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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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mittelitalienische Bewegung ein Graue! ist. Einigermaßen befriedigt konnten
sie sich aber doch finden dadurch, daß Garibaldi zu derselben Zeit seine Di-
mission eingab und erhielt.

Nach der Mitte des October gewannen die Gerüchte von einem beab¬
sichtigten Angriffe der Päpstlichen und der Neapolitaner auf Mittelitalien und
zwar zunächst auf die Romagna neue Kraft. Es mochte allerdings sein, daß
dieses nicht unbegründet war. Aller Wahrscheinlichkeit nach ward an einen
solchen Angriff nach dem Züricher Friedensschluß, den man in der letzten Hälfte
des October erwartete, von Seite" Neapels und des Papstes gedacht, da man
hoffte, daß dieser Frieden wenigens die Romagna preisgeben werde. Der
päpstliche General Kalbermatten zu Pcsaro ermahnte in einem Tagesbefehl seine
Truppen zur Geduld, indem er ihnen zugleich ankündigte, "daß die Stunde
der Gerechtigkeit nahe sei." Nun hieß es, Garibaldi wünsche dem Angriffe
der Päpstlichen und Neapolitaner zuvorzukommen. In der That war dies gor
nicht unwahrscheinlich, und vielleicht wäre es auch nicht unverständig gewesen.
Eine revolutionäre junge Armee, wie es diejenige Mittelitaliens doch war, hat
Chancen des Zusammenhaltes in der Regel mehr in der Thätigkeit, als in
der Unthätigkeit. Freilich läßt sich sagen, daß sie der Organisation bedarf,
und daß Zeit dazu gehört, diese zu vollenden. Das ist richtig, wo überhaupt
eine nachhaltige Begeisterring vorhanden ist und ein lebhaftes Bolkstempera-
ment nicht die Hauptrolle spielt, wo außerdem durchaus kein Mißtrauen in
die Häupter der Bewegung herrscht und wo kräftig durchgegriffen wird. Diese
Dinge aber fehlen in Mittelitalien sehr. Der Obergeneral und Kriegsminister
Fanti ist in der That etwas pedantisch, durch und durch "regulärer Soldat,"
seine militärischen Fähigkeiten und Kenntnisse erheben sich wenig mehr über den
Nullpunkt als seine politische" Anschauungen; Mißtrauen in die guten Absichten der
Führer und deren Ausharren -- auch in den bösen Stunde" -- war in Mittel¬
italien genügend Vorhäute"; kräftiges, ""bedingtes Durchgreifen fehlte, wie
sich schon ans dem ergibt, was wir früher von den militärischen Organisationen
sagten. Andererseits hatten die Mittelitaliencr sich gegenüber die Schlüssel¬
soldaten, unter denen die alten Schweizer die einzigen waren, welche für
Kriegsleute gelten konnten, und die Neapolitaner, welche, wie man erzählt,
unter Heulen und Zähneklappen an die Grenze gerückt waren. Ein Erfolg
gegen solche Feinde lag durchaus für Garibaldi nicht im Gebiete der Unmög¬
lichkeit, namentlich wenn schnell zugegriffen ward, noch ehe jene ihre Concen-
tration vollendet hatten. Bon einem solchen Erfolge konnte man dann neues
Zuströmen von Kräften zur Armee, die Ausbreitung der italienischen Jnsurrec-
tion, eine neue vollendete Thatsache erwarten, welche eine zahme Intervention
in die Angelegenheiten Mittclitaliens doppelt und dreifach erschwerte und da¬
durch vielleicht jeder Intervention mit desto größerer Sicherheit vorbeugte.


mittelitalienische Bewegung ein Graue! ist. Einigermaßen befriedigt konnten
sie sich aber doch finden dadurch, daß Garibaldi zu derselben Zeit seine Di-
mission eingab und erhielt.

Nach der Mitte des October gewannen die Gerüchte von einem beab¬
sichtigten Angriffe der Päpstlichen und der Neapolitaner auf Mittelitalien und
zwar zunächst auf die Romagna neue Kraft. Es mochte allerdings sein, daß
dieses nicht unbegründet war. Aller Wahrscheinlichkeit nach ward an einen
solchen Angriff nach dem Züricher Friedensschluß, den man in der letzten Hälfte
des October erwartete, von Seite» Neapels und des Papstes gedacht, da man
hoffte, daß dieser Frieden wenigens die Romagna preisgeben werde. Der
päpstliche General Kalbermatten zu Pcsaro ermahnte in einem Tagesbefehl seine
Truppen zur Geduld, indem er ihnen zugleich ankündigte, „daß die Stunde
der Gerechtigkeit nahe sei." Nun hieß es, Garibaldi wünsche dem Angriffe
der Päpstlichen und Neapolitaner zuvorzukommen. In der That war dies gor
nicht unwahrscheinlich, und vielleicht wäre es auch nicht unverständig gewesen.
Eine revolutionäre junge Armee, wie es diejenige Mittelitaliens doch war, hat
Chancen des Zusammenhaltes in der Regel mehr in der Thätigkeit, als in
der Unthätigkeit. Freilich läßt sich sagen, daß sie der Organisation bedarf,
und daß Zeit dazu gehört, diese zu vollenden. Das ist richtig, wo überhaupt
eine nachhaltige Begeisterring vorhanden ist und ein lebhaftes Bolkstempera-
ment nicht die Hauptrolle spielt, wo außerdem durchaus kein Mißtrauen in
die Häupter der Bewegung herrscht und wo kräftig durchgegriffen wird. Diese
Dinge aber fehlen in Mittelitalien sehr. Der Obergeneral und Kriegsminister
Fanti ist in der That etwas pedantisch, durch und durch „regulärer Soldat,"
seine militärischen Fähigkeiten und Kenntnisse erheben sich wenig mehr über den
Nullpunkt als seine politische» Anschauungen; Mißtrauen in die guten Absichten der
Führer und deren Ausharren — auch in den bösen Stunde» — war in Mittel¬
italien genügend Vorhäute»; kräftiges, »»bedingtes Durchgreifen fehlte, wie
sich schon ans dem ergibt, was wir früher von den militärischen Organisationen
sagten. Andererseits hatten die Mittelitaliencr sich gegenüber die Schlüssel¬
soldaten, unter denen die alten Schweizer die einzigen waren, welche für
Kriegsleute gelten konnten, und die Neapolitaner, welche, wie man erzählt,
unter Heulen und Zähneklappen an die Grenze gerückt waren. Ein Erfolg
gegen solche Feinde lag durchaus für Garibaldi nicht im Gebiete der Unmög¬
lichkeit, namentlich wenn schnell zugegriffen ward, noch ehe jene ihre Concen-
tration vollendet hatten. Bon einem solchen Erfolge konnte man dann neues
Zuströmen von Kräften zur Armee, die Ausbreitung der italienischen Jnsurrec-
tion, eine neue vollendete Thatsache erwarten, welche eine zahme Intervention
in die Angelegenheiten Mittclitaliens doppelt und dreifach erschwerte und da¬
durch vielleicht jeder Intervention mit desto größerer Sicherheit vorbeugte.


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[0246] mittelitalienische Bewegung ein Graue! ist. Einigermaßen befriedigt konnten sie sich aber doch finden dadurch, daß Garibaldi zu derselben Zeit seine Di- mission eingab und erhielt. Nach der Mitte des October gewannen die Gerüchte von einem beab¬ sichtigten Angriffe der Päpstlichen und der Neapolitaner auf Mittelitalien und zwar zunächst auf die Romagna neue Kraft. Es mochte allerdings sein, daß dieses nicht unbegründet war. Aller Wahrscheinlichkeit nach ward an einen solchen Angriff nach dem Züricher Friedensschluß, den man in der letzten Hälfte des October erwartete, von Seite» Neapels und des Papstes gedacht, da man hoffte, daß dieser Frieden wenigens die Romagna preisgeben werde. Der päpstliche General Kalbermatten zu Pcsaro ermahnte in einem Tagesbefehl seine Truppen zur Geduld, indem er ihnen zugleich ankündigte, „daß die Stunde der Gerechtigkeit nahe sei." Nun hieß es, Garibaldi wünsche dem Angriffe der Päpstlichen und Neapolitaner zuvorzukommen. In der That war dies gor nicht unwahrscheinlich, und vielleicht wäre es auch nicht unverständig gewesen. Eine revolutionäre junge Armee, wie es diejenige Mittelitaliens doch war, hat Chancen des Zusammenhaltes in der Regel mehr in der Thätigkeit, als in der Unthätigkeit. Freilich läßt sich sagen, daß sie der Organisation bedarf, und daß Zeit dazu gehört, diese zu vollenden. Das ist richtig, wo überhaupt eine nachhaltige Begeisterring vorhanden ist und ein lebhaftes Bolkstempera- ment nicht die Hauptrolle spielt, wo außerdem durchaus kein Mißtrauen in die Häupter der Bewegung herrscht und wo kräftig durchgegriffen wird. Diese Dinge aber fehlen in Mittelitalien sehr. Der Obergeneral und Kriegsminister Fanti ist in der That etwas pedantisch, durch und durch „regulärer Soldat," seine militärischen Fähigkeiten und Kenntnisse erheben sich wenig mehr über den Nullpunkt als seine politische» Anschauungen; Mißtrauen in die guten Absichten der Führer und deren Ausharren — auch in den bösen Stunde» — war in Mittel¬ italien genügend Vorhäute»; kräftiges, »»bedingtes Durchgreifen fehlte, wie sich schon ans dem ergibt, was wir früher von den militärischen Organisationen sagten. Andererseits hatten die Mittelitaliencr sich gegenüber die Schlüssel¬ soldaten, unter denen die alten Schweizer die einzigen waren, welche für Kriegsleute gelten konnten, und die Neapolitaner, welche, wie man erzählt, unter Heulen und Zähneklappen an die Grenze gerückt waren. Ein Erfolg gegen solche Feinde lag durchaus für Garibaldi nicht im Gebiete der Unmög¬ lichkeit, namentlich wenn schnell zugegriffen ward, noch ehe jene ihre Concen- tration vollendet hatten. Bon einem solchen Erfolge konnte man dann neues Zuströmen von Kräften zur Armee, die Ausbreitung der italienischen Jnsurrec- tion, eine neue vollendete Thatsache erwarten, welche eine zahme Intervention in die Angelegenheiten Mittclitaliens doppelt und dreifach erschwerte und da¬ durch vielleicht jeder Intervention mit desto größerer Sicherheit vorbeugte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/246>, abgerufen am 23.07.2024.