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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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hatte dazu auch im Paderborner Lande dieselbe Gelegenheit, wo sie bei den
Verwandten ihrer Mutter, der geistreichen von Haxthausenschen Familie, öfter
verweilte. Bei ihrem trefflichen Gedächtniß wußte sie alle Histörchen. Schauer¬
geschichten und charakteristischen Gebräuche aus ganz Westfalen zu erzählen und
später in ihren Productionen zu benutzen. Letztere blieben jedoch weit hinter
dem Humor ihrer mündlichen Darstellung zurück.

Dagegen brachte sie die ernste Seite ihres Wesens mehr zur Geltung
beim Schreiben; sie vermied es im persönlichen Verkehr die Warnungsstimmen
und die strenge Richtung laut werden zu lassen, wodurch ihren Gedichten ein
so ernstes Gepräge verliehen ward. Aber eigentlich war ihr ganzes Innere
von dem Wunsch durchdrungen, "ihre Mitmenschen vor dem Unglück der Sünde
zu bewahren"; daß dies nicht durch trockenes Moralpredigen geschehen könne,
fühlte sie und sand im Drange ihres heiligen Mitleids in der Poesie die
beste Vermittlerin ihrer Gewissensrufe, mit denen sie alle verstockten Herzen
hätte wecken mögen. Schon in früher Jugend, wo andere junge Damen
mit Bällen und Eitelkeitöftcuden ihre Interessen ausfüllen, hatte Annette v.
Droste diese ernste Richtung und empfand die heftigste Abneigung vor den
losen Grundsätzen der damaligen Zeit, die namentlich in zahlreichen Ehe¬
scheidungen und verbotenen Liebesverhältnissen zu Tage traten. Dem katho¬
lischen Münsterlande erschien die einreißende Sittenlosigkeit als eine erst unter
der neuen preußischen Herrschaft entstandene Landplage, und es hatte allerdings
den Anschein, wenn man auch nur die Beispiele rechnet, die unter den höhern
Officieren und Beamten damals vorkamen. Annette v. Droste trat ungefähr
zu dieser Zeit, um das Jahr 1816 in die Gesellschaft, namentlich war sie
viel in dem Hause der Gemahlin des preußischen höchstkommandirenden Gene¬
rals v. Thielemann, einer geistvollen, aber exaltirten Dame, die auch später
katholisch wurde. In diesen Kreisen lernte Annette v. Droste das Weltleben
kennen und fürchten, sie fühlte den Werth und die Würde ihrer heimischen
Sitten doppelt und wendete sich ihnen mit erneuter Liebe zu. Gegen die
Huldigungen der Männer, die ihr in der Jugend reichlich zu Theil wurden,
bezeigte sie sich undinenhaft kalt und äußerte bei jeder Bewerbung um ihre
Hand eine unüberwindliche Ehescheu. Dennoch war sie eine kurze Zeit lang
verlobt, brach aber das Verhältniß augenblicklich wieder ab, als sie entdeckte,
daß der Verlobte ihretwegen ein anderes Mädchen verlassen hatte. Dieser
Vorfall ereignete sich am Rhein, wo sie im Hause eines Grafen Haxthausen
zum Besuch war. Dort lernte sie auch Simrock und die Schoppenhauers
kennen, eigentlich ihre einzigen literarischen Bekanntschaften in der Jugendzeit,
wie denn überhaupt nichts gejchah. um ihre dichterische Begabung zu Pflegen.
Sie hatte als Kind schon zuweilen Verse gemacht und als ganz junges Mäd¬
chen sogar ein Gedicht in mehreren Gesängen, das indeß keine Spur von


hatte dazu auch im Paderborner Lande dieselbe Gelegenheit, wo sie bei den
Verwandten ihrer Mutter, der geistreichen von Haxthausenschen Familie, öfter
verweilte. Bei ihrem trefflichen Gedächtniß wußte sie alle Histörchen. Schauer¬
geschichten und charakteristischen Gebräuche aus ganz Westfalen zu erzählen und
später in ihren Productionen zu benutzen. Letztere blieben jedoch weit hinter
dem Humor ihrer mündlichen Darstellung zurück.

Dagegen brachte sie die ernste Seite ihres Wesens mehr zur Geltung
beim Schreiben; sie vermied es im persönlichen Verkehr die Warnungsstimmen
und die strenge Richtung laut werden zu lassen, wodurch ihren Gedichten ein
so ernstes Gepräge verliehen ward. Aber eigentlich war ihr ganzes Innere
von dem Wunsch durchdrungen, „ihre Mitmenschen vor dem Unglück der Sünde
zu bewahren"; daß dies nicht durch trockenes Moralpredigen geschehen könne,
fühlte sie und sand im Drange ihres heiligen Mitleids in der Poesie die
beste Vermittlerin ihrer Gewissensrufe, mit denen sie alle verstockten Herzen
hätte wecken mögen. Schon in früher Jugend, wo andere junge Damen
mit Bällen und Eitelkeitöftcuden ihre Interessen ausfüllen, hatte Annette v.
Droste diese ernste Richtung und empfand die heftigste Abneigung vor den
losen Grundsätzen der damaligen Zeit, die namentlich in zahlreichen Ehe¬
scheidungen und verbotenen Liebesverhältnissen zu Tage traten. Dem katho¬
lischen Münsterlande erschien die einreißende Sittenlosigkeit als eine erst unter
der neuen preußischen Herrschaft entstandene Landplage, und es hatte allerdings
den Anschein, wenn man auch nur die Beispiele rechnet, die unter den höhern
Officieren und Beamten damals vorkamen. Annette v. Droste trat ungefähr
zu dieser Zeit, um das Jahr 1816 in die Gesellschaft, namentlich war sie
viel in dem Hause der Gemahlin des preußischen höchstkommandirenden Gene¬
rals v. Thielemann, einer geistvollen, aber exaltirten Dame, die auch später
katholisch wurde. In diesen Kreisen lernte Annette v. Droste das Weltleben
kennen und fürchten, sie fühlte den Werth und die Würde ihrer heimischen
Sitten doppelt und wendete sich ihnen mit erneuter Liebe zu. Gegen die
Huldigungen der Männer, die ihr in der Jugend reichlich zu Theil wurden,
bezeigte sie sich undinenhaft kalt und äußerte bei jeder Bewerbung um ihre
Hand eine unüberwindliche Ehescheu. Dennoch war sie eine kurze Zeit lang
verlobt, brach aber das Verhältniß augenblicklich wieder ab, als sie entdeckte,
daß der Verlobte ihretwegen ein anderes Mädchen verlassen hatte. Dieser
Vorfall ereignete sich am Rhein, wo sie im Hause eines Grafen Haxthausen
zum Besuch war. Dort lernte sie auch Simrock und die Schoppenhauers
kennen, eigentlich ihre einzigen literarischen Bekanntschaften in der Jugendzeit,
wie denn überhaupt nichts gejchah. um ihre dichterische Begabung zu Pflegen.
Sie hatte als Kind schon zuweilen Verse gemacht und als ganz junges Mäd¬
chen sogar ein Gedicht in mehreren Gesängen, das indeß keine Spur von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/209>, abgerufen am 23.07.2024.