Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Briefe Napoleons -- das befriedigte die Italiener ebenso wenig, als was
noch gethan werden sollte. Von dem ersteren erkannte" sie mir an, daß Pie-
niont durch die Lombardei vergrößert war. und daß die Oestreicher ihr Be-
sajzungsrccht in Ferrara. Comacchio und Piacenza ausgaben. Das war etwas.
Dagegen wollten sie durchaus nicht begreifen, daß Venetien bei Oestreich bleiben
und doch eine rein italienische Provinz sein sollte. Von den vorbehaltenen
Rechten der Herzoge wollten sie gnr nichts wissen. Die Beseitigung jedes
Gedankens an eine fremde Intervention nahmen sie allerdings dankbar an;
aber was sollte geschehen, wenn die Herzoge zurückgeführt werden sollten und
die Italiener sie nicht wollten? Blieb nicht mindestens die Restauration wie
ein Damoklesschwert, wie eine beständige Drohung für Mittelitalien, auf jeden
Fall einer Aenderung der europäischen Verhältnisse über den Ländern hängen?
Von den auf dem Congreß zu erreichenden Dingen ward als gut nur die Ver¬
bindung von Parma und Piacenza mit Piemont angenommen; daß Mantua
und Peschiera Bundesfcstungen werden sollten, ließ sich hören, aber nicht wol
vorstellen ließ sichs, wie dabei die Schwierigkeiten überwunden werden sollten,
die wir oben besprochen haben. Oestreichische Reformen für Venetien, oder
gar nur östreichische Versprechungen von Reformen für Venetien gewährten
ungefähr so viele Beruhigung wie päpstliche Reformen und Versprechungen.
Und Toscana sollte der frühere Großherzog zurückerhalten, vielleicht noch mit
einer Gebietsvergrößerung (wo?); Modena sollte zwar nicht an seinen frühern
Beherrscher zurückkommen, aber dafür an die Herzogin von Parma. Muß
denn, so fragte man sich, diese arme Dame durchaus ein Land haben? Hier
hört selbst alle Berufung auf das frühere Recht auf; Modena braucht keinen
Herzog, aber eine Herzogin braucht ein Land. Warum soll der Herzog von
Modena leer ausgehen? Etwa deshalb, weil niemand sich gern einen Spitz¬
buben nennen läßt?

Der Refrain der italienischen Zeitungen in Betreff des Briefes Napoleons,
den doch andere Leute nicht für ganz undeutlich hielten, war dieser: er ändere
nichts an der Lage der Dinge, er gebe ja nur Rathschläge; die Italiener
könnten jetzt wie früher thun, was sie wollten, und das würden sie auch.
Jeder Kompromiß in Bezug auf Centralitalien würde von diesem selbst, wie
von Piemont, zurückgewiesen werden. Dieselbe Ansicht herrschte auch, in den
leitenden Kreisen oder man gab sich dort wenigstens den Anschein, als theile
man sie vollständig. Die Rcpräsentantenversammlungcn von Modena und der
Romagna traten am 6.. die von Parma und Toscana am 7. November zu¬
sammen. Am 7. und 8. November erklärten sie sich für die Regentschaft des
Prinzen von Carignan und es wurden sofort Deputationen nach Turin ge¬
sendet, um dem Prinzen und dem König Victor Emanuel Kunde von den
gefaßten Beschlüssen zu geben. Die Versammlung der Romagna hatte zugleich


Briefe Napoleons — das befriedigte die Italiener ebenso wenig, als was
noch gethan werden sollte. Von dem ersteren erkannte» sie mir an, daß Pie-
niont durch die Lombardei vergrößert war. und daß die Oestreicher ihr Be-
sajzungsrccht in Ferrara. Comacchio und Piacenza ausgaben. Das war etwas.
Dagegen wollten sie durchaus nicht begreifen, daß Venetien bei Oestreich bleiben
und doch eine rein italienische Provinz sein sollte. Von den vorbehaltenen
Rechten der Herzoge wollten sie gnr nichts wissen. Die Beseitigung jedes
Gedankens an eine fremde Intervention nahmen sie allerdings dankbar an;
aber was sollte geschehen, wenn die Herzoge zurückgeführt werden sollten und
die Italiener sie nicht wollten? Blieb nicht mindestens die Restauration wie
ein Damoklesschwert, wie eine beständige Drohung für Mittelitalien, auf jeden
Fall einer Aenderung der europäischen Verhältnisse über den Ländern hängen?
Von den auf dem Congreß zu erreichenden Dingen ward als gut nur die Ver¬
bindung von Parma und Piacenza mit Piemont angenommen; daß Mantua
und Peschiera Bundesfcstungen werden sollten, ließ sich hören, aber nicht wol
vorstellen ließ sichs, wie dabei die Schwierigkeiten überwunden werden sollten,
die wir oben besprochen haben. Oestreichische Reformen für Venetien, oder
gar nur östreichische Versprechungen von Reformen für Venetien gewährten
ungefähr so viele Beruhigung wie päpstliche Reformen und Versprechungen.
Und Toscana sollte der frühere Großherzog zurückerhalten, vielleicht noch mit
einer Gebietsvergrößerung (wo?); Modena sollte zwar nicht an seinen frühern
Beherrscher zurückkommen, aber dafür an die Herzogin von Parma. Muß
denn, so fragte man sich, diese arme Dame durchaus ein Land haben? Hier
hört selbst alle Berufung auf das frühere Recht auf; Modena braucht keinen
Herzog, aber eine Herzogin braucht ein Land. Warum soll der Herzog von
Modena leer ausgehen? Etwa deshalb, weil niemand sich gern einen Spitz¬
buben nennen läßt?

Der Refrain der italienischen Zeitungen in Betreff des Briefes Napoleons,
den doch andere Leute nicht für ganz undeutlich hielten, war dieser: er ändere
nichts an der Lage der Dinge, er gebe ja nur Rathschläge; die Italiener
könnten jetzt wie früher thun, was sie wollten, und das würden sie auch.
Jeder Kompromiß in Bezug auf Centralitalien würde von diesem selbst, wie
von Piemont, zurückgewiesen werden. Dieselbe Ansicht herrschte auch, in den
leitenden Kreisen oder man gab sich dort wenigstens den Anschein, als theile
man sie vollständig. Die Rcpräsentantenversammlungcn von Modena und der
Romagna traten am 6.. die von Parma und Toscana am 7. November zu¬
sammen. Am 7. und 8. November erklärten sie sich für die Regentschaft des
Prinzen von Carignan und es wurden sofort Deputationen nach Turin ge¬
sendet, um dem Prinzen und dem König Victor Emanuel Kunde von den
gefaßten Beschlüssen zu geben. Die Versammlung der Romagna hatte zugleich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0243" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108965"/>
          <p xml:id="ID_684" prev="#ID_683"> Briefe Napoleons &#x2014; das befriedigte die Italiener ebenso wenig, als was<lb/>
noch gethan werden sollte. Von dem ersteren erkannte» sie mir an, daß Pie-<lb/>
niont durch die Lombardei vergrößert war. und daß die Oestreicher ihr Be-<lb/>
sajzungsrccht in Ferrara. Comacchio und Piacenza ausgaben. Das war etwas.<lb/>
Dagegen wollten sie durchaus nicht begreifen, daß Venetien bei Oestreich bleiben<lb/>
und doch eine rein italienische Provinz sein sollte. Von den vorbehaltenen<lb/>
Rechten der Herzoge wollten sie gnr nichts wissen. Die Beseitigung jedes<lb/>
Gedankens an eine fremde Intervention nahmen sie allerdings dankbar an;<lb/>
aber was sollte geschehen, wenn die Herzoge zurückgeführt werden sollten und<lb/>
die Italiener sie nicht wollten? Blieb nicht mindestens die Restauration wie<lb/>
ein Damoklesschwert, wie eine beständige Drohung für Mittelitalien, auf jeden<lb/>
Fall einer Aenderung der europäischen Verhältnisse über den Ländern hängen?<lb/>
Von den auf dem Congreß zu erreichenden Dingen ward als gut nur die Ver¬<lb/>
bindung von Parma und Piacenza mit Piemont angenommen; daß Mantua<lb/>
und Peschiera Bundesfcstungen werden sollten, ließ sich hören, aber nicht wol<lb/>
vorstellen ließ sichs, wie dabei die Schwierigkeiten überwunden werden sollten,<lb/>
die wir oben besprochen haben. Oestreichische Reformen für Venetien, oder<lb/>
gar nur östreichische Versprechungen von Reformen für Venetien gewährten<lb/>
ungefähr so viele Beruhigung wie päpstliche Reformen und Versprechungen.<lb/>
Und Toscana sollte der frühere Großherzog zurückerhalten, vielleicht noch mit<lb/>
einer Gebietsvergrößerung (wo?); Modena sollte zwar nicht an seinen frühern<lb/>
Beherrscher zurückkommen, aber dafür an die Herzogin von Parma. Muß<lb/>
denn, so fragte man sich, diese arme Dame durchaus ein Land haben? Hier<lb/>
hört selbst alle Berufung auf das frühere Recht auf; Modena braucht keinen<lb/>
Herzog, aber eine Herzogin braucht ein Land. Warum soll der Herzog von<lb/>
Modena leer ausgehen? Etwa deshalb, weil niemand sich gern einen Spitz¬<lb/>
buben nennen läßt?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_685" next="#ID_686"> Der Refrain der italienischen Zeitungen in Betreff des Briefes Napoleons,<lb/>
den doch andere Leute nicht für ganz undeutlich hielten, war dieser: er ändere<lb/>
nichts an der Lage der Dinge, er gebe ja nur Rathschläge; die Italiener<lb/>
könnten jetzt wie früher thun, was sie wollten, und das würden sie auch.<lb/>
Jeder Kompromiß in Bezug auf Centralitalien würde von diesem selbst, wie<lb/>
von Piemont, zurückgewiesen werden. Dieselbe Ansicht herrschte auch, in den<lb/>
leitenden Kreisen oder man gab sich dort wenigstens den Anschein, als theile<lb/>
man sie vollständig. Die Rcpräsentantenversammlungcn von Modena und der<lb/>
Romagna traten am 6.. die von Parma und Toscana am 7. November zu¬<lb/>
sammen. Am 7. und 8. November erklärten sie sich für die Regentschaft des<lb/>
Prinzen von Carignan und es wurden sofort Deputationen nach Turin ge¬<lb/>
sendet, um dem Prinzen und dem König Victor Emanuel Kunde von den<lb/>
gefaßten Beschlüssen zu geben. Die Versammlung der Romagna hatte zugleich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0243] Briefe Napoleons — das befriedigte die Italiener ebenso wenig, als was noch gethan werden sollte. Von dem ersteren erkannte» sie mir an, daß Pie- niont durch die Lombardei vergrößert war. und daß die Oestreicher ihr Be- sajzungsrccht in Ferrara. Comacchio und Piacenza ausgaben. Das war etwas. Dagegen wollten sie durchaus nicht begreifen, daß Venetien bei Oestreich bleiben und doch eine rein italienische Provinz sein sollte. Von den vorbehaltenen Rechten der Herzoge wollten sie gnr nichts wissen. Die Beseitigung jedes Gedankens an eine fremde Intervention nahmen sie allerdings dankbar an; aber was sollte geschehen, wenn die Herzoge zurückgeführt werden sollten und die Italiener sie nicht wollten? Blieb nicht mindestens die Restauration wie ein Damoklesschwert, wie eine beständige Drohung für Mittelitalien, auf jeden Fall einer Aenderung der europäischen Verhältnisse über den Ländern hängen? Von den auf dem Congreß zu erreichenden Dingen ward als gut nur die Ver¬ bindung von Parma und Piacenza mit Piemont angenommen; daß Mantua und Peschiera Bundesfcstungen werden sollten, ließ sich hören, aber nicht wol vorstellen ließ sichs, wie dabei die Schwierigkeiten überwunden werden sollten, die wir oben besprochen haben. Oestreichische Reformen für Venetien, oder gar nur östreichische Versprechungen von Reformen für Venetien gewährten ungefähr so viele Beruhigung wie päpstliche Reformen und Versprechungen. Und Toscana sollte der frühere Großherzog zurückerhalten, vielleicht noch mit einer Gebietsvergrößerung (wo?); Modena sollte zwar nicht an seinen frühern Beherrscher zurückkommen, aber dafür an die Herzogin von Parma. Muß denn, so fragte man sich, diese arme Dame durchaus ein Land haben? Hier hört selbst alle Berufung auf das frühere Recht auf; Modena braucht keinen Herzog, aber eine Herzogin braucht ein Land. Warum soll der Herzog von Modena leer ausgehen? Etwa deshalb, weil niemand sich gern einen Spitz¬ buben nennen läßt? Der Refrain der italienischen Zeitungen in Betreff des Briefes Napoleons, den doch andere Leute nicht für ganz undeutlich hielten, war dieser: er ändere nichts an der Lage der Dinge, er gebe ja nur Rathschläge; die Italiener könnten jetzt wie früher thun, was sie wollten, und das würden sie auch. Jeder Kompromiß in Bezug auf Centralitalien würde von diesem selbst, wie von Piemont, zurückgewiesen werden. Dieselbe Ansicht herrschte auch, in den leitenden Kreisen oder man gab sich dort wenigstens den Anschein, als theile man sie vollständig. Die Rcpräsentantenversammlungcn von Modena und der Romagna traten am 6.. die von Parma und Toscana am 7. November zu¬ sammen. Am 7. und 8. November erklärten sie sich für die Regentschaft des Prinzen von Carignan und es wurden sofort Deputationen nach Turin ge¬ sendet, um dem Prinzen und dem König Victor Emanuel Kunde von den gefaßten Beschlüssen zu geben. Die Versammlung der Romagna hatte zugleich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/243
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/243>, abgerufen am 23.07.2024.