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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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gehe auch schon aus dem Rathe einer befreundeten Macht (nämlich der Kaiser
Napoleon), die vertriebene Dynastie wieder aufzunehmen, hervor. Aber die
Regierung von Toscana wisse, was sie von dergleichen Versprechungen zu
halten habe. Im Juni sei der Erbgroßhcrzog in Modena gewesen, um. falls
die Schlacht von Magenta von den Oestreichern gewonnen würde, an der
Spitze der letztern oder geführt von ihnen, wieder in Toscann einzuziehen,
und bei Solferino habe er in den Reihen der Feinde Italiens gekämpft.
Dies ließe sich durch keine Versprechungen verwischen; das Haus Lothringen
sei eben durchaus an das Interesse Oestreichs, nicht an das Italiens geknüpft.
Von einer bewaffneten Intervention, fährt die Negierung fort, habe sie gar
nicht gesprochen. Nach den Vorgängern der letzten Monate sei eine solche
eine Ungeheuerlichkeit, eine Unmöglichkeit. Freilich werde von mancher Seite
die Behauptung ausgesprochen, daß die Mächte Europas statt der bewaffneten
Intervention dadurch den Zweck erreichen werden, daß sie die Abstimmung Tos-
canas über die Thronentsetzung des Hauses Lothringen und den Anschluß an
Piemont nicht anerkennen, daß sie das Land dadurch in einen Zustand der
Unruhe und des Wirrsals stürzen, der es endlich bestimmen würde, die Für¬
sten des Hauses Lothringen selbst zurückzurufen. Die Regierung von Toscana
könne nicht glauben, daß wohlgeordnete Staaten so förmlich auf die
Anarchie in einem andern ihre Rechnung gründen sollten, auf eine Anarchie,
die dann selbst nur wieder durch einen unhaltbaren Zustand würde abgelöst
werden. Indem die Nepräsentantcnversammlung die Vereinigung Toscanas
mit Piemont beschlossen, habe sie nun ferner zunächst nur den allgemeinen
Willen des Volks ausgedrückt; aber abgesehen davon, stütze sich ihr Verfahren
auf Gründe der Vernunft. Wäre das ursprüngliche Programm des Krieges
durchgeführt und Oestreich ganz aus Italien vertrieben worden, so möchte es
weniger nothwendig gewesen sein, ein starkes rein italienisches Reich in Nord¬
italien zu gründen. Da aber der Frieden von Villafranca Venetien in
den Händen Oestreichs gelassen habe, so sei die Aufrichtung eines solchen
Reiches, um Oestreich die Wage zu halten, eine absolute Nothwendigkeit und
nur die Romagna und die Herzogthümer könnten jetzt Piemont in diesem
Sinne passend vergrößern. Der Freiheit und Selbständigkeit Italiens brächten
die Toscancr die eigne Selbständigkeit zum Opfer. Diejenigen aber, welche
ihnen jetzt daraus einen Vorwurf machen wollten, würden auch die ersten ge¬
wesen sein, ihnen bei anderem Verfahren vorzuwerfen, daß sie aus ihrem alten
Gemcindehadcr nicht herauskamen, um daraus zu schließen, daß die Italiener
überhaupt unfähig seien, eine Nation zu bilden. Nicht blos das Gleichgewicht
gegen Oestreich auch das gegen den Papst und Neapel mache ein starkes Pie¬
mont zu einer europäischen Nothwendigkeit. Toscana selbst der Vortheile be¬
rauben zu wollen, welche den Anschluß an ein größeres Staatswesen gibt,


gehe auch schon aus dem Rathe einer befreundeten Macht (nämlich der Kaiser
Napoleon), die vertriebene Dynastie wieder aufzunehmen, hervor. Aber die
Regierung von Toscana wisse, was sie von dergleichen Versprechungen zu
halten habe. Im Juni sei der Erbgroßhcrzog in Modena gewesen, um. falls
die Schlacht von Magenta von den Oestreichern gewonnen würde, an der
Spitze der letztern oder geführt von ihnen, wieder in Toscann einzuziehen,
und bei Solferino habe er in den Reihen der Feinde Italiens gekämpft.
Dies ließe sich durch keine Versprechungen verwischen; das Haus Lothringen
sei eben durchaus an das Interesse Oestreichs, nicht an das Italiens geknüpft.
Von einer bewaffneten Intervention, fährt die Negierung fort, habe sie gar
nicht gesprochen. Nach den Vorgängern der letzten Monate sei eine solche
eine Ungeheuerlichkeit, eine Unmöglichkeit. Freilich werde von mancher Seite
die Behauptung ausgesprochen, daß die Mächte Europas statt der bewaffneten
Intervention dadurch den Zweck erreichen werden, daß sie die Abstimmung Tos-
canas über die Thronentsetzung des Hauses Lothringen und den Anschluß an
Piemont nicht anerkennen, daß sie das Land dadurch in einen Zustand der
Unruhe und des Wirrsals stürzen, der es endlich bestimmen würde, die Für¬
sten des Hauses Lothringen selbst zurückzurufen. Die Regierung von Toscana
könne nicht glauben, daß wohlgeordnete Staaten so förmlich auf die
Anarchie in einem andern ihre Rechnung gründen sollten, auf eine Anarchie,
die dann selbst nur wieder durch einen unhaltbaren Zustand würde abgelöst
werden. Indem die Nepräsentantcnversammlung die Vereinigung Toscanas
mit Piemont beschlossen, habe sie nun ferner zunächst nur den allgemeinen
Willen des Volks ausgedrückt; aber abgesehen davon, stütze sich ihr Verfahren
auf Gründe der Vernunft. Wäre das ursprüngliche Programm des Krieges
durchgeführt und Oestreich ganz aus Italien vertrieben worden, so möchte es
weniger nothwendig gewesen sein, ein starkes rein italienisches Reich in Nord¬
italien zu gründen. Da aber der Frieden von Villafranca Venetien in
den Händen Oestreichs gelassen habe, so sei die Aufrichtung eines solchen
Reiches, um Oestreich die Wage zu halten, eine absolute Nothwendigkeit und
nur die Romagna und die Herzogthümer könnten jetzt Piemont in diesem
Sinne passend vergrößern. Der Freiheit und Selbständigkeit Italiens brächten
die Toscancr die eigne Selbständigkeit zum Opfer. Diejenigen aber, welche
ihnen jetzt daraus einen Vorwurf machen wollten, würden auch die ersten ge¬
wesen sein, ihnen bei anderem Verfahren vorzuwerfen, daß sie aus ihrem alten
Gemcindehadcr nicht herauskamen, um daraus zu schließen, daß die Italiener
überhaupt unfähig seien, eine Nation zu bilden. Nicht blos das Gleichgewicht
gegen Oestreich auch das gegen den Papst und Neapel mache ein starkes Pie¬
mont zu einer europäischen Nothwendigkeit. Toscana selbst der Vortheile be¬
rauben zu wollen, welche den Anschluß an ein größeres Staatswesen gibt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/104>, abgerufen am 23.07.2024.