Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.zerstreuten Beurlaubten einzuziehen, mußte man sich entschließen, den Kriegs¬ Der traurige Ausgang des Krieges von 1806 ist jedermann bekannt. Um zerstreuten Beurlaubten einzuziehen, mußte man sich entschließen, den Kriegs¬ Der traurige Ausgang des Krieges von 1806 ist jedermann bekannt. Um <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0230" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108952"/> <p xml:id="ID_651" prev="#ID_650"> zerstreuten Beurlaubten einzuziehen, mußte man sich entschließen, den Kriegs¬<lb/> schauplatz bis an die Saale zurückzuverle gen. Dennoch konnten<lb/> die ostpreußischen Regimenter zum Schlachttage nicht mit der übrigen<lb/> Armee vereinigt werden. Gleich nachtheilig wirkte die Beurlaubung eines<lb/> Theils des stehenden Heeres durch die ungenügende Ausbildung, die dem<lb/> Soldaten während einer kurzen Rekrutenzeit in der Benutzung des Ter¬<lb/> rains, bei zerstreuten Gefechten, im Scheibenschießen, in der Kenntniß und<lb/> dem Gebrauch des Gewehrs und in den nöthigen Evolutionen gegeben<lb/> werden konnte. Die Gewöhnung an militärische Ordnung und strengen Ge¬<lb/> horsam, wodurch eine gänzliche Auflösung in den Tagen des Unglücks allein<lb/> vermieden werden kann, war in einer so kurzen, oft unterbrochenen Dienst¬<lb/> zeit nicht zu erreichen. Zu diesen Mängeln gehörten zweitens die Einthei-<lb/> lung der Provinzen in Negimentscantone. Durch sie wurden die Regimenter<lb/> auf einen kleinen Bezirk des Staates beschränkt, in welchem Offiziere und Sol¬<lb/> daten sich einbürgerten und nicht selten die Pflicht der Vaterlandsvertheidigung<lb/> vernachlässigten. Ganze Regimenter lösten sich aus. als 1806 die Provinzen,<lb/> in denen sie geboren, vom Feinde besetzt wurden, und kehrten in ihre Heimat<lb/> zurück. Aehnliche Erfahrungen hatte schon Friedrich der Große gemacht, als<lb/> er die sächsische Infanterie zusammen ließ. Sie wiederholte sich an den süd¬<lb/> preußischen Regimentern. Drittens kam dazu die zerstreute Dislocation der Ar¬<lb/> mee im Frieden, ohne alle Verbindung- der verschiedenen Waffen untereinander.<lb/> Sie mußte die Bildung der Offiziere für den Krieg bei dem Abgange erfahrener<lb/> Vorgesetzten ungemein erschweren. Beschränkt auf das Reglement ihrer Waffe<lb/> fanden sie keine Gelegenheit, den kleinen Krieg praktisch zu erlernen. Die Aus¬<lb/> bildung in den Kriegswissenschaften, die Errichtung von Lehranstalten für so<lb/> viele einzelne Garnisonen wurde fast völlig unausführbar.</p><lb/> <p xml:id="ID_652" next="#ID_653"> Der traurige Ausgang des Krieges von 1806 ist jedermann bekannt. Um<lb/> aber gerecht zu sein, muß man sich erinnern, daß der Unterschied der Streit-<lb/> kräfte so groß war, daß das Resultat des Krieges auf die Dauer sich un¬<lb/> möglich günstig stellen konnte. Frankreich hatte damals 40 Millionen Ein¬<lb/> wohner und ein Heer von 500,000 Soldaten, die seit zehn Jahren fast auf<lb/> allen Schlachtfeldern Europas gekämpft hatten. Ein Staat, der nur ein Vier¬<lb/> tel dieser Streitkräfte mobil hatte, mußte auf die Dauer unterliegen. Hierzu<lb/> kam, daß an der Spitze der französischen Krieger der Kaiser selbst als Heer¬<lb/> führer stand, und da gilt Wallensteins Wort: daß Gustav Adolph deswegen<lb/> unbesiegbar gewesen sei, weil er zu gleicher Zeit König und Feldherr gewesen.<lb/> Endlich aber war dieser Kaiser zugleich einer der größten Generale seines Jahr¬<lb/> hunderts. Mancherlei Unglücksfälle, die nicht vorauszusehen gewesen, wirkten<lb/> überdieß gegen Preußen. Man ist übrigens gegen die Verwirrung und Rath-<lb/> losigkeit, die nach der Schlacht bei Jena eintrat, gerechter geworden, seit man</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0230]
zerstreuten Beurlaubten einzuziehen, mußte man sich entschließen, den Kriegs¬
schauplatz bis an die Saale zurückzuverle gen. Dennoch konnten
die ostpreußischen Regimenter zum Schlachttage nicht mit der übrigen
Armee vereinigt werden. Gleich nachtheilig wirkte die Beurlaubung eines
Theils des stehenden Heeres durch die ungenügende Ausbildung, die dem
Soldaten während einer kurzen Rekrutenzeit in der Benutzung des Ter¬
rains, bei zerstreuten Gefechten, im Scheibenschießen, in der Kenntniß und
dem Gebrauch des Gewehrs und in den nöthigen Evolutionen gegeben
werden konnte. Die Gewöhnung an militärische Ordnung und strengen Ge¬
horsam, wodurch eine gänzliche Auflösung in den Tagen des Unglücks allein
vermieden werden kann, war in einer so kurzen, oft unterbrochenen Dienst¬
zeit nicht zu erreichen. Zu diesen Mängeln gehörten zweitens die Einthei-
lung der Provinzen in Negimentscantone. Durch sie wurden die Regimenter
auf einen kleinen Bezirk des Staates beschränkt, in welchem Offiziere und Sol¬
daten sich einbürgerten und nicht selten die Pflicht der Vaterlandsvertheidigung
vernachlässigten. Ganze Regimenter lösten sich aus. als 1806 die Provinzen,
in denen sie geboren, vom Feinde besetzt wurden, und kehrten in ihre Heimat
zurück. Aehnliche Erfahrungen hatte schon Friedrich der Große gemacht, als
er die sächsische Infanterie zusammen ließ. Sie wiederholte sich an den süd¬
preußischen Regimentern. Drittens kam dazu die zerstreute Dislocation der Ar¬
mee im Frieden, ohne alle Verbindung- der verschiedenen Waffen untereinander.
Sie mußte die Bildung der Offiziere für den Krieg bei dem Abgange erfahrener
Vorgesetzten ungemein erschweren. Beschränkt auf das Reglement ihrer Waffe
fanden sie keine Gelegenheit, den kleinen Krieg praktisch zu erlernen. Die Aus¬
bildung in den Kriegswissenschaften, die Errichtung von Lehranstalten für so
viele einzelne Garnisonen wurde fast völlig unausführbar.
Der traurige Ausgang des Krieges von 1806 ist jedermann bekannt. Um
aber gerecht zu sein, muß man sich erinnern, daß der Unterschied der Streit-
kräfte so groß war, daß das Resultat des Krieges auf die Dauer sich un¬
möglich günstig stellen konnte. Frankreich hatte damals 40 Millionen Ein¬
wohner und ein Heer von 500,000 Soldaten, die seit zehn Jahren fast auf
allen Schlachtfeldern Europas gekämpft hatten. Ein Staat, der nur ein Vier¬
tel dieser Streitkräfte mobil hatte, mußte auf die Dauer unterliegen. Hierzu
kam, daß an der Spitze der französischen Krieger der Kaiser selbst als Heer¬
führer stand, und da gilt Wallensteins Wort: daß Gustav Adolph deswegen
unbesiegbar gewesen sei, weil er zu gleicher Zeit König und Feldherr gewesen.
Endlich aber war dieser Kaiser zugleich einer der größten Generale seines Jahr¬
hunderts. Mancherlei Unglücksfälle, die nicht vorauszusehen gewesen, wirkten
überdieß gegen Preußen. Man ist übrigens gegen die Verwirrung und Rath-
losigkeit, die nach der Schlacht bei Jena eintrat, gerechter geworden, seit man
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