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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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baren Selbstgefühls, während doch dabei die Energie und Klugheit, die zur
Behauptung des eingenommenen Standpunktes nöthig gewesen wäre, durch¬
aus fehlt. Dies alles scheinen bestimmte Züge im Charakter der damaligen
Breslauer gewesen zu sein; denn einige Decennien später in den Kämpfen gegen
Georg Podiebrad finden sich dieselben in der merkwürdigsten Weise wieder.


C. G.


Von der preußischen Grenze.

Unter den Candidaten, denen der diesmalige Ausfall der Wahlen den
Zugang zum Hause der Abgeordneten verschließt, sind es hauptsächlich zwei,
die wir sehr ungern vermissen: Herr von Gerlach und Herr von Kirch¬
mann. Die Erscheinung des Erstem gehörte wesentlich zur Physiognomie des
Landtags, und es ist für uns nur ein sehr mäßiger Ersatz, daß statt dessen
in der Kreuzzeitung der alte "Nundschaucr" wieder auftaucht. Wenn man es
nicht historisch wüßte, daß diese beiden nur eine Person ausmachen, so würde
man es kaum errathen: der Rundschauer mit seiner ewigen Salbung, seinen
frommen Mienen und seinem Orakelton hat. wenn man sich einmal an sein
seltsames Costüm gewöhnt, etwas Eintöniges und Ermüdendes; während der
Führer der äußersten Rechten in der Kammer, ein vollendeter Weltmann, geist¬
voll, heiter, witzig, fast jeden Tag durch einen neuen Einfall dem Streit der
Parteien eine anmuthige Wendung gibt. Was Herrn von Kirchmann betrifft,
so bedauern wir es nicht blos um des Princips willen, daß er nicht gewählt
ist. sondern weil wir ihn unter allen Mitgliedern der "Nationalversammlung"
von 1848 sür den vorurtheilsfrcisten und originellsten halten. Er ist niemals
in die herkömmlichen Phrasen seiner Partei ausgegangen, sondern hat sich
durchweg ein selbstständiges Urtheil bewahrt. Wenn seine Reformpläne weiter
gingen, als die damalige Sachlage wünschenswert!) machte, so verrieth er
durchweg ein lebhaftes preußisches Gefühl, und war mit seiner ganzen Per-
sönlichkeit recht dazu geeignet, zwischen der "constitutionellen" und der "demo¬
kratischen" Partei ein Verständniß anzubahnen. Denn dieses Verständniß
wird keineswegs durch das Auseinandergchn der Ansichten und Ueberzeugungen
erschwert, sondern, hauptsächlich durch die Leidenschaften, die sich auf be¬
stimmte Stichworte und bestimmte Persönlichkeiten beziehn. Eine politisch^
Reform würde viel einfacher vor sich gehn, wenn man sich der Farben und


baren Selbstgefühls, während doch dabei die Energie und Klugheit, die zur
Behauptung des eingenommenen Standpunktes nöthig gewesen wäre, durch¬
aus fehlt. Dies alles scheinen bestimmte Züge im Charakter der damaligen
Breslauer gewesen zu sein; denn einige Decennien später in den Kämpfen gegen
Georg Podiebrad finden sich dieselben in der merkwürdigsten Weise wieder.


C. G.


Von der preußischen Grenze.

Unter den Candidaten, denen der diesmalige Ausfall der Wahlen den
Zugang zum Hause der Abgeordneten verschließt, sind es hauptsächlich zwei,
die wir sehr ungern vermissen: Herr von Gerlach und Herr von Kirch¬
mann. Die Erscheinung des Erstem gehörte wesentlich zur Physiognomie des
Landtags, und es ist für uns nur ein sehr mäßiger Ersatz, daß statt dessen
in der Kreuzzeitung der alte „Nundschaucr" wieder auftaucht. Wenn man es
nicht historisch wüßte, daß diese beiden nur eine Person ausmachen, so würde
man es kaum errathen: der Rundschauer mit seiner ewigen Salbung, seinen
frommen Mienen und seinem Orakelton hat. wenn man sich einmal an sein
seltsames Costüm gewöhnt, etwas Eintöniges und Ermüdendes; während der
Führer der äußersten Rechten in der Kammer, ein vollendeter Weltmann, geist¬
voll, heiter, witzig, fast jeden Tag durch einen neuen Einfall dem Streit der
Parteien eine anmuthige Wendung gibt. Was Herrn von Kirchmann betrifft,
so bedauern wir es nicht blos um des Princips willen, daß er nicht gewählt
ist. sondern weil wir ihn unter allen Mitgliedern der „Nationalversammlung"
von 1848 sür den vorurtheilsfrcisten und originellsten halten. Er ist niemals
in die herkömmlichen Phrasen seiner Partei ausgegangen, sondern hat sich
durchweg ein selbstständiges Urtheil bewahrt. Wenn seine Reformpläne weiter
gingen, als die damalige Sachlage wünschenswert!) machte, so verrieth er
durchweg ein lebhaftes preußisches Gefühl, und war mit seiner ganzen Per-
sönlichkeit recht dazu geeignet, zwischen der „constitutionellen" und der „demo¬
kratischen" Partei ein Verständniß anzubahnen. Denn dieses Verständniß
wird keineswegs durch das Auseinandergchn der Ansichten und Ueberzeugungen
erschwert, sondern, hauptsächlich durch die Leidenschaften, die sich auf be¬
stimmte Stichworte und bestimmte Persönlichkeiten beziehn. Eine politisch^
Reform würde viel einfacher vor sich gehn, wenn man sich der Farben und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/80>, abgerufen am 24.07.2024.