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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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den blutigen Kriegen von 1688 und 1697, wie in dem spanischen Erb-
folgekrieg war das Heer am Rhein gegen 30,000 Mann stark und führte
60 Kämmen.

Unter der Regierung Friedrich Wilhelms des Ersten von 1713 bis
17 40, wurde die Armee verdoppelt und erhielt in ihrer Zusammensetzung eine
ganz neue Basis. Wie der große Kurfürst das Heer lediglich auf das Werbe-
system gegründet hatte, so führte sein Enkel das Cantonsystem ein, so
daß das Heer halb aus gewordenen und halb ans gezogenen Leuten bestand.
Die Veranlassung zu dieser Veränderung war folgende. Der König liebte
gros;e Soldaten. Schon unter seinem Vater war diese Liebhaberei aufgekom¬
men. Das Handgeld für diese Niesen wurde immer theurer. Man bezahlte
gegen das Jahr 1730 für einen Soldaten von 5 Fuß 10 Zoll 700 Thaler,
für einen von 6 Fuß 1000 Thaler, aber trotzdem blieb die Zahl immer nur
gering. Um nun zu erfahren, wie viele große Jünglinge vorhanden wären,
beschloß man, sie im ganzen Lande aufzuschreiben und sie zu messen, um sick
eine Art Statistik über sie zu verschaffen. Man fing an Rollen und Register
zu führen, in diese alle Knaben einzutragen, und wenn sie erwachsen waren,
fleißig nachzumessen, ob sie die vorgeschriebene Größe hatten. Das Land wurde
in Cantone getheilt und jedem Regiment ein solcher Canton zur Aushebung
von Rekruten angewiesen. Die Größe der Cantone wurde so angenommen,
daß für ein Infanterieregiment 5000 Feuerstellen und für ein Kavallerieregi¬
ment 1800 Feuerstellen darin enthalten waren. Ausgenommen von dieser
Eintheilung waren die Fürstentümer Ostfncsland, Mörs, Neufchatel. Lingen,
Tccklcnbulg; ein Theil der Grafschaft Mark, nämlich die Bergwerks- und
Fabrikgcgend, wie später die sechs schlesischen Gebirgskreise, auch der Fabriken
wegen. Sodann die Städte Berlin, Potsdam, Breslau, Brandenburg und
die Altstadt Magdeburg. Das Heer erhielt auf diesem Wege treffliche Sol¬
daten. Söhne von zum Theil begüterten Landleuten und Bürgern; denn jeder,
die genannten Ausnahmen abgerechnet, war der Cantonpflichtigkeit unterworfen.
Weil es indeß nachtheilig schien, so viele gesunde Arme dem Feldbau und den
Gewerben zu entziehen, so ergriff man das Austunftsnüttcl, den Soldaten
die Erlaubniß zu geben, Monate lang in ihre Heimat zurückzukehren. Der
Hauptmann behielt unter der Zeit den Sold, und der beurlaubte Inländer
war jährlich nur etwa einen Monat bei der Fahne. Der König gab nun den
Hauptleuten auf, für die Löhnung der Beurlaubten im Reiche werben zu lassen.
Dabei war die Bedingung gestellt, daß sie große und schöne Leute schaffen
mußten. So bestand in dieser Zeit das Heer theils aus stehenden Soldaten,
theils aus Miliz, oder wenn man will, wohlgcübter Landwehr. Fürst Leopold
von Dessau, damals Feldmarschall, war ganz dazu gemacht, ein Heer in neuer
Weise zu bilden.' Die große Sparsamkeit, Ordnungsliebe und Pünktlichkeit


den blutigen Kriegen von 1688 und 1697, wie in dem spanischen Erb-
folgekrieg war das Heer am Rhein gegen 30,000 Mann stark und führte
60 Kämmen.

Unter der Regierung Friedrich Wilhelms des Ersten von 1713 bis
17 40, wurde die Armee verdoppelt und erhielt in ihrer Zusammensetzung eine
ganz neue Basis. Wie der große Kurfürst das Heer lediglich auf das Werbe-
system gegründet hatte, so führte sein Enkel das Cantonsystem ein, so
daß das Heer halb aus gewordenen und halb ans gezogenen Leuten bestand.
Die Veranlassung zu dieser Veränderung war folgende. Der König liebte
gros;e Soldaten. Schon unter seinem Vater war diese Liebhaberei aufgekom¬
men. Das Handgeld für diese Niesen wurde immer theurer. Man bezahlte
gegen das Jahr 1730 für einen Soldaten von 5 Fuß 10 Zoll 700 Thaler,
für einen von 6 Fuß 1000 Thaler, aber trotzdem blieb die Zahl immer nur
gering. Um nun zu erfahren, wie viele große Jünglinge vorhanden wären,
beschloß man, sie im ganzen Lande aufzuschreiben und sie zu messen, um sick
eine Art Statistik über sie zu verschaffen. Man fing an Rollen und Register
zu führen, in diese alle Knaben einzutragen, und wenn sie erwachsen waren,
fleißig nachzumessen, ob sie die vorgeschriebene Größe hatten. Das Land wurde
in Cantone getheilt und jedem Regiment ein solcher Canton zur Aushebung
von Rekruten angewiesen. Die Größe der Cantone wurde so angenommen,
daß für ein Infanterieregiment 5000 Feuerstellen und für ein Kavallerieregi¬
ment 1800 Feuerstellen darin enthalten waren. Ausgenommen von dieser
Eintheilung waren die Fürstentümer Ostfncsland, Mörs, Neufchatel. Lingen,
Tccklcnbulg; ein Theil der Grafschaft Mark, nämlich die Bergwerks- und
Fabrikgcgend, wie später die sechs schlesischen Gebirgskreise, auch der Fabriken
wegen. Sodann die Städte Berlin, Potsdam, Breslau, Brandenburg und
die Altstadt Magdeburg. Das Heer erhielt auf diesem Wege treffliche Sol¬
daten. Söhne von zum Theil begüterten Landleuten und Bürgern; denn jeder,
die genannten Ausnahmen abgerechnet, war der Cantonpflichtigkeit unterworfen.
Weil es indeß nachtheilig schien, so viele gesunde Arme dem Feldbau und den
Gewerben zu entziehen, so ergriff man das Austunftsnüttcl, den Soldaten
die Erlaubniß zu geben, Monate lang in ihre Heimat zurückzukehren. Der
Hauptmann behielt unter der Zeit den Sold, und der beurlaubte Inländer
war jährlich nur etwa einen Monat bei der Fahne. Der König gab nun den
Hauptleuten auf, für die Löhnung der Beurlaubten im Reiche werben zu lassen.
Dabei war die Bedingung gestellt, daß sie große und schöne Leute schaffen
mußten. So bestand in dieser Zeit das Heer theils aus stehenden Soldaten,
theils aus Miliz, oder wenn man will, wohlgcübter Landwehr. Fürst Leopold
von Dessau, damals Feldmarschall, war ganz dazu gemacht, ein Heer in neuer
Weise zu bilden.' Die große Sparsamkeit, Ordnungsliebe und Pünktlichkeit


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[0222] den blutigen Kriegen von 1688 und 1697, wie in dem spanischen Erb- folgekrieg war das Heer am Rhein gegen 30,000 Mann stark und führte 60 Kämmen. Unter der Regierung Friedrich Wilhelms des Ersten von 1713 bis 17 40, wurde die Armee verdoppelt und erhielt in ihrer Zusammensetzung eine ganz neue Basis. Wie der große Kurfürst das Heer lediglich auf das Werbe- system gegründet hatte, so führte sein Enkel das Cantonsystem ein, so daß das Heer halb aus gewordenen und halb ans gezogenen Leuten bestand. Die Veranlassung zu dieser Veränderung war folgende. Der König liebte gros;e Soldaten. Schon unter seinem Vater war diese Liebhaberei aufgekom¬ men. Das Handgeld für diese Niesen wurde immer theurer. Man bezahlte gegen das Jahr 1730 für einen Soldaten von 5 Fuß 10 Zoll 700 Thaler, für einen von 6 Fuß 1000 Thaler, aber trotzdem blieb die Zahl immer nur gering. Um nun zu erfahren, wie viele große Jünglinge vorhanden wären, beschloß man, sie im ganzen Lande aufzuschreiben und sie zu messen, um sick eine Art Statistik über sie zu verschaffen. Man fing an Rollen und Register zu führen, in diese alle Knaben einzutragen, und wenn sie erwachsen waren, fleißig nachzumessen, ob sie die vorgeschriebene Größe hatten. Das Land wurde in Cantone getheilt und jedem Regiment ein solcher Canton zur Aushebung von Rekruten angewiesen. Die Größe der Cantone wurde so angenommen, daß für ein Infanterieregiment 5000 Feuerstellen und für ein Kavallerieregi¬ ment 1800 Feuerstellen darin enthalten waren. Ausgenommen von dieser Eintheilung waren die Fürstentümer Ostfncsland, Mörs, Neufchatel. Lingen, Tccklcnbulg; ein Theil der Grafschaft Mark, nämlich die Bergwerks- und Fabrikgcgend, wie später die sechs schlesischen Gebirgskreise, auch der Fabriken wegen. Sodann die Städte Berlin, Potsdam, Breslau, Brandenburg und die Altstadt Magdeburg. Das Heer erhielt auf diesem Wege treffliche Sol¬ daten. Söhne von zum Theil begüterten Landleuten und Bürgern; denn jeder, die genannten Ausnahmen abgerechnet, war der Cantonpflichtigkeit unterworfen. Weil es indeß nachtheilig schien, so viele gesunde Arme dem Feldbau und den Gewerben zu entziehen, so ergriff man das Austunftsnüttcl, den Soldaten die Erlaubniß zu geben, Monate lang in ihre Heimat zurückzukehren. Der Hauptmann behielt unter der Zeit den Sold, und der beurlaubte Inländer war jährlich nur etwa einen Monat bei der Fahne. Der König gab nun den Hauptleuten auf, für die Löhnung der Beurlaubten im Reiche werben zu lassen. Dabei war die Bedingung gestellt, daß sie große und schöne Leute schaffen mußten. So bestand in dieser Zeit das Heer theils aus stehenden Soldaten, theils aus Miliz, oder wenn man will, wohlgcübter Landwehr. Fürst Leopold von Dessau, damals Feldmarschall, war ganz dazu gemacht, ein Heer in neuer Weise zu bilden.' Die große Sparsamkeit, Ordnungsliebe und Pünktlichkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/222>, abgerufen am 23.07.2024.