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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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können, dessen Stellvertreter er ist. Er kann keine andern Stände einführen
als solche, die er selbst wählt, also überhaupt keine. Er darf keine unab¬
hängigen Richter dulden, kein Gesehbuch, welches irgendwie die Möglichkeit
offen läßt, daß die Kirche in Conflicten mit dem Staate -- und wie oft kom¬
men solche vor! -- einmal Unrecht behielte. Er kann am Wenigsten gestatten,
daß Laien ein Urtheil über das Budget abgeben, welches der Förderung himm¬
lischer Angelegenheiten dient, daß Weltkinder sich anmaßen. Ausgaben beschnei¬
den zu wollen, die zur Ehre Gottes, zur Mehrung des Reiches Christi gemacht
werden sollen. In einen einzigen dieser Punkte willigen, hieße ein Loch in
das System stoßen, durch welches das Ganze allmülig nachsickern müßte gleich
dem Sand in einer Sanduhr. ^

Der Papst darf ferner nichts für Volksaufklärung thun; denn die Auf¬
klärung ist vielleicht eine Quelle leiblicher Wohlfahrt, aber eine Mutter des
Zweifels. Er wird nur solche Wissenschaften befördern dürfen, welche der
Kirche Nutzen, wenigstens keinen Nachtheil bringen. Er wird den Jugend¬
unterricht beschränken, Naturkunde und Geschichte in bestimmte Kreise bannen,
er wird selbst Neuerungen auf rein industriellem Gebiet wie Eisenbahnen u. a.
mit Mißtrauen ansehen müssen. Er darf sodann in Rom keinen andern Glau¬
ben Wurzel fassen lassen, als den allein seligmachenden. Gelangte im Mittel¬
punkt seines geistlichen Reiches eine andere Kirche zu einigem Ansehen, so
wäre das die bitterste Kritik des Katholicismus, und die übelsten Folgen wür¬
den eintreten. Höchstens kann er gestatten, daß Fremde, zu denen das Tu-
stcm auch die Juden zählt, einen abweichenden Cultus in der Stille ausüben.
Einen Kinderraub wird er gutheißen müssen, wenn er der Kirche ein neues
Glied zuführte, vielleicht auch andere Verbrechen, wenn sie zur Ehre Gottes
begangen wurden . Freiheit des Gedankens, der Presse, der Gottesverehrung
niemals auch nur annähernd.

Sodann steht mit der Eigenschaft und Aufgabe eines Priesterfürsten in
Verbindung, daß die Kirchen- und Sittenpolizei in seinem Staat die herbsten
Formen annimmt, daß sie den Unglauben als Verbrechen bestraft, daß sie in
Vaterschaftsfragen für den Verklagten nur das Dilemma hat: ant äotöt, aut
vubet, g,ut aä trii-Lues*), daß sie, wie noch unter dem letzten Papst geschehen,
Aerzten verbietet, kranken Ketzern, welche die letzte Oelung ablehnen, Hilfe zu
leisten. Schon aus diesem Grunde erklärt sichs, daß das Papstthum die rich¬
terlichen Stellen und die der Verwaltung durchgehends mit Priestern besetzt.
Geistliche werden die Absichten des heiligen Vaters unter allen Umständen eif¬
riger fördern als Weltliche. Wenn sie ihrer Amtsführung eine stark inqui¬
sitorische Färbung geben, so paßt das vollkommen zu den Zwecken dieser
Regierung. Dazu kommt, daß die ganze höhere Erziehung im Römischen,



") Entweder Aussteuer, oder Heirath oder auf die Galeeren.

können, dessen Stellvertreter er ist. Er kann keine andern Stände einführen
als solche, die er selbst wählt, also überhaupt keine. Er darf keine unab¬
hängigen Richter dulden, kein Gesehbuch, welches irgendwie die Möglichkeit
offen läßt, daß die Kirche in Conflicten mit dem Staate — und wie oft kom¬
men solche vor! — einmal Unrecht behielte. Er kann am Wenigsten gestatten,
daß Laien ein Urtheil über das Budget abgeben, welches der Förderung himm¬
lischer Angelegenheiten dient, daß Weltkinder sich anmaßen. Ausgaben beschnei¬
den zu wollen, die zur Ehre Gottes, zur Mehrung des Reiches Christi gemacht
werden sollen. In einen einzigen dieser Punkte willigen, hieße ein Loch in
das System stoßen, durch welches das Ganze allmülig nachsickern müßte gleich
dem Sand in einer Sanduhr. ^

Der Papst darf ferner nichts für Volksaufklärung thun; denn die Auf¬
klärung ist vielleicht eine Quelle leiblicher Wohlfahrt, aber eine Mutter des
Zweifels. Er wird nur solche Wissenschaften befördern dürfen, welche der
Kirche Nutzen, wenigstens keinen Nachtheil bringen. Er wird den Jugend¬
unterricht beschränken, Naturkunde und Geschichte in bestimmte Kreise bannen,
er wird selbst Neuerungen auf rein industriellem Gebiet wie Eisenbahnen u. a.
mit Mißtrauen ansehen müssen. Er darf sodann in Rom keinen andern Glau¬
ben Wurzel fassen lassen, als den allein seligmachenden. Gelangte im Mittel¬
punkt seines geistlichen Reiches eine andere Kirche zu einigem Ansehen, so
wäre das die bitterste Kritik des Katholicismus, und die übelsten Folgen wür¬
den eintreten. Höchstens kann er gestatten, daß Fremde, zu denen das Tu-
stcm auch die Juden zählt, einen abweichenden Cultus in der Stille ausüben.
Einen Kinderraub wird er gutheißen müssen, wenn er der Kirche ein neues
Glied zuführte, vielleicht auch andere Verbrechen, wenn sie zur Ehre Gottes
begangen wurden . Freiheit des Gedankens, der Presse, der Gottesverehrung
niemals auch nur annähernd.

Sodann steht mit der Eigenschaft und Aufgabe eines Priesterfürsten in
Verbindung, daß die Kirchen- und Sittenpolizei in seinem Staat die herbsten
Formen annimmt, daß sie den Unglauben als Verbrechen bestraft, daß sie in
Vaterschaftsfragen für den Verklagten nur das Dilemma hat: ant äotöt, aut
vubet, g,ut aä trii-Lues*), daß sie, wie noch unter dem letzten Papst geschehen,
Aerzten verbietet, kranken Ketzern, welche die letzte Oelung ablehnen, Hilfe zu
leisten. Schon aus diesem Grunde erklärt sichs, daß das Papstthum die rich¬
terlichen Stellen und die der Verwaltung durchgehends mit Priestern besetzt.
Geistliche werden die Absichten des heiligen Vaters unter allen Umständen eif¬
riger fördern als Weltliche. Wenn sie ihrer Amtsführung eine stark inqui¬
sitorische Färbung geben, so paßt das vollkommen zu den Zwecken dieser
Regierung. Dazu kommt, daß die ganze höhere Erziehung im Römischen,



") Entweder Aussteuer, oder Heirath oder auf die Galeeren.
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[0298] können, dessen Stellvertreter er ist. Er kann keine andern Stände einführen als solche, die er selbst wählt, also überhaupt keine. Er darf keine unab¬ hängigen Richter dulden, kein Gesehbuch, welches irgendwie die Möglichkeit offen läßt, daß die Kirche in Conflicten mit dem Staate — und wie oft kom¬ men solche vor! — einmal Unrecht behielte. Er kann am Wenigsten gestatten, daß Laien ein Urtheil über das Budget abgeben, welches der Förderung himm¬ lischer Angelegenheiten dient, daß Weltkinder sich anmaßen. Ausgaben beschnei¬ den zu wollen, die zur Ehre Gottes, zur Mehrung des Reiches Christi gemacht werden sollen. In einen einzigen dieser Punkte willigen, hieße ein Loch in das System stoßen, durch welches das Ganze allmülig nachsickern müßte gleich dem Sand in einer Sanduhr. ^ Der Papst darf ferner nichts für Volksaufklärung thun; denn die Auf¬ klärung ist vielleicht eine Quelle leiblicher Wohlfahrt, aber eine Mutter des Zweifels. Er wird nur solche Wissenschaften befördern dürfen, welche der Kirche Nutzen, wenigstens keinen Nachtheil bringen. Er wird den Jugend¬ unterricht beschränken, Naturkunde und Geschichte in bestimmte Kreise bannen, er wird selbst Neuerungen auf rein industriellem Gebiet wie Eisenbahnen u. a. mit Mißtrauen ansehen müssen. Er darf sodann in Rom keinen andern Glau¬ ben Wurzel fassen lassen, als den allein seligmachenden. Gelangte im Mittel¬ punkt seines geistlichen Reiches eine andere Kirche zu einigem Ansehen, so wäre das die bitterste Kritik des Katholicismus, und die übelsten Folgen wür¬ den eintreten. Höchstens kann er gestatten, daß Fremde, zu denen das Tu- stcm auch die Juden zählt, einen abweichenden Cultus in der Stille ausüben. Einen Kinderraub wird er gutheißen müssen, wenn er der Kirche ein neues Glied zuführte, vielleicht auch andere Verbrechen, wenn sie zur Ehre Gottes begangen wurden . Freiheit des Gedankens, der Presse, der Gottesverehrung niemals auch nur annähernd. Sodann steht mit der Eigenschaft und Aufgabe eines Priesterfürsten in Verbindung, daß die Kirchen- und Sittenpolizei in seinem Staat die herbsten Formen annimmt, daß sie den Unglauben als Verbrechen bestraft, daß sie in Vaterschaftsfragen für den Verklagten nur das Dilemma hat: ant äotöt, aut vubet, g,ut aä trii-Lues*), daß sie, wie noch unter dem letzten Papst geschehen, Aerzten verbietet, kranken Ketzern, welche die letzte Oelung ablehnen, Hilfe zu leisten. Schon aus diesem Grunde erklärt sichs, daß das Papstthum die rich¬ terlichen Stellen und die der Verwaltung durchgehends mit Priestern besetzt. Geistliche werden die Absichten des heiligen Vaters unter allen Umständen eif¬ riger fördern als Weltliche. Wenn sie ihrer Amtsführung eine stark inqui¬ sitorische Färbung geben, so paßt das vollkommen zu den Zwecken dieser Regierung. Dazu kommt, daß die ganze höhere Erziehung im Römischen, ") Entweder Aussteuer, oder Heirath oder auf die Galeeren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/298>, abgerufen am 23.07.2024.