Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Auswärtigen das wichtigste sein müssen. In Rom ist die Regierung wie der
höchste Gerichtshof sür die katholische Welt. Welch eine Masse von Geschäf¬
ten daraus entstehen, und wie gerade die besten Regierungskräste, die man
in anderen Ländern den Staatsgeschäften zuwendet, durch kirchliche Angelegen¬
heiten aufgezehrt werden, kann man sich vorstellen.

Vor der.Reformation wurde davon nichts empfunden, da in dieser
Zeit die ganze abendländische Christenheit direct oder indirect die Kosten der
Verwaltung der Kirche an Geld- und Arbeitskräften trug. Ja noch zwei
volle Jahrhunderte nach dem Schisma wurde der Ausfall im Budget der
Curie nur in geringem Maaß bemerkt. Die Päpste hatten im sechzehnten
Jahrhunderte ihren weltlichen Besitz beträchtlich erweitert, die Marken, Peru¬
gia, Bologna, Ferrara dem Kirchenstaat einverleibt, sie zogen später die gro¬
ßen Lehen der Farnese ein. An die Stelle der feudalen Verwaltung dieser
Gebiete trat unter Sixtus dem Fünften eine streng centralisirte Klerusherr¬
schaft, die, ein Seitenstück zu dem jungen Orden der Jesuiten, unter geistli¬
chem Gewände mit großen politischen Plänen umging. Die alte Kirche nahm
alle ihre Kräfte zusammen, um die jetzt allmälig erstarrende deutsche Neuer¬
ung zu überwältigen. Da in Rom die Fäden dieser Politik zusammenliefen,
drängten sich die durch Geburt, Vermögen und Geist hervorragenden Männer
der katholischen Welt in die römische Prälatur, die so eine beträchtliche Stärk¬
ung durch tüchtige Regierungskräste erfuhr, welche dann auch der Leitung
der Provinzen zu Gute kamen. Sobald aber mit Anfang des vorigen Jahr¬
hunderts die dynastischen Interessen die Achse bildeten, wurde die Kurie in
die Peripherie gezogen. Die Intelligenzen andrer Länder fanden an andern
Höfen Gelegenheit, ihrem Ehrgeiz bei Lenkung der Weltgeschicke Genüge zu
thun; auch ihr großes Vermögen und die reichen Pfründen der verschiedenen
Nationalkirchen wurden nicht mehr im Kirchenstaat verzehrt. Während man
in Rom fortfuhr Hof und Kanzlei sür die ganze katholische Christenheit zu
halten, verboten mehre der bedeutendsten Fürsten jetzt die Ausfuhr von Gel¬
dern für Dispensen dahin; der Kirchenstaat, welcher in der Entwickelung sei¬
ner natürlichen Hilfsquellen immer mehr hinter dem übrigen Europa zurück¬
blieb, sollte allein die Kosten der Repräsentation und der obersten Verwaltung
der Kirche tragen.

Das Land mußte es bald empfinden, daß es sür seine Regierung auf
die mäßigen Kräfte besonders der Familien angewiesen war, welche durch
den Nepotismus der aus ihnen hervorgegangenen Päpste den Fürstenrang
erlangt hatten. Wie sich mit dem Zunehmen der Aufklärung die Prälatur
vereinsamt fühlte, so fühlten sich innerhalb ihrer selbst auch die wenigen po¬
litischen Talente, wie ein Consalvi. Die Cardinäle, welche Pius den Sieben¬
ten zur Krönung Napoleons nach Paris begleiteten, machten nach den Denk-


Auswärtigen das wichtigste sein müssen. In Rom ist die Regierung wie der
höchste Gerichtshof sür die katholische Welt. Welch eine Masse von Geschäf¬
ten daraus entstehen, und wie gerade die besten Regierungskräste, die man
in anderen Ländern den Staatsgeschäften zuwendet, durch kirchliche Angelegen¬
heiten aufgezehrt werden, kann man sich vorstellen.

Vor der.Reformation wurde davon nichts empfunden, da in dieser
Zeit die ganze abendländische Christenheit direct oder indirect die Kosten der
Verwaltung der Kirche an Geld- und Arbeitskräften trug. Ja noch zwei
volle Jahrhunderte nach dem Schisma wurde der Ausfall im Budget der
Curie nur in geringem Maaß bemerkt. Die Päpste hatten im sechzehnten
Jahrhunderte ihren weltlichen Besitz beträchtlich erweitert, die Marken, Peru¬
gia, Bologna, Ferrara dem Kirchenstaat einverleibt, sie zogen später die gro¬
ßen Lehen der Farnese ein. An die Stelle der feudalen Verwaltung dieser
Gebiete trat unter Sixtus dem Fünften eine streng centralisirte Klerusherr¬
schaft, die, ein Seitenstück zu dem jungen Orden der Jesuiten, unter geistli¬
chem Gewände mit großen politischen Plänen umging. Die alte Kirche nahm
alle ihre Kräfte zusammen, um die jetzt allmälig erstarrende deutsche Neuer¬
ung zu überwältigen. Da in Rom die Fäden dieser Politik zusammenliefen,
drängten sich die durch Geburt, Vermögen und Geist hervorragenden Männer
der katholischen Welt in die römische Prälatur, die so eine beträchtliche Stärk¬
ung durch tüchtige Regierungskräste erfuhr, welche dann auch der Leitung
der Provinzen zu Gute kamen. Sobald aber mit Anfang des vorigen Jahr¬
hunderts die dynastischen Interessen die Achse bildeten, wurde die Kurie in
die Peripherie gezogen. Die Intelligenzen andrer Länder fanden an andern
Höfen Gelegenheit, ihrem Ehrgeiz bei Lenkung der Weltgeschicke Genüge zu
thun; auch ihr großes Vermögen und die reichen Pfründen der verschiedenen
Nationalkirchen wurden nicht mehr im Kirchenstaat verzehrt. Während man
in Rom fortfuhr Hof und Kanzlei sür die ganze katholische Christenheit zu
halten, verboten mehre der bedeutendsten Fürsten jetzt die Ausfuhr von Gel¬
dern für Dispensen dahin; der Kirchenstaat, welcher in der Entwickelung sei¬
ner natürlichen Hilfsquellen immer mehr hinter dem übrigen Europa zurück¬
blieb, sollte allein die Kosten der Repräsentation und der obersten Verwaltung
der Kirche tragen.

Das Land mußte es bald empfinden, daß es sür seine Regierung auf
die mäßigen Kräfte besonders der Familien angewiesen war, welche durch
den Nepotismus der aus ihnen hervorgegangenen Päpste den Fürstenrang
erlangt hatten. Wie sich mit dem Zunehmen der Aufklärung die Prälatur
vereinsamt fühlte, so fühlten sich innerhalb ihrer selbst auch die wenigen po¬
litischen Talente, wie ein Consalvi. Die Cardinäle, welche Pius den Sieben¬
ten zur Krönung Napoleons nach Paris begleiteten, machten nach den Denk-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0296" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109018"/>
          <p xml:id="ID_837" prev="#ID_836"> Auswärtigen das wichtigste sein müssen. In Rom ist die Regierung wie der<lb/>
höchste Gerichtshof sür die katholische Welt. Welch eine Masse von Geschäf¬<lb/>
ten daraus entstehen, und wie gerade die besten Regierungskräste, die man<lb/>
in anderen Ländern den Staatsgeschäften zuwendet, durch kirchliche Angelegen¬<lb/>
heiten aufgezehrt werden, kann man sich vorstellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_838"> Vor der.Reformation wurde davon nichts empfunden, da in dieser<lb/>
Zeit die ganze abendländische Christenheit direct oder indirect die Kosten der<lb/>
Verwaltung der Kirche an Geld- und Arbeitskräften trug. Ja noch zwei<lb/>
volle Jahrhunderte nach dem Schisma wurde der Ausfall im Budget der<lb/>
Curie nur in geringem Maaß bemerkt. Die Päpste hatten im sechzehnten<lb/>
Jahrhunderte ihren weltlichen Besitz beträchtlich erweitert, die Marken, Peru¬<lb/>
gia, Bologna, Ferrara dem Kirchenstaat einverleibt, sie zogen später die gro¬<lb/>
ßen Lehen der Farnese ein. An die Stelle der feudalen Verwaltung dieser<lb/>
Gebiete trat unter Sixtus dem Fünften eine streng centralisirte Klerusherr¬<lb/>
schaft, die, ein Seitenstück zu dem jungen Orden der Jesuiten, unter geistli¬<lb/>
chem Gewände mit großen politischen Plänen umging. Die alte Kirche nahm<lb/>
alle ihre Kräfte zusammen, um die jetzt allmälig erstarrende deutsche Neuer¬<lb/>
ung zu überwältigen. Da in Rom die Fäden dieser Politik zusammenliefen,<lb/>
drängten sich die durch Geburt, Vermögen und Geist hervorragenden Männer<lb/>
der katholischen Welt in die römische Prälatur, die so eine beträchtliche Stärk¬<lb/>
ung durch tüchtige Regierungskräste erfuhr, welche dann auch der Leitung<lb/>
der Provinzen zu Gute kamen. Sobald aber mit Anfang des vorigen Jahr¬<lb/>
hunderts die dynastischen Interessen die Achse bildeten, wurde die Kurie in<lb/>
die Peripherie gezogen. Die Intelligenzen andrer Länder fanden an andern<lb/>
Höfen Gelegenheit, ihrem Ehrgeiz bei Lenkung der Weltgeschicke Genüge zu<lb/>
thun; auch ihr großes Vermögen und die reichen Pfründen der verschiedenen<lb/>
Nationalkirchen wurden nicht mehr im Kirchenstaat verzehrt. Während man<lb/>
in Rom fortfuhr Hof und Kanzlei sür die ganze katholische Christenheit zu<lb/>
halten, verboten mehre der bedeutendsten Fürsten jetzt die Ausfuhr von Gel¬<lb/>
dern für Dispensen dahin; der Kirchenstaat, welcher in der Entwickelung sei¬<lb/>
ner natürlichen Hilfsquellen immer mehr hinter dem übrigen Europa zurück¬<lb/>
blieb, sollte allein die Kosten der Repräsentation und der obersten Verwaltung<lb/>
der Kirche tragen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_839" next="#ID_840"> Das Land mußte es bald empfinden, daß es sür seine Regierung auf<lb/>
die mäßigen Kräfte besonders der Familien angewiesen war, welche durch<lb/>
den Nepotismus der aus ihnen hervorgegangenen Päpste den Fürstenrang<lb/>
erlangt hatten. Wie sich mit dem Zunehmen der Aufklärung die Prälatur<lb/>
vereinsamt fühlte, so fühlten sich innerhalb ihrer selbst auch die wenigen po¬<lb/>
litischen Talente, wie ein Consalvi. Die Cardinäle, welche Pius den Sieben¬<lb/>
ten zur Krönung Napoleons nach Paris begleiteten, machten nach den Denk-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0296] Auswärtigen das wichtigste sein müssen. In Rom ist die Regierung wie der höchste Gerichtshof sür die katholische Welt. Welch eine Masse von Geschäf¬ ten daraus entstehen, und wie gerade die besten Regierungskräste, die man in anderen Ländern den Staatsgeschäften zuwendet, durch kirchliche Angelegen¬ heiten aufgezehrt werden, kann man sich vorstellen. Vor der.Reformation wurde davon nichts empfunden, da in dieser Zeit die ganze abendländische Christenheit direct oder indirect die Kosten der Verwaltung der Kirche an Geld- und Arbeitskräften trug. Ja noch zwei volle Jahrhunderte nach dem Schisma wurde der Ausfall im Budget der Curie nur in geringem Maaß bemerkt. Die Päpste hatten im sechzehnten Jahrhunderte ihren weltlichen Besitz beträchtlich erweitert, die Marken, Peru¬ gia, Bologna, Ferrara dem Kirchenstaat einverleibt, sie zogen später die gro¬ ßen Lehen der Farnese ein. An die Stelle der feudalen Verwaltung dieser Gebiete trat unter Sixtus dem Fünften eine streng centralisirte Klerusherr¬ schaft, die, ein Seitenstück zu dem jungen Orden der Jesuiten, unter geistli¬ chem Gewände mit großen politischen Plänen umging. Die alte Kirche nahm alle ihre Kräfte zusammen, um die jetzt allmälig erstarrende deutsche Neuer¬ ung zu überwältigen. Da in Rom die Fäden dieser Politik zusammenliefen, drängten sich die durch Geburt, Vermögen und Geist hervorragenden Männer der katholischen Welt in die römische Prälatur, die so eine beträchtliche Stärk¬ ung durch tüchtige Regierungskräste erfuhr, welche dann auch der Leitung der Provinzen zu Gute kamen. Sobald aber mit Anfang des vorigen Jahr¬ hunderts die dynastischen Interessen die Achse bildeten, wurde die Kurie in die Peripherie gezogen. Die Intelligenzen andrer Länder fanden an andern Höfen Gelegenheit, ihrem Ehrgeiz bei Lenkung der Weltgeschicke Genüge zu thun; auch ihr großes Vermögen und die reichen Pfründen der verschiedenen Nationalkirchen wurden nicht mehr im Kirchenstaat verzehrt. Während man in Rom fortfuhr Hof und Kanzlei sür die ganze katholische Christenheit zu halten, verboten mehre der bedeutendsten Fürsten jetzt die Ausfuhr von Gel¬ dern für Dispensen dahin; der Kirchenstaat, welcher in der Entwickelung sei¬ ner natürlichen Hilfsquellen immer mehr hinter dem übrigen Europa zurück¬ blieb, sollte allein die Kosten der Repräsentation und der obersten Verwaltung der Kirche tragen. Das Land mußte es bald empfinden, daß es sür seine Regierung auf die mäßigen Kräfte besonders der Familien angewiesen war, welche durch den Nepotismus der aus ihnen hervorgegangenen Päpste den Fürstenrang erlangt hatten. Wie sich mit dem Zunehmen der Aufklärung die Prälatur vereinsamt fühlte, so fühlten sich innerhalb ihrer selbst auch die wenigen po¬ litischen Talente, wie ein Consalvi. Die Cardinäle, welche Pius den Sieben¬ ten zur Krönung Napoleons nach Paris begleiteten, machten nach den Denk-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/296
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/296>, abgerufen am 23.07.2024.