Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.haben freilich den Gang der deutschen Literatur nicht besonders verändert; ganz Es ist bei diesen Frgpen noch auf einen Umstand aufmerksam zu machen, haben freilich den Gang der deutschen Literatur nicht besonders verändert; ganz Es ist bei diesen Frgpen noch auf einen Umstand aufmerksam zu machen, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0025" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108747"/> <p xml:id="ID_39" prev="#ID_38"> haben freilich den Gang der deutschen Literatur nicht besonders verändert; ganz<lb/> anders aber wurde es. als hochgebildete Damen aus höhern Ständen sich der<lb/> neuen Richtung zuneigten. Tagebücher zu führen über die geheime Geschichte<lb/> ihres Innern. Menschenliebe im Allgemeinen und in, Besondern zu pflegen,<lb/> ans Erweckungen zy warten, sie zu fordern und zu beobachten, und so den<lb/> Roman in die Prosa des gemeinen Lebens einzuführen, das ist so recht die<lb/> Virtuosität der Frauen. Unter diesen schönen Seelen treten drei in der Ge-<lb/> schichte unsrer Literatur besonders hervor-<lb/> , das Fräulein von Klettcnberg. von<lb/> der Goethe im Wilhelm Meister ein so rejzcndes Bild gegeben hat; die Fürstin<lb/> Gallizin. deren Haus der eigentliche Fötus der GlaubcnsphUosophie wurde,<lb/> und später Frau von Krüdener. deren Leben über die Periode, die wir hier<lb/> ausschließlich im Auge halten, bereits hinausgeht. Die Geschichte der schönen<lb/> Seele im Wilhelm Meister läßt sich bis zu einer gewissen Grenze auf alle<lb/> drei anwenden: sie gingen alle drei von der weltlichen, der adligen Bildung<lb/> aus und waren auch gar nicht gemeint, bei ihrer neugewonnenen Frömmig¬<lb/> keit die Ansprüche derselben aufzugeben. Frau voy Gallizin war schon längst<lb/> eine schöne Seele, als sie noch in den Bünden der pantheistischen Philosophie<lb/> war und vom Christenthum Nichts wissen wollte; sie scheint damals noch weit<lb/> liebenswürdiger gewesen zu sein, als später, obgleich sie immer liebenswürdig<lb/> blieb und auf den Heiden Goethe noch als eifrige Katholikin einen sehr wohl¬<lb/> thuenden Eindruck machte. Frau von Krüdener war in ihrer Jugend die<lb/> Modeschönheit von Paris, sie hatte zahlreiche berühmte Liebschaften und schrieb<lb/> einen ziemlich sinnlichen Roman. Gut und verständig waren alle drei, nament¬<lb/> lich die beiden ersten; wenn aber Fräulein von Klettenberg nach ihrer Bekeh¬<lb/> rung sich damit begnügte, in der stillen Gemeinde ihre Andacht zu üben und<lb/> strebsame junge Leute wie Goethe dazu aufzumuntern, ohne ihnen lästig<lb/> »n fallen, so regte sich in der Fürstin Gallizin. die durch ihre Geburt der ka¬<lb/> tholischen Confession angehörte, gleich nach ihrer Erweckung der Bekehrungs¬<lb/> eifer, und sie hat darin wirklich sehr große Dinge geleistet. Frau von Krü¬<lb/> dener zog gar als Prophetin in vollständig theatralischen Auszüge durch die<lb/> Lande, im Anfang von den größten Monarchen begünstigt, bis sie endlich mit<lb/> her Polizes in Conflict gerieth.</p><lb/> <p xml:id="ID_40" next="#ID_41"> Es ist bei diesen Frgpen noch auf einen Umstand aufmerksam zu machen,<lb/> der manche Eigenthümlichkeit unsrer jungen Literatur erklärt. Sie gingen von<lb/> der frqnzösischen Bildung aus; plebe von der rohen, ungeschlachten und ganz<lb/> unreifen deutschen Literatur, die ihrem Geiste Nichts bieten konnte, sondern von<lb/> einer Literatur, die auf der Höhe der Bildung stand und bereits ins Rqfsinirte<lb/> überging. Die Fürstin Gallizin hatte Diderot, Voltaire und Hcmsterhuis studirt.<lb/> ehe sie Hamann und die Bibel entdeckte; sie war in der Analyse geübt, sie hatte<lb/> tzas GeMl, zersetzen gelernt, bevor sie das Gefühl als eine weltbewegend?</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0025]
haben freilich den Gang der deutschen Literatur nicht besonders verändert; ganz
anders aber wurde es. als hochgebildete Damen aus höhern Ständen sich der
neuen Richtung zuneigten. Tagebücher zu führen über die geheime Geschichte
ihres Innern. Menschenliebe im Allgemeinen und in, Besondern zu pflegen,
ans Erweckungen zy warten, sie zu fordern und zu beobachten, und so den
Roman in die Prosa des gemeinen Lebens einzuführen, das ist so recht die
Virtuosität der Frauen. Unter diesen schönen Seelen treten drei in der Ge-
schichte unsrer Literatur besonders hervor-
, das Fräulein von Klettcnberg. von
der Goethe im Wilhelm Meister ein so rejzcndes Bild gegeben hat; die Fürstin
Gallizin. deren Haus der eigentliche Fötus der GlaubcnsphUosophie wurde,
und später Frau von Krüdener. deren Leben über die Periode, die wir hier
ausschließlich im Auge halten, bereits hinausgeht. Die Geschichte der schönen
Seele im Wilhelm Meister läßt sich bis zu einer gewissen Grenze auf alle
drei anwenden: sie gingen alle drei von der weltlichen, der adligen Bildung
aus und waren auch gar nicht gemeint, bei ihrer neugewonnenen Frömmig¬
keit die Ansprüche derselben aufzugeben. Frau voy Gallizin war schon längst
eine schöne Seele, als sie noch in den Bünden der pantheistischen Philosophie
war und vom Christenthum Nichts wissen wollte; sie scheint damals noch weit
liebenswürdiger gewesen zu sein, als später, obgleich sie immer liebenswürdig
blieb und auf den Heiden Goethe noch als eifrige Katholikin einen sehr wohl¬
thuenden Eindruck machte. Frau von Krüdener war in ihrer Jugend die
Modeschönheit von Paris, sie hatte zahlreiche berühmte Liebschaften und schrieb
einen ziemlich sinnlichen Roman. Gut und verständig waren alle drei, nament¬
lich die beiden ersten; wenn aber Fräulein von Klettenberg nach ihrer Bekeh¬
rung sich damit begnügte, in der stillen Gemeinde ihre Andacht zu üben und
strebsame junge Leute wie Goethe dazu aufzumuntern, ohne ihnen lästig
»n fallen, so regte sich in der Fürstin Gallizin. die durch ihre Geburt der ka¬
tholischen Confession angehörte, gleich nach ihrer Erweckung der Bekehrungs¬
eifer, und sie hat darin wirklich sehr große Dinge geleistet. Frau von Krü¬
dener zog gar als Prophetin in vollständig theatralischen Auszüge durch die
Lande, im Anfang von den größten Monarchen begünstigt, bis sie endlich mit
her Polizes in Conflict gerieth.
Es ist bei diesen Frgpen noch auf einen Umstand aufmerksam zu machen,
der manche Eigenthümlichkeit unsrer jungen Literatur erklärt. Sie gingen von
der frqnzösischen Bildung aus; plebe von der rohen, ungeschlachten und ganz
unreifen deutschen Literatur, die ihrem Geiste Nichts bieten konnte, sondern von
einer Literatur, die auf der Höhe der Bildung stand und bereits ins Rqfsinirte
überging. Die Fürstin Gallizin hatte Diderot, Voltaire und Hcmsterhuis studirt.
ehe sie Hamann und die Bibel entdeckte; sie war in der Analyse geübt, sie hatte
tzas GeMl, zersetzen gelernt, bevor sie das Gefühl als eine weltbewegend?
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |