Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

auf die ihre Aufmerksamkeit am meisten gerichtet ist, den Eindruck nicht ma¬
chen, den sie machen sollen, so ist das für die Richtung der öffentlichen Mein¬
ung nachtheiliger als alle Deductionen der Gegner.

Unter diesen Gegnern nimmt, schriftstellerisch betrachtet, die hervorragendste
Stellung der sächsische Minister Freiherr v. Beust ein. Die von ihm her¬
rührende Denkschrift vom 19. Jan. in Betreff der preußischem Vorschläge zur
Reform der Bnndcskriegsverfassung ist, wie wir finden, von den preußischen
Blättern im Ganzen ungerecht beurtheilt; sie ist nicht blos sehr geschickt ab¬
gefaßt, sie versteht nicht blos die Schwächen des Gegners sehr wohl zu be¬
nutzen, sondern sie enthält auch wenigstens eine sehr beherzigenswcrthe Idee,
eine Frage, auf welche die Mittelstaaten wol das Recht haben, Bescheid zu
verlangen, bevor sie sich über die beabsichtigte Reform definitiv erklären. Diese
Idee ist folgende.

Durch die beabsichtigte Reform der Bnndeskricgsverfassung wird der Dualis¬
mus zwischen Oestreich und Preußen nicht blos endgiltig constituirt, souderu ganz
Deutschland wird in denselben hineingezogen, indem man es militärisch den beiden
Großmächten unterordnet. Was soll nun geschehn, wenn dieser Dualismus
einmal zu einer wirklichen Entzweiung führt? Sollen z. B. in einem Krieg
zwischen Oestreich und Preußen sich die Mittelstaaten nach Maßgabe dieser
militärischen Organisation dergestalt betheiligen, daß z. B. Baiern gegen
Sachsen zu Felde zieht u. s. w.? Diese Gefahr wird durch die bisherige Ver¬
fassung zwar nicht ganz abgewandt, aber doch vermindert; da man bei einem
Friedensbruch seitens der einen der. beiden Großmächte voraussetzen kann, daß
alle übrigen Staaten sich aus Seite des andern schlagen.

Diese Kritik ist die positive Seite der Beustschen Denkschrift; die Recht¬
fertigung des Bestehenden und die Darstellung eines bessern Auswegs ist we¬
niger glücklich. Zur Rechtfertigung des Bestehenden weist Hr. v. Beust aus
den rein defensiven Charakter des Bundes hin. Aber daß dieser defensive
Charakter nicht nnsreicht^, daß mitunter zur Vertheidigung Deutschlands ein
Angriffskrieg unternommen werden muß, das haben gerade im vorigen Jahr
die Mittelstaaten Preußen gegenüber sehr lebhaft vertheidigt. Hr. v. Beust ist
ferner der Ansicht, daß im Fall der Noth eine Einigung leicht zu Stande gebracht
wäre, und daß daher in Friedenszeiten eine Regulirung der Sache unnöthig
sei. Auch diese Ansicht wird dnrch das vorige Jahr widerlegt. Er faßt das
Rechtsverhältniß, und zwar formell vollkommen richtig, so auf, daß zum
Bundesheer nicht die ganze preußische, nicht die ganze östreichische Armee gehöre,
daß also nur ein Theil derselben dem Bnndesfeldherrn unterworfen sei. Aber
gerade dieses praktisch nicht durchführbare Rechtsverhältniß ist eins von 'den
Hauptmotiven, die Preußen sür seinen Antrag anführt. Um seiner selbst willen
kann Preußen nicht daran denken, einen Theil seiner Truppen abzutreten, es


auf die ihre Aufmerksamkeit am meisten gerichtet ist, den Eindruck nicht ma¬
chen, den sie machen sollen, so ist das für die Richtung der öffentlichen Mein¬
ung nachtheiliger als alle Deductionen der Gegner.

Unter diesen Gegnern nimmt, schriftstellerisch betrachtet, die hervorragendste
Stellung der sächsische Minister Freiherr v. Beust ein. Die von ihm her¬
rührende Denkschrift vom 19. Jan. in Betreff der preußischem Vorschläge zur
Reform der Bnndcskriegsverfassung ist, wie wir finden, von den preußischen
Blättern im Ganzen ungerecht beurtheilt; sie ist nicht blos sehr geschickt ab¬
gefaßt, sie versteht nicht blos die Schwächen des Gegners sehr wohl zu be¬
nutzen, sondern sie enthält auch wenigstens eine sehr beherzigenswcrthe Idee,
eine Frage, auf welche die Mittelstaaten wol das Recht haben, Bescheid zu
verlangen, bevor sie sich über die beabsichtigte Reform definitiv erklären. Diese
Idee ist folgende.

Durch die beabsichtigte Reform der Bnndeskricgsverfassung wird der Dualis¬
mus zwischen Oestreich und Preußen nicht blos endgiltig constituirt, souderu ganz
Deutschland wird in denselben hineingezogen, indem man es militärisch den beiden
Großmächten unterordnet. Was soll nun geschehn, wenn dieser Dualismus
einmal zu einer wirklichen Entzweiung führt? Sollen z. B. in einem Krieg
zwischen Oestreich und Preußen sich die Mittelstaaten nach Maßgabe dieser
militärischen Organisation dergestalt betheiligen, daß z. B. Baiern gegen
Sachsen zu Felde zieht u. s. w.? Diese Gefahr wird durch die bisherige Ver¬
fassung zwar nicht ganz abgewandt, aber doch vermindert; da man bei einem
Friedensbruch seitens der einen der. beiden Großmächte voraussetzen kann, daß
alle übrigen Staaten sich aus Seite des andern schlagen.

Diese Kritik ist die positive Seite der Beustschen Denkschrift; die Recht¬
fertigung des Bestehenden und die Darstellung eines bessern Auswegs ist we¬
niger glücklich. Zur Rechtfertigung des Bestehenden weist Hr. v. Beust aus
den rein defensiven Charakter des Bundes hin. Aber daß dieser defensive
Charakter nicht nnsreicht^, daß mitunter zur Vertheidigung Deutschlands ein
Angriffskrieg unternommen werden muß, das haben gerade im vorigen Jahr
die Mittelstaaten Preußen gegenüber sehr lebhaft vertheidigt. Hr. v. Beust ist
ferner der Ansicht, daß im Fall der Noth eine Einigung leicht zu Stande gebracht
wäre, und daß daher in Friedenszeiten eine Regulirung der Sache unnöthig
sei. Auch diese Ansicht wird dnrch das vorige Jahr widerlegt. Er faßt das
Rechtsverhältniß, und zwar formell vollkommen richtig, so auf, daß zum
Bundesheer nicht die ganze preußische, nicht die ganze östreichische Armee gehöre,
daß also nur ein Theil derselben dem Bnndesfeldherrn unterworfen sei. Aber
gerade dieses praktisch nicht durchführbare Rechtsverhältniß ist eins von 'den
Hauptmotiven, die Preußen sür seinen Antrag anführt. Um seiner selbst willen
kann Preußen nicht daran denken, einen Theil seiner Truppen abzutreten, es


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0336" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109058"/>
          <p xml:id="ID_957" prev="#ID_956"> auf die ihre Aufmerksamkeit am meisten gerichtet ist, den Eindruck nicht ma¬<lb/>
chen, den sie machen sollen, so ist das für die Richtung der öffentlichen Mein¬<lb/>
ung nachtheiliger als alle Deductionen der Gegner.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_958"> Unter diesen Gegnern nimmt, schriftstellerisch betrachtet, die hervorragendste<lb/>
Stellung der sächsische Minister Freiherr v. Beust ein. Die von ihm her¬<lb/>
rührende Denkschrift vom 19. Jan. in Betreff der preußischem Vorschläge zur<lb/>
Reform der Bnndcskriegsverfassung ist, wie wir finden, von den preußischen<lb/>
Blättern im Ganzen ungerecht beurtheilt; sie ist nicht blos sehr geschickt ab¬<lb/>
gefaßt, sie versteht nicht blos die Schwächen des Gegners sehr wohl zu be¬<lb/>
nutzen, sondern sie enthält auch wenigstens eine sehr beherzigenswcrthe Idee,<lb/>
eine Frage, auf welche die Mittelstaaten wol das Recht haben, Bescheid zu<lb/>
verlangen, bevor sie sich über die beabsichtigte Reform definitiv erklären. Diese<lb/>
Idee ist folgende.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_959"> Durch die beabsichtigte Reform der Bnndeskricgsverfassung wird der Dualis¬<lb/>
mus zwischen Oestreich und Preußen nicht blos endgiltig constituirt, souderu ganz<lb/>
Deutschland wird in denselben hineingezogen, indem man es militärisch den beiden<lb/>
Großmächten unterordnet. Was soll nun geschehn, wenn dieser Dualismus<lb/>
einmal zu einer wirklichen Entzweiung führt? Sollen z. B. in einem Krieg<lb/>
zwischen Oestreich und Preußen sich die Mittelstaaten nach Maßgabe dieser<lb/>
militärischen Organisation dergestalt betheiligen, daß z. B. Baiern gegen<lb/>
Sachsen zu Felde zieht u. s. w.? Diese Gefahr wird durch die bisherige Ver¬<lb/>
fassung zwar nicht ganz abgewandt, aber doch vermindert; da man bei einem<lb/>
Friedensbruch seitens der einen der. beiden Großmächte voraussetzen kann, daß<lb/>
alle übrigen Staaten sich aus Seite des andern schlagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_960" next="#ID_961"> Diese Kritik ist die positive Seite der Beustschen Denkschrift; die Recht¬<lb/>
fertigung des Bestehenden und die Darstellung eines bessern Auswegs ist we¬<lb/>
niger glücklich. Zur Rechtfertigung des Bestehenden weist Hr. v. Beust aus<lb/>
den rein defensiven Charakter des Bundes hin. Aber daß dieser defensive<lb/>
Charakter nicht nnsreicht^, daß mitunter zur Vertheidigung Deutschlands ein<lb/>
Angriffskrieg unternommen werden muß, das haben gerade im vorigen Jahr<lb/>
die Mittelstaaten Preußen gegenüber sehr lebhaft vertheidigt. Hr. v. Beust ist<lb/>
ferner der Ansicht, daß im Fall der Noth eine Einigung leicht zu Stande gebracht<lb/>
wäre, und daß daher in Friedenszeiten eine Regulirung der Sache unnöthig<lb/>
sei. Auch diese Ansicht wird dnrch das vorige Jahr widerlegt. Er faßt das<lb/>
Rechtsverhältniß, und zwar formell vollkommen richtig, so auf, daß zum<lb/>
Bundesheer nicht die ganze preußische, nicht die ganze östreichische Armee gehöre,<lb/>
daß also nur ein Theil derselben dem Bnndesfeldherrn unterworfen sei. Aber<lb/>
gerade dieses praktisch nicht durchführbare Rechtsverhältniß ist eins von 'den<lb/>
Hauptmotiven, die Preußen sür seinen Antrag anführt. Um seiner selbst willen<lb/>
kann Preußen nicht daran denken, einen Theil seiner Truppen abzutreten, es</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0336] auf die ihre Aufmerksamkeit am meisten gerichtet ist, den Eindruck nicht ma¬ chen, den sie machen sollen, so ist das für die Richtung der öffentlichen Mein¬ ung nachtheiliger als alle Deductionen der Gegner. Unter diesen Gegnern nimmt, schriftstellerisch betrachtet, die hervorragendste Stellung der sächsische Minister Freiherr v. Beust ein. Die von ihm her¬ rührende Denkschrift vom 19. Jan. in Betreff der preußischem Vorschläge zur Reform der Bnndcskriegsverfassung ist, wie wir finden, von den preußischen Blättern im Ganzen ungerecht beurtheilt; sie ist nicht blos sehr geschickt ab¬ gefaßt, sie versteht nicht blos die Schwächen des Gegners sehr wohl zu be¬ nutzen, sondern sie enthält auch wenigstens eine sehr beherzigenswcrthe Idee, eine Frage, auf welche die Mittelstaaten wol das Recht haben, Bescheid zu verlangen, bevor sie sich über die beabsichtigte Reform definitiv erklären. Diese Idee ist folgende. Durch die beabsichtigte Reform der Bnndeskricgsverfassung wird der Dualis¬ mus zwischen Oestreich und Preußen nicht blos endgiltig constituirt, souderu ganz Deutschland wird in denselben hineingezogen, indem man es militärisch den beiden Großmächten unterordnet. Was soll nun geschehn, wenn dieser Dualismus einmal zu einer wirklichen Entzweiung führt? Sollen z. B. in einem Krieg zwischen Oestreich und Preußen sich die Mittelstaaten nach Maßgabe dieser militärischen Organisation dergestalt betheiligen, daß z. B. Baiern gegen Sachsen zu Felde zieht u. s. w.? Diese Gefahr wird durch die bisherige Ver¬ fassung zwar nicht ganz abgewandt, aber doch vermindert; da man bei einem Friedensbruch seitens der einen der. beiden Großmächte voraussetzen kann, daß alle übrigen Staaten sich aus Seite des andern schlagen. Diese Kritik ist die positive Seite der Beustschen Denkschrift; die Recht¬ fertigung des Bestehenden und die Darstellung eines bessern Auswegs ist we¬ niger glücklich. Zur Rechtfertigung des Bestehenden weist Hr. v. Beust aus den rein defensiven Charakter des Bundes hin. Aber daß dieser defensive Charakter nicht nnsreicht^, daß mitunter zur Vertheidigung Deutschlands ein Angriffskrieg unternommen werden muß, das haben gerade im vorigen Jahr die Mittelstaaten Preußen gegenüber sehr lebhaft vertheidigt. Hr. v. Beust ist ferner der Ansicht, daß im Fall der Noth eine Einigung leicht zu Stande gebracht wäre, und daß daher in Friedenszeiten eine Regulirung der Sache unnöthig sei. Auch diese Ansicht wird dnrch das vorige Jahr widerlegt. Er faßt das Rechtsverhältniß, und zwar formell vollkommen richtig, so auf, daß zum Bundesheer nicht die ganze preußische, nicht die ganze östreichische Armee gehöre, daß also nur ein Theil derselben dem Bnndesfeldherrn unterworfen sei. Aber gerade dieses praktisch nicht durchführbare Rechtsverhältniß ist eins von 'den Hauptmotiven, die Preußen sür seinen Antrag anführt. Um seiner selbst willen kann Preußen nicht daran denken, einen Theil seiner Truppen abzutreten, es

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/336
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/336>, abgerufen am 25.08.2024.