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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Abkunft war und nach spanischen Beispielen handelte. Auf dieses Letztere le¬
gen wir wenig Gewicht, wahrend wir im Uebrigen vollkommen mit dem Verf.
übereinstimmen, daß die Königin für solche Akte ihrer Regierung persönlich
verantwortlich war. Wir gehen nur einen Schritt weiter und messen Hein¬
rich mit demselben Maaßstabe. Wir entnehmen die folgende Aufzählung
von Lord Herbert, seinem ersten Biographen und seinem Vertheidiger. Hein¬
rich ließ zum Tode vermtheilen: "zwei Königinnen. 2 Cardinäle. (Wolsey und
Pole). 12 Herzöge. Marquis, Carls und Söhne von Carls, 18 Ba¬
rone und Ritter. 77 Achte, Priore u. s. w. und von mehr gewöhnlichem
Volke der einen und der andern Religion ungeheuere Massen". Nicht von
katholischer Seite, sondern von protestantischer erfahren wir, daß diese "un¬
geheuren Massen" in der That nicht weniger als 72.000 Hinrichtungen be¬
griffen, in einer Bevölkerung, die nicht mehr als 4 Millionen betrug.

Wir haben den Raum, der uns zu Gebote steht, beinahe erschöpft. Da
der Verfasser die Geschichte der Stuarts erst begonnen hat, so können wir
unsere Bemerkungen über dieselben bis dahin aufsparen, wenn sie beendet sein
wird. Die wenigen Zeilen, die uns noch übrig bleiben, werden wir daher am
besten zu einigen flüchtigen Bemerkungen über Elisabeth verwenden. Die
zwei Hauptpunkte in ihrer Regierung, um die sich die übrigen Ereignisse drehen,
sind die Feststellung der Thronfolge und das Verhältniß zu den Protestanten <
auf dem Kontinent. Professor R. behandelt Maria Stuart, als ob ihre An¬
sprüche als Thronfolger" beachtet zu werden aller Begründung entbehrten.
Wer war dann aber der präsumtive Thronerbe, wenn nicht Maria Stuart?
Das Parlament hatte Heinrich den Achten ermächtigt, die Thronfolge in seinem
Testamente zu bestimmen, und das war in folgender Weise geschehen. Erst sollten
Eduard und seine etwaigen Nachkommen, dann Maria, und wenn sie ohne
Erben stürbe. Elisabeth folgen. Nächst dieser directen Descendenz wurden
die Nachkommen der jüngern Schwester des Königs, Maria, die an den
Herzog von Suffolk verheirathet war, zur Thronfolge berufen. Die Abkömm¬
linge seiner älteren Schwester Margaretha, der Großmutter v. Maria Stuart,
waren übergangen. Wenn also die testamentarischer Bestimmungen aufrecht
erhalten wurden, so ging die jüngere und protestantische Linie Suffolk der
ältern und katholischen Linie Stuart vor. Elisabeth machte aber selbst und
absichtlich die Ausführung des Testaments ihres Vaters unmöglich. Die Re¬
präsentanten der Linie Suffolk waren drei Schwestern Jane, Katharina und
Maria Gray. Das Ende von Jane Gray ist bekannt genug. Katharina
wurde daher nach dem Tode derselben die nächste zum Throne. Und was
that Elisabeth. Als Katharina Gray sich mit dem Grafen von Herford ver¬
mählte, erklärte sie unter keinem andern Vorwande, als daß sie nicht einwilligte,
die Ehe für nichtig, ließ der armen Frau einen Proceß als gemeine Hure


Abkunft war und nach spanischen Beispielen handelte. Auf dieses Letztere le¬
gen wir wenig Gewicht, wahrend wir im Uebrigen vollkommen mit dem Verf.
übereinstimmen, daß die Königin für solche Akte ihrer Regierung persönlich
verantwortlich war. Wir gehen nur einen Schritt weiter und messen Hein¬
rich mit demselben Maaßstabe. Wir entnehmen die folgende Aufzählung
von Lord Herbert, seinem ersten Biographen und seinem Vertheidiger. Hein¬
rich ließ zum Tode vermtheilen: „zwei Königinnen. 2 Cardinäle. (Wolsey und
Pole). 12 Herzöge. Marquis, Carls und Söhne von Carls, 18 Ba¬
rone und Ritter. 77 Achte, Priore u. s. w. und von mehr gewöhnlichem
Volke der einen und der andern Religion ungeheuere Massen". Nicht von
katholischer Seite, sondern von protestantischer erfahren wir, daß diese „un¬
geheuren Massen" in der That nicht weniger als 72.000 Hinrichtungen be¬
griffen, in einer Bevölkerung, die nicht mehr als 4 Millionen betrug.

Wir haben den Raum, der uns zu Gebote steht, beinahe erschöpft. Da
der Verfasser die Geschichte der Stuarts erst begonnen hat, so können wir
unsere Bemerkungen über dieselben bis dahin aufsparen, wenn sie beendet sein
wird. Die wenigen Zeilen, die uns noch übrig bleiben, werden wir daher am
besten zu einigen flüchtigen Bemerkungen über Elisabeth verwenden. Die
zwei Hauptpunkte in ihrer Regierung, um die sich die übrigen Ereignisse drehen,
sind die Feststellung der Thronfolge und das Verhältniß zu den Protestanten <
auf dem Kontinent. Professor R. behandelt Maria Stuart, als ob ihre An¬
sprüche als Thronfolger» beachtet zu werden aller Begründung entbehrten.
Wer war dann aber der präsumtive Thronerbe, wenn nicht Maria Stuart?
Das Parlament hatte Heinrich den Achten ermächtigt, die Thronfolge in seinem
Testamente zu bestimmen, und das war in folgender Weise geschehen. Erst sollten
Eduard und seine etwaigen Nachkommen, dann Maria, und wenn sie ohne
Erben stürbe. Elisabeth folgen. Nächst dieser directen Descendenz wurden
die Nachkommen der jüngern Schwester des Königs, Maria, die an den
Herzog von Suffolk verheirathet war, zur Thronfolge berufen. Die Abkömm¬
linge seiner älteren Schwester Margaretha, der Großmutter v. Maria Stuart,
waren übergangen. Wenn also die testamentarischer Bestimmungen aufrecht
erhalten wurden, so ging die jüngere und protestantische Linie Suffolk der
ältern und katholischen Linie Stuart vor. Elisabeth machte aber selbst und
absichtlich die Ausführung des Testaments ihres Vaters unmöglich. Die Re¬
präsentanten der Linie Suffolk waren drei Schwestern Jane, Katharina und
Maria Gray. Das Ende von Jane Gray ist bekannt genug. Katharina
wurde daher nach dem Tode derselben die nächste zum Throne. Und was
that Elisabeth. Als Katharina Gray sich mit dem Grafen von Herford ver¬
mählte, erklärte sie unter keinem andern Vorwande, als daß sie nicht einwilligte,
die Ehe für nichtig, ließ der armen Frau einen Proceß als gemeine Hure


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[0146] Abkunft war und nach spanischen Beispielen handelte. Auf dieses Letztere le¬ gen wir wenig Gewicht, wahrend wir im Uebrigen vollkommen mit dem Verf. übereinstimmen, daß die Königin für solche Akte ihrer Regierung persönlich verantwortlich war. Wir gehen nur einen Schritt weiter und messen Hein¬ rich mit demselben Maaßstabe. Wir entnehmen die folgende Aufzählung von Lord Herbert, seinem ersten Biographen und seinem Vertheidiger. Hein¬ rich ließ zum Tode vermtheilen: „zwei Königinnen. 2 Cardinäle. (Wolsey und Pole). 12 Herzöge. Marquis, Carls und Söhne von Carls, 18 Ba¬ rone und Ritter. 77 Achte, Priore u. s. w. und von mehr gewöhnlichem Volke der einen und der andern Religion ungeheuere Massen". Nicht von katholischer Seite, sondern von protestantischer erfahren wir, daß diese „un¬ geheuren Massen" in der That nicht weniger als 72.000 Hinrichtungen be¬ griffen, in einer Bevölkerung, die nicht mehr als 4 Millionen betrug. Wir haben den Raum, der uns zu Gebote steht, beinahe erschöpft. Da der Verfasser die Geschichte der Stuarts erst begonnen hat, so können wir unsere Bemerkungen über dieselben bis dahin aufsparen, wenn sie beendet sein wird. Die wenigen Zeilen, die uns noch übrig bleiben, werden wir daher am besten zu einigen flüchtigen Bemerkungen über Elisabeth verwenden. Die zwei Hauptpunkte in ihrer Regierung, um die sich die übrigen Ereignisse drehen, sind die Feststellung der Thronfolge und das Verhältniß zu den Protestanten < auf dem Kontinent. Professor R. behandelt Maria Stuart, als ob ihre An¬ sprüche als Thronfolger» beachtet zu werden aller Begründung entbehrten. Wer war dann aber der präsumtive Thronerbe, wenn nicht Maria Stuart? Das Parlament hatte Heinrich den Achten ermächtigt, die Thronfolge in seinem Testamente zu bestimmen, und das war in folgender Weise geschehen. Erst sollten Eduard und seine etwaigen Nachkommen, dann Maria, und wenn sie ohne Erben stürbe. Elisabeth folgen. Nächst dieser directen Descendenz wurden die Nachkommen der jüngern Schwester des Königs, Maria, die an den Herzog von Suffolk verheirathet war, zur Thronfolge berufen. Die Abkömm¬ linge seiner älteren Schwester Margaretha, der Großmutter v. Maria Stuart, waren übergangen. Wenn also die testamentarischer Bestimmungen aufrecht erhalten wurden, so ging die jüngere und protestantische Linie Suffolk der ältern und katholischen Linie Stuart vor. Elisabeth machte aber selbst und absichtlich die Ausführung des Testaments ihres Vaters unmöglich. Die Re¬ präsentanten der Linie Suffolk waren drei Schwestern Jane, Katharina und Maria Gray. Das Ende von Jane Gray ist bekannt genug. Katharina wurde daher nach dem Tode derselben die nächste zum Throne. Und was that Elisabeth. Als Katharina Gray sich mit dem Grafen von Herford ver¬ mählte, erklärte sie unter keinem andern Vorwande, als daß sie nicht einwilligte, die Ehe für nichtig, ließ der armen Frau einen Proceß als gemeine Hure

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/146>, abgerufen am 23.07.2024.