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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Register der Kirchgemeinde Se. Cergues (Schweiz) eingetragen. Da aber die
Bewohner sich zur katholischen Confession bekennen, so lassen sie ihre Kinder
gewöhnlich in den französischen Kirchen van ich NousseS oder Premanon
taufen; indessen unterlassen sie nicht, deren Geburt in Se. Cergues eintragen
zu lassen. In gleicher Weise verfahren sie bei den Heiraths- und Sterbe-
fällen: die Heirathen vollziehen sie auch bürgerlich vor dem Friedensrichter
des Kreises Gingins (Schweiz).

Im Dappenthale selbst besteht weder Kirche noch Schule; die Einwohner
besuchen den öffentlichen Gottesdienst von les Rousses oder Premanon und
die Schulen dieser Ortschaften. Die Vormundschaften sind unter die Autori¬
tät des Friedensrichters von Gingins gestellt, der die Vormünder ernennt,
ihre Rechnungen prüft, die Inventarien aufnehmen läßt und die Testamente
homologirt.

Nach allem ist es unzweifelhaft, daß die Souveränetät im Dappenthale
factisch durch die Schweiz ausgeübt wird, und davon nur der Unterhalt der
Straße von les Rousses nach Gex eine Ausnahme macht, der von Frankreich
geleistet wird und den die Schweiz seit 1815 stillschweigend geduldet hat.

In den seit bald fünfzig Jahren dauernden Verhandlungen über das
Dappcnthal betonten die schweizerischen Behörden die militärische Bedeutung
desselben unausgesetzt. Zu wiederholten Malen wurden die Urtheile von
Officieren eingeholt, welche, je nach dem ihnen gewordenen Auftrage, ihre An¬
sichten entweder über die Bedeutung des ganzen Thales, oder aber über die
Frage der Theilung desselben äußerten. Oberst Ziegler z. B. beantwortet
die Frage, ob durch die projectirte Theilung des Thales die militärischen In¬
teressen der Schweiz verletzt würden, dahin, daß durch jede Abtretung von
Land im Dappenthale an Frankreich dies augenscheinlich in hohem Maße der
Fall sein würde. Die Vertheidigung der Straße über Se. Cergues nach Nyon
sei ohnehin schwierig, weil auf der Hohe nur wenige haltbare Punkte vor¬
handen seien; um so gefährlicher sei jede Annäherung des Nachbars, wel¬
cher, sobald er in den Besitz des besprochenen Landcstheiles und der Straße
durch das Dappcnthal gelange, die Befestigungsarbeiten über les Rousses
hinaus bis in das Herz des Dappenthales und nach den westlich gelegenen
Höhen desselben ausdehnen würde. Andererseits verschaffe der freie'Besitz
des Dappenthales den Franzosen die Möglichkeit, noch bevor eine Kriegser¬
klärung erfolgt sei, das Dappenthal stark zu besetzen und das Pans de Gex
mit Truppen anzufüllen. Die Schweiz werde zwar im Falle eines ernsteren
Angriffes das Dappenthal auf die Dauer nicht behaupten können, allein schon
das Aufhalten des Feindes um nur wenige Tage oder Stunden sei auf die¬
sem Punkte von großer Bedeutung. Sollte je zu einer Theilung des Thales
geschritten werden, so wäre dann jedenfalls nicht die im Projecte liegende


Register der Kirchgemeinde Se. Cergues (Schweiz) eingetragen. Da aber die
Bewohner sich zur katholischen Confession bekennen, so lassen sie ihre Kinder
gewöhnlich in den französischen Kirchen van ich NousseS oder Premanon
taufen; indessen unterlassen sie nicht, deren Geburt in Se. Cergues eintragen
zu lassen. In gleicher Weise verfahren sie bei den Heiraths- und Sterbe-
fällen: die Heirathen vollziehen sie auch bürgerlich vor dem Friedensrichter
des Kreises Gingins (Schweiz).

Im Dappenthale selbst besteht weder Kirche noch Schule; die Einwohner
besuchen den öffentlichen Gottesdienst von les Rousses oder Premanon und
die Schulen dieser Ortschaften. Die Vormundschaften sind unter die Autori¬
tät des Friedensrichters von Gingins gestellt, der die Vormünder ernennt,
ihre Rechnungen prüft, die Inventarien aufnehmen läßt und die Testamente
homologirt.

Nach allem ist es unzweifelhaft, daß die Souveränetät im Dappenthale
factisch durch die Schweiz ausgeübt wird, und davon nur der Unterhalt der
Straße von les Rousses nach Gex eine Ausnahme macht, der von Frankreich
geleistet wird und den die Schweiz seit 1815 stillschweigend geduldet hat.

In den seit bald fünfzig Jahren dauernden Verhandlungen über das
Dappcnthal betonten die schweizerischen Behörden die militärische Bedeutung
desselben unausgesetzt. Zu wiederholten Malen wurden die Urtheile von
Officieren eingeholt, welche, je nach dem ihnen gewordenen Auftrage, ihre An¬
sichten entweder über die Bedeutung des ganzen Thales, oder aber über die
Frage der Theilung desselben äußerten. Oberst Ziegler z. B. beantwortet
die Frage, ob durch die projectirte Theilung des Thales die militärischen In¬
teressen der Schweiz verletzt würden, dahin, daß durch jede Abtretung von
Land im Dappenthale an Frankreich dies augenscheinlich in hohem Maße der
Fall sein würde. Die Vertheidigung der Straße über Se. Cergues nach Nyon
sei ohnehin schwierig, weil auf der Hohe nur wenige haltbare Punkte vor¬
handen seien; um so gefährlicher sei jede Annäherung des Nachbars, wel¬
cher, sobald er in den Besitz des besprochenen Landcstheiles und der Straße
durch das Dappcnthal gelange, die Befestigungsarbeiten über les Rousses
hinaus bis in das Herz des Dappenthales und nach den westlich gelegenen
Höhen desselben ausdehnen würde. Andererseits verschaffe der freie'Besitz
des Dappenthales den Franzosen die Möglichkeit, noch bevor eine Kriegser¬
klärung erfolgt sei, das Dappenthal stark zu besetzen und das Pans de Gex
mit Truppen anzufüllen. Die Schweiz werde zwar im Falle eines ernsteren
Angriffes das Dappenthal auf die Dauer nicht behaupten können, allein schon
das Aufhalten des Feindes um nur wenige Tage oder Stunden sei auf die¬
sem Punkte von großer Bedeutung. Sollte je zu einer Theilung des Thales
geschritten werden, so wäre dann jedenfalls nicht die im Projecte liegende


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[0178] Register der Kirchgemeinde Se. Cergues (Schweiz) eingetragen. Da aber die Bewohner sich zur katholischen Confession bekennen, so lassen sie ihre Kinder gewöhnlich in den französischen Kirchen van ich NousseS oder Premanon taufen; indessen unterlassen sie nicht, deren Geburt in Se. Cergues eintragen zu lassen. In gleicher Weise verfahren sie bei den Heiraths- und Sterbe- fällen: die Heirathen vollziehen sie auch bürgerlich vor dem Friedensrichter des Kreises Gingins (Schweiz). Im Dappenthale selbst besteht weder Kirche noch Schule; die Einwohner besuchen den öffentlichen Gottesdienst von les Rousses oder Premanon und die Schulen dieser Ortschaften. Die Vormundschaften sind unter die Autori¬ tät des Friedensrichters von Gingins gestellt, der die Vormünder ernennt, ihre Rechnungen prüft, die Inventarien aufnehmen läßt und die Testamente homologirt. Nach allem ist es unzweifelhaft, daß die Souveränetät im Dappenthale factisch durch die Schweiz ausgeübt wird, und davon nur der Unterhalt der Straße von les Rousses nach Gex eine Ausnahme macht, der von Frankreich geleistet wird und den die Schweiz seit 1815 stillschweigend geduldet hat. In den seit bald fünfzig Jahren dauernden Verhandlungen über das Dappcnthal betonten die schweizerischen Behörden die militärische Bedeutung desselben unausgesetzt. Zu wiederholten Malen wurden die Urtheile von Officieren eingeholt, welche, je nach dem ihnen gewordenen Auftrage, ihre An¬ sichten entweder über die Bedeutung des ganzen Thales, oder aber über die Frage der Theilung desselben äußerten. Oberst Ziegler z. B. beantwortet die Frage, ob durch die projectirte Theilung des Thales die militärischen In¬ teressen der Schweiz verletzt würden, dahin, daß durch jede Abtretung von Land im Dappenthale an Frankreich dies augenscheinlich in hohem Maße der Fall sein würde. Die Vertheidigung der Straße über Se. Cergues nach Nyon sei ohnehin schwierig, weil auf der Hohe nur wenige haltbare Punkte vor¬ handen seien; um so gefährlicher sei jede Annäherung des Nachbars, wel¬ cher, sobald er in den Besitz des besprochenen Landcstheiles und der Straße durch das Dappcnthal gelange, die Befestigungsarbeiten über les Rousses hinaus bis in das Herz des Dappenthales und nach den westlich gelegenen Höhen desselben ausdehnen würde. Andererseits verschaffe der freie'Besitz des Dappenthales den Franzosen die Möglichkeit, noch bevor eine Kriegser¬ klärung erfolgt sei, das Dappenthal stark zu besetzen und das Pans de Gex mit Truppen anzufüllen. Die Schweiz werde zwar im Falle eines ernsteren Angriffes das Dappenthal auf die Dauer nicht behaupten können, allein schon das Aufhalten des Feindes um nur wenige Tage oder Stunden sei auf die¬ sem Punkte von großer Bedeutung. Sollte je zu einer Theilung des Thales geschritten werden, so wäre dann jedenfalls nicht die im Projecte liegende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/178>, abgerufen am 23.07.2024.