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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Gründen als Oestreich, und dann konnte er nach der Stellung, die er wäh¬
rend des Krieges zu den insurgirten Landschaften eingenommen hatte, den¬
selben nicht zu starke Zumuthungen machen. Oestreich hatte den Frieden von
Villafranka mit dem Kaiser Napoleon zum Theil deshalb so eilig abgeschlossen,
weil es dem ihm verhaßten europäischen Congreß aus dem Wege gehen wollte.
Napoleon hatte auch dem Kaiser Franz Joseph diese Vermeidung des Congresses
in seiner Unterredung zu Villafranca nicht blos als Möglichkeit, sondern als
etwas Ausgemachtes vorgeschlagen. Aber er selbst hatte die Idee eines
europäischen Congresses, welcher, indem er über Italiens Neugestaltung be¬
stimmte, zugleich einen Strich durch das Staatsrecht Europa machen sollte,
niemals aufgegeben. Er rechnete darauf, daß die Schwierigkeiten, welche sich
bei den Zürcher Conferenzen herausstellen würden. Oestreich zwingen müßten,
auf den Congreß einzugehen, und er wußte, daß nach dem Frieden von Villa¬
franca Oestreich ganz gewiß viel isolirter, folglich viel schwächer dastand, als
vorher. Sollte ein Congreß endlich das Loos Italiens entscheiden, so war
das Vorgreifen der Italiener in einer bestimmten Richtung auch für Napoleon
nicht wünschenswerth. Graf Reizet, der im August an den Hof von Turin
und dann in die Herzogthümer gesendet ward und erst am 12. September
aus Italien nach Paris zurückkehrte, hatte insbesondre den Auftrag, diesem
Vorgreifen der Italiener vorzubeugen. Dasselbe mußte Napoleon noch unan¬
genehmer sein, da ihm gar nichts daran lag, daß auch Toscana und die
Romagna Piemont einverleibt würden, und da er insbesondre darauf
rechnete, Toscana für seinen Vetter zu erbeuten und dem Prinzen von Canino
als künftigen Papst den Kirchenstaat unberührt zu erhalten. Die Sendung
des Grafen Paniatowski nach Toscana, "um dort die öffentliche Meinung zu
sondiren", ward mit diesen Ansichten in Verbindung gebracht. Er sollte den
Austrag gehabt haben, möglichst andere Wünsche der Toscaner als die von der Rc-
präsentantenversammlug ausgesprochnen herauszufinden, und die Toscaner
warfen ihm vor, daß er sich zu diesem Behufe mit dem gemeinsten Pöbel von
Florenz in die intimste Verbindung gesetzt habe. Endlich konnte Napoleon
nicht mit der Entschiedenheit gegen die vier Länder austreten, wie Oestreich
es wünschte. Er konnte unmöglich von deren Bevölkerung, welche er wäh¬
rend des Krieges selbst zu den Waffen gerufen hatte, verlangen, daß sie die
Waffen niederlegten; er konnte ihnen, nachdem er sie selbst aufgefordert hatte,
ihre Wünsche auszusprechen, nicht verbieten, dies zu thun; er konnte ihnen
nicht rathen, den Status pun> aufrecht zu erdulden, welcher nach Abberufung der
sardinischen Kommissare die absoluteste Anarchie gewesen wäre. Oestreich
konnte allerdings nichts sehnlicher als diese wünschen; Napoleon, wenn auch
er sie wünschte, konnte wenigstens das Mittel nicht anwenden, welches allein
zu ihr führte. Die Führer in den mittelitalienischen Ländern, im Ganzen in


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Gründen als Oestreich, und dann konnte er nach der Stellung, die er wäh¬
rend des Krieges zu den insurgirten Landschaften eingenommen hatte, den¬
selben nicht zu starke Zumuthungen machen. Oestreich hatte den Frieden von
Villafranka mit dem Kaiser Napoleon zum Theil deshalb so eilig abgeschlossen,
weil es dem ihm verhaßten europäischen Congreß aus dem Wege gehen wollte.
Napoleon hatte auch dem Kaiser Franz Joseph diese Vermeidung des Congresses
in seiner Unterredung zu Villafranca nicht blos als Möglichkeit, sondern als
etwas Ausgemachtes vorgeschlagen. Aber er selbst hatte die Idee eines
europäischen Congresses, welcher, indem er über Italiens Neugestaltung be¬
stimmte, zugleich einen Strich durch das Staatsrecht Europa machen sollte,
niemals aufgegeben. Er rechnete darauf, daß die Schwierigkeiten, welche sich
bei den Zürcher Conferenzen herausstellen würden. Oestreich zwingen müßten,
auf den Congreß einzugehen, und er wußte, daß nach dem Frieden von Villa¬
franca Oestreich ganz gewiß viel isolirter, folglich viel schwächer dastand, als
vorher. Sollte ein Congreß endlich das Loos Italiens entscheiden, so war
das Vorgreifen der Italiener in einer bestimmten Richtung auch für Napoleon
nicht wünschenswerth. Graf Reizet, der im August an den Hof von Turin
und dann in die Herzogthümer gesendet ward und erst am 12. September
aus Italien nach Paris zurückkehrte, hatte insbesondre den Auftrag, diesem
Vorgreifen der Italiener vorzubeugen. Dasselbe mußte Napoleon noch unan¬
genehmer sein, da ihm gar nichts daran lag, daß auch Toscana und die
Romagna Piemont einverleibt würden, und da er insbesondre darauf
rechnete, Toscana für seinen Vetter zu erbeuten und dem Prinzen von Canino
als künftigen Papst den Kirchenstaat unberührt zu erhalten. Die Sendung
des Grafen Paniatowski nach Toscana, „um dort die öffentliche Meinung zu
sondiren", ward mit diesen Ansichten in Verbindung gebracht. Er sollte den
Austrag gehabt haben, möglichst andere Wünsche der Toscaner als die von der Rc-
präsentantenversammlug ausgesprochnen herauszufinden, und die Toscaner
warfen ihm vor, daß er sich zu diesem Behufe mit dem gemeinsten Pöbel von
Florenz in die intimste Verbindung gesetzt habe. Endlich konnte Napoleon
nicht mit der Entschiedenheit gegen die vier Länder austreten, wie Oestreich
es wünschte. Er konnte unmöglich von deren Bevölkerung, welche er wäh¬
rend des Krieges selbst zu den Waffen gerufen hatte, verlangen, daß sie die
Waffen niederlegten; er konnte ihnen, nachdem er sie selbst aufgefordert hatte,
ihre Wünsche auszusprechen, nicht verbieten, dies zu thun; er konnte ihnen
nicht rathen, den Status pun> aufrecht zu erdulden, welcher nach Abberufung der
sardinischen Kommissare die absoluteste Anarchie gewesen wäre. Oestreich
konnte allerdings nichts sehnlicher als diese wünschen; Napoleon, wenn auch
er sie wünschte, konnte wenigstens das Mittel nicht anwenden, welches allein
zu ihr führte. Die Führer in den mittelitalienischen Ländern, im Ganzen in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/151>, abgerufen am 25.08.2024.