Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.sprechendes Bild von ihm: "er selbst ein wunderlich Gedicht, begriffen schwer, 25*
sprechendes Bild von ihm: „er selbst ein wunderlich Gedicht, begriffen schwer, 25*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0207" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108929"/> <p xml:id="ID_591" prev="#ID_590" next="#ID_592"> sprechendes Bild von ihm: „er selbst ein wunderlich Gedicht, begriffen schwer,<lb/> doch leicht gefühlt." Annette v. Droste war den beiden jungen Dichtern<lb/> eine mütterliche Freundin, die Vertraute ihrer Leiden und Freuden, die Rath-<lb/> geberin in den drückenden Zuständen, mit denen beide lange Zeit zu kämpfen<lb/> hatten. Sie besaß überhaupt eine wahre Virtuosität in der Freundschaft: sie<lb/> verstand es. den verschiedenartigsten Individualitäten zu genügen, und wurde<lb/> von allen in einer Weise geliebt und verehrt, die an Abgötterei grenzte. Sie<lb/> theilte übrigens nicht die Vorliebe für Männerfreundschaften, welche sonst den<lb/> genialen Frauen eigen zu sein pflegt, und obwol sie sich des Zaubers bewußt<lb/> war, den sie auf jeden nur einigermaßen poetisch erregbaren Mann übte, so<lb/> strebte sie nie danach, ihn anzuwenden, sondern suchte vielmehr danach, weib¬<lb/> liche Freundschaftsbande anzuknüpfen. In ihren Gedichten hat sie auch diesen<lb/> die schönsten Monumente gesetzt. Sammlung I. Seite 120 besingt sie Schückings<lb/> Mutter in rührendster Weise. Ebendaselbst Seite 140 und 141 die gemüth¬<lb/> volle Dichterin Henriette von Hohenhausen. Dann Seite 1«9 deren Nichte<lb/> Elise Rüdiger, eine geistreich dilettirende Schriftstellerin, die nachmals mehr¬<lb/> fach über die Droste geschrieben hat und auch zu diesen Notizen benutzt worden<lb/> ist. Endlich gehört hierher der Traum an Amalie Hassenpflug, eine Schwester<lb/> des kurhessischen Ministers (S. 100). Alle Namen zu nennen, die in Freund¬<lb/> schaftsverkehr mit Annette v. Droste standen, würde hier zu weit führen; er¬<lb/> wähnt sei nur noch, daß sie auch mit mehreren namhaften Gelehrten corre-<lb/> spondirte, die sie auf dem Schlosse Meersburg am Bodensee bei ihrem als<lb/> Bibliographen berühmten Schwager, dem Freiherrn von Laßberg kennen gelernt<lb/> hatte. Sie pflegte dort längere Zeit zu verweilen, weil das Klima ihr mehr<lb/> zusagte, als die feuchte Nebelluft des Münsterlandes. Ihre einsiedlerische<lb/> Lebensweise war jedoch überall dieselbe; am Bodensee bewohnte sie einen<lb/> ruinenhaften Schloßthurm ganz allein und sah oft tagelang kaum ihre Ver¬<lb/> wandten. Das köstliche wilde Lied: „Am Thurm" und die Beschreibungen<lb/> der feudalen Herrlichkeiten, so wie die mystischen Wassergeister des Bodensees,<lb/> sind in jener Einsamkeit entstanden. Annette v. Droste kehrte aber immer<lb/> gern aus der prächtigen Alpengegend heim nach dem ärmlichen stillen Haidc-<lb/> strich, wo ihre Einsiedelei Nüschhaus lag. Sie hatte dort ihre Sammlungen<lb/> von Kunstschätzen und Seltenheiten aller Art, wissenschaftlich geordnete Mine¬<lb/> ralien, Münzen, Gemmen, Gemälde, Autographen; namentlich waren alte kost¬<lb/> bare Uhren ihre Leidenschaft. Das Gedicht, der „Sommertagstraum" zeigt,<lb/> wie ihre Phantasie sich auch dieser Stoffe zu bemächtigen wußte. Ebenso<lb/> ist die „Mergelgrube" aus ihren Ercursionen entstanden, die sie mit dem geo-<lb/> gnostischen Hammer bewaffnet, wie eine Rome aussehend, in der sandigen Haide<lb/> so oft unternahm. Die daguerreotypisch treue Zeichnung der Natur in ihren<lb/> Gedichten hat sie jedenfalls bei diesem Umherschweifen gelernt; sie liebte es</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 25*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0207]
sprechendes Bild von ihm: „er selbst ein wunderlich Gedicht, begriffen schwer,
doch leicht gefühlt." Annette v. Droste war den beiden jungen Dichtern
eine mütterliche Freundin, die Vertraute ihrer Leiden und Freuden, die Rath-
geberin in den drückenden Zuständen, mit denen beide lange Zeit zu kämpfen
hatten. Sie besaß überhaupt eine wahre Virtuosität in der Freundschaft: sie
verstand es. den verschiedenartigsten Individualitäten zu genügen, und wurde
von allen in einer Weise geliebt und verehrt, die an Abgötterei grenzte. Sie
theilte übrigens nicht die Vorliebe für Männerfreundschaften, welche sonst den
genialen Frauen eigen zu sein pflegt, und obwol sie sich des Zaubers bewußt
war, den sie auf jeden nur einigermaßen poetisch erregbaren Mann übte, so
strebte sie nie danach, ihn anzuwenden, sondern suchte vielmehr danach, weib¬
liche Freundschaftsbande anzuknüpfen. In ihren Gedichten hat sie auch diesen
die schönsten Monumente gesetzt. Sammlung I. Seite 120 besingt sie Schückings
Mutter in rührendster Weise. Ebendaselbst Seite 140 und 141 die gemüth¬
volle Dichterin Henriette von Hohenhausen. Dann Seite 1«9 deren Nichte
Elise Rüdiger, eine geistreich dilettirende Schriftstellerin, die nachmals mehr¬
fach über die Droste geschrieben hat und auch zu diesen Notizen benutzt worden
ist. Endlich gehört hierher der Traum an Amalie Hassenpflug, eine Schwester
des kurhessischen Ministers (S. 100). Alle Namen zu nennen, die in Freund¬
schaftsverkehr mit Annette v. Droste standen, würde hier zu weit führen; er¬
wähnt sei nur noch, daß sie auch mit mehreren namhaften Gelehrten corre-
spondirte, die sie auf dem Schlosse Meersburg am Bodensee bei ihrem als
Bibliographen berühmten Schwager, dem Freiherrn von Laßberg kennen gelernt
hatte. Sie pflegte dort längere Zeit zu verweilen, weil das Klima ihr mehr
zusagte, als die feuchte Nebelluft des Münsterlandes. Ihre einsiedlerische
Lebensweise war jedoch überall dieselbe; am Bodensee bewohnte sie einen
ruinenhaften Schloßthurm ganz allein und sah oft tagelang kaum ihre Ver¬
wandten. Das köstliche wilde Lied: „Am Thurm" und die Beschreibungen
der feudalen Herrlichkeiten, so wie die mystischen Wassergeister des Bodensees,
sind in jener Einsamkeit entstanden. Annette v. Droste kehrte aber immer
gern aus der prächtigen Alpengegend heim nach dem ärmlichen stillen Haidc-
strich, wo ihre Einsiedelei Nüschhaus lag. Sie hatte dort ihre Sammlungen
von Kunstschätzen und Seltenheiten aller Art, wissenschaftlich geordnete Mine¬
ralien, Münzen, Gemmen, Gemälde, Autographen; namentlich waren alte kost¬
bare Uhren ihre Leidenschaft. Das Gedicht, der „Sommertagstraum" zeigt,
wie ihre Phantasie sich auch dieser Stoffe zu bemächtigen wußte. Ebenso
ist die „Mergelgrube" aus ihren Ercursionen entstanden, die sie mit dem geo-
gnostischen Hammer bewaffnet, wie eine Rome aussehend, in der sandigen Haide
so oft unternahm. Die daguerreotypisch treue Zeichnung der Natur in ihren
Gedichten hat sie jedenfalls bei diesem Umherschweifen gelernt; sie liebte es
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