaft, Handel und Gewerbe." Auch hierin ist nichts übertrieben. Wenn es sich auch begreift, daß in einem Kirchenstaat Manches sein muß wie geschildert, so gibt es doch unzählige Dinge, die selbst in einem Kirchenstaat unvergleichlich besser sein könnten. Die sonst von der Reaction geübte Politik, das Mißvergnügen über die Vertagung freisinniger Wünsche durch Begünstigung der materiellen Interessen zu beschwichtigen, wird von der päpstlichen Regierung nicht beliebt. Man fürchtet den Fortschritt selbst auf diesem Gebiet, und wo dies nicht der Fall ist. hat man' mindestens keinen Sinn, kein ernstliches Antreffe für ihn. Als der jetzige Papst den Thron be¬ stieg, stellten die Römer aus seinem weltlichen Namen ein Anagramm zusam¬ men, welches dem Lande Eisenbahnen verhieß. Es hat sich so wenig erfüllt, daß, abgesehen von der durch die Franzosen zu Militärzwecken erbauten Bahn zwischen Rom und Civita Vecchia, der Kirchenstaat nur den fünf Stunden langen Schienenweg zwischen Rom und Frascati besitzt. Der Zustand der Land¬ straßen ist so kläglich, daß Briefe aus Wien Bologna um volle vierund- zwanzig Stunden eher erreichen als Briefe aus Rom. Die zunächst um die Hauptstadt gelegenen Ortschaften sind zwar mit dieser, nicht aber untereinan¬ der durch fahrbare Straßen verbunden. Will man zu Wagen nach einem leitwärts liegenden Orte gehen, so muß man den Umweg über Rom nehmen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/353
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/353>, abgerufen am 23.07.2024.