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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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den Papst und fast zu gleicher Zeit die zahlreiche Partei der Schutz¬
zöllner Frankreichs fallen lassen. Es scheint, daß er zu der Einsicht gelangt
ist, keinen bessern Freund finden und sich keinen schlimmern Feind erwecken
zu können, als den Nachbar überm Kanal, und da man ihm. wie uns dünkt,
eher alles Andre nachsagen kann als Mangel an Ueberlegung und an rich¬
tiger Beurtheilung seiner Kräfte und der Stärke seiner Gegner, so möchte
England trotz der entgegenstehenden Ansicht unsrer Anglophagen bis auf Wei¬
teres das Prüdicat einer Großmacht zu belassen sein.

Ganz ohne allen Grund waren aber die Befürchtungen nicht, die man
für den Fall eines Angriffs Frankreichs auf England in Betreff des letzteren
hegte. Beweis dafür ist. daß die öffentliche Meinung in England selbst sich
nicht mehr sicher fühlte. Die öffentliche Meinung mag bisweilen auf einige
Zeit unrecht haben, auf die Dauer wird sie sich niemals täuschen; denn sie
ist, wenn man sie von allem blos Zufälligen entkleidet, der Jnstinct des Vol¬
kes, und dieser Jnstinct sagte den Engländern trotz aller Versicherungen vom
Gegentheil, daß man der rasch gewachsenen Macht der Franzosen gegenüber
Gefahr laufe, wofern man nicht zur rechten Zeit Vorkehrungen treffe. Man
entdeckte, daß "die Burg im Ocean mit ihrer Besatzung von fünf Millionen
kricgstüchtiger Männer", daß "der Salzwassergraben um dieselbe, vier Meilen
breit an der schmalsten Stelle und tief genug, um alle Menschen, die je leb¬
ten, darin zu ertränken", Redensarten geworden waren. Die Empfindung
der Unbehaglichkeit bei dieser Wahrnehmung steigerte sich rasch zur Aufreg¬
ung. "Harmibiü ante Portes! rief die Presse, und ein Alarm gleich dem,
aus welchem das selige Rheinlied hervorging, brauste durch die ganze Nation
von den weißen jireidcküsten Dovers bis hinauf zu den schottischen Bergen.

Man drang in die Regierung, zu rüsten, und erfuhr, daß sie rüste.
Die Aufregung ließ dies ungenügend erscheinen. Eine Verlorne Seeschlacht,
und das Land konnte hunderttausend Rvthhoscn ausschiffen sehen, denen es
keine dreißigtausend kampfgeübtc Truppen entgegenzustellen hatte. Eine Ver¬
lorne Landschlacht, vielleicht zwei, und Napoleon fügte zu seinem Triumphzug
in Mailand einen Triumphzug in London. Bei näherer, nüchternerer Be¬
trachtung fand man indeß, daß die Gefahr nicht so groß sei. daß man noch
andere Mittel zur Verfügung habe, daß Birmingham und Enfield ihre Waf¬
fen nicht blos für geworbene Soldaten zu liefern brauchten, daß die unzähligen
Hecken, Wäldchen und Parks des Landes eine Kriegführung böten, bei der
gutzielende Scharfschützen die Hauptrolle spielen könnten, daß die Gewohn¬
heit der Fuchsjagden und Kirchthurmrennen das Material zu einer Kavallerie
geschaffen, die sich nicht vortrefflicher vorstellen ließe, daß England von Tele¬
graphen- und Eisenbahnlinien durchschnitten sei, welche ein kleines Heer wie
das größte wirken lassen, und endlich, daß ein freies Volk, welches für seine


den Papst und fast zu gleicher Zeit die zahlreiche Partei der Schutz¬
zöllner Frankreichs fallen lassen. Es scheint, daß er zu der Einsicht gelangt
ist, keinen bessern Freund finden und sich keinen schlimmern Feind erwecken
zu können, als den Nachbar überm Kanal, und da man ihm. wie uns dünkt,
eher alles Andre nachsagen kann als Mangel an Ueberlegung und an rich¬
tiger Beurtheilung seiner Kräfte und der Stärke seiner Gegner, so möchte
England trotz der entgegenstehenden Ansicht unsrer Anglophagen bis auf Wei¬
teres das Prüdicat einer Großmacht zu belassen sein.

Ganz ohne allen Grund waren aber die Befürchtungen nicht, die man
für den Fall eines Angriffs Frankreichs auf England in Betreff des letzteren
hegte. Beweis dafür ist. daß die öffentliche Meinung in England selbst sich
nicht mehr sicher fühlte. Die öffentliche Meinung mag bisweilen auf einige
Zeit unrecht haben, auf die Dauer wird sie sich niemals täuschen; denn sie
ist, wenn man sie von allem blos Zufälligen entkleidet, der Jnstinct des Vol¬
kes, und dieser Jnstinct sagte den Engländern trotz aller Versicherungen vom
Gegentheil, daß man der rasch gewachsenen Macht der Franzosen gegenüber
Gefahr laufe, wofern man nicht zur rechten Zeit Vorkehrungen treffe. Man
entdeckte, daß „die Burg im Ocean mit ihrer Besatzung von fünf Millionen
kricgstüchtiger Männer", daß „der Salzwassergraben um dieselbe, vier Meilen
breit an der schmalsten Stelle und tief genug, um alle Menschen, die je leb¬
ten, darin zu ertränken", Redensarten geworden waren. Die Empfindung
der Unbehaglichkeit bei dieser Wahrnehmung steigerte sich rasch zur Aufreg¬
ung. „Harmibiü ante Portes! rief die Presse, und ein Alarm gleich dem,
aus welchem das selige Rheinlied hervorging, brauste durch die ganze Nation
von den weißen jireidcküsten Dovers bis hinauf zu den schottischen Bergen.

Man drang in die Regierung, zu rüsten, und erfuhr, daß sie rüste.
Die Aufregung ließ dies ungenügend erscheinen. Eine Verlorne Seeschlacht,
und das Land konnte hunderttausend Rvthhoscn ausschiffen sehen, denen es
keine dreißigtausend kampfgeübtc Truppen entgegenzustellen hatte. Eine Ver¬
lorne Landschlacht, vielleicht zwei, und Napoleon fügte zu seinem Triumphzug
in Mailand einen Triumphzug in London. Bei näherer, nüchternerer Be¬
trachtung fand man indeß, daß die Gefahr nicht so groß sei. daß man noch
andere Mittel zur Verfügung habe, daß Birmingham und Enfield ihre Waf¬
fen nicht blos für geworbene Soldaten zu liefern brauchten, daß die unzähligen
Hecken, Wäldchen und Parks des Landes eine Kriegführung böten, bei der
gutzielende Scharfschützen die Hauptrolle spielen könnten, daß die Gewohn¬
heit der Fuchsjagden und Kirchthurmrennen das Material zu einer Kavallerie
geschaffen, die sich nicht vortrefflicher vorstellen ließe, daß England von Tele¬
graphen- und Eisenbahnlinien durchschnitten sei, welche ein kleines Heer wie
das größte wirken lassen, und endlich, daß ein freies Volk, welches für seine


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[0267] den Papst und fast zu gleicher Zeit die zahlreiche Partei der Schutz¬ zöllner Frankreichs fallen lassen. Es scheint, daß er zu der Einsicht gelangt ist, keinen bessern Freund finden und sich keinen schlimmern Feind erwecken zu können, als den Nachbar überm Kanal, und da man ihm. wie uns dünkt, eher alles Andre nachsagen kann als Mangel an Ueberlegung und an rich¬ tiger Beurtheilung seiner Kräfte und der Stärke seiner Gegner, so möchte England trotz der entgegenstehenden Ansicht unsrer Anglophagen bis auf Wei¬ teres das Prüdicat einer Großmacht zu belassen sein. Ganz ohne allen Grund waren aber die Befürchtungen nicht, die man für den Fall eines Angriffs Frankreichs auf England in Betreff des letzteren hegte. Beweis dafür ist. daß die öffentliche Meinung in England selbst sich nicht mehr sicher fühlte. Die öffentliche Meinung mag bisweilen auf einige Zeit unrecht haben, auf die Dauer wird sie sich niemals täuschen; denn sie ist, wenn man sie von allem blos Zufälligen entkleidet, der Jnstinct des Vol¬ kes, und dieser Jnstinct sagte den Engländern trotz aller Versicherungen vom Gegentheil, daß man der rasch gewachsenen Macht der Franzosen gegenüber Gefahr laufe, wofern man nicht zur rechten Zeit Vorkehrungen treffe. Man entdeckte, daß „die Burg im Ocean mit ihrer Besatzung von fünf Millionen kricgstüchtiger Männer", daß „der Salzwassergraben um dieselbe, vier Meilen breit an der schmalsten Stelle und tief genug, um alle Menschen, die je leb¬ ten, darin zu ertränken", Redensarten geworden waren. Die Empfindung der Unbehaglichkeit bei dieser Wahrnehmung steigerte sich rasch zur Aufreg¬ ung. „Harmibiü ante Portes! rief die Presse, und ein Alarm gleich dem, aus welchem das selige Rheinlied hervorging, brauste durch die ganze Nation von den weißen jireidcküsten Dovers bis hinauf zu den schottischen Bergen. Man drang in die Regierung, zu rüsten, und erfuhr, daß sie rüste. Die Aufregung ließ dies ungenügend erscheinen. Eine Verlorne Seeschlacht, und das Land konnte hunderttausend Rvthhoscn ausschiffen sehen, denen es keine dreißigtausend kampfgeübtc Truppen entgegenzustellen hatte. Eine Ver¬ lorne Landschlacht, vielleicht zwei, und Napoleon fügte zu seinem Triumphzug in Mailand einen Triumphzug in London. Bei näherer, nüchternerer Be¬ trachtung fand man indeß, daß die Gefahr nicht so groß sei. daß man noch andere Mittel zur Verfügung habe, daß Birmingham und Enfield ihre Waf¬ fen nicht blos für geworbene Soldaten zu liefern brauchten, daß die unzähligen Hecken, Wäldchen und Parks des Landes eine Kriegführung böten, bei der gutzielende Scharfschützen die Hauptrolle spielen könnten, daß die Gewohn¬ heit der Fuchsjagden und Kirchthurmrennen das Material zu einer Kavallerie geschaffen, die sich nicht vortrefflicher vorstellen ließe, daß England von Tele¬ graphen- und Eisenbahnlinien durchschnitten sei, welche ein kleines Heer wie das größte wirken lassen, und endlich, daß ein freies Volk, welches für seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/267>, abgerufen am 03.07.2024.