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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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constituirte. Die Wahl derselben stand ursprünglich unzweifelhaft der Bürger¬
schaft zu. indessen bei der Schwierigkeit eines geeigneten Wahlmodus bildete
sich noch im 13. Jahrhundert die Praxis aus. daß die abgehenden Nath-
münncr am Ende ihres Amtsjahres die neuen für das nächste Jahr vorschlugen
oder factisch erwählten. Damit war nun die Verfassung schon in gewisser
Weise aristokratisch bestimmt, freilich war dabei von einem geschlossenen Adels¬
regiment nicht die Rede; es konnte ein eigentliches städtisches Junlerthum.
das sich auf großen Grundbesitz und auf das Alter der Familien stützte, in
einem Gemeinwesen, das als solches von so jungem Datum war. sich acht
wol finden, es gab hier auch kein Gesetz, welches einen freien Bürger von
der Wählbarkeit in den Rath ausgeschlossen Hütte. Doch wechselte die Wurde
der Rathsherrn oder Consuln. wie sie auch genannt werden, bei jener Praxis
in einem engeren Kreise unter den angesehnern Bürgern, die bei dein schnell
aufblühenden Handel Breslaus meistens dem Kaufmcmnsflande angehörten.
Dieses Verfahren stich aber schnell auf Opposition.

Die Handwerker nämlich, welche in den slavischen Zeiten eine sehr unter¬
geordnete und wenig geachtete Stellung eingenommen, hatten durch den Act.
durch welchen sich die Stadt auf der Grundlage des deutscheu Rechtes neu
gründete. Freiheit und höhere Bedeutung erlangt, und indem nach den An¬
schauungen der damaligen Gewerbepolitik jedes Handwerk auf eine fest be¬
stimmte Anzahl von Berechtigten beschränkt wurde und zur bessern obrigkeit¬
lichen Controle eine besondere gemeinsame Verkaufsstätte seiner Producte an¬
gewiesen erhielt, gab man ihnen einmal durch solche Art von Monopolisirung
bei der schnell sich vermehrenden Bevölkerung die Mittel in die Hände, in
wrzer Zeit wohlhabend zu werden, anderseits constituirte man sie eben dadurch
in ihren Zünften oder Innungen als geschlossene Genossenschaften. Dieselben
hatten auch ihre gesetzmäßigen Vertreter, ihre Tribunen in ihren Zunftmeistern
und Geschwornen, an welche sich der Rath selbst um sachverständige Gutachten
zu wenden pflegte. So war es denn kein Wunder, daß die Handwerker,
wohlhabend und dabei fest organisirt. bald eine Macht wurden in der Stadt,
und wenn wir sie andrer Orten einem auf bestimmte Privilegien oder wenig¬
stens auf uraltes Herkommen gegründeten aristokratischen Regiment sich ver-
hältnißmäßig lange Zeit geduldig fügen sehen, ohne daß sie einen directen
Kampf gegen dasselbe beginnen, so konnten solche Rücksichten sie in Breslau
nicht zurückhalten, wo nur eine weder tief gewurzelte noch rechtlich begründete
Praxis sie von der Theilnahme an der Negierung ausschloß. So vollzieht
sich denn hier jener Proceß der Stündeausgleichung, der anderswo unter blu¬
migen Kämpfen durch Jahrhunderte fortspielt, auffallend schnell und leicht.
Schon etwa ein halbes Jahrhundert nach jener Neugründung der Stadt
pochen die Zünfte an die Thore des breslauer Rathhauses, Sitz und Stimme


Grenzboten I. 18S9. 8

constituirte. Die Wahl derselben stand ursprünglich unzweifelhaft der Bürger¬
schaft zu. indessen bei der Schwierigkeit eines geeigneten Wahlmodus bildete
sich noch im 13. Jahrhundert die Praxis aus. daß die abgehenden Nath-
münncr am Ende ihres Amtsjahres die neuen für das nächste Jahr vorschlugen
oder factisch erwählten. Damit war nun die Verfassung schon in gewisser
Weise aristokratisch bestimmt, freilich war dabei von einem geschlossenen Adels¬
regiment nicht die Rede; es konnte ein eigentliches städtisches Junlerthum.
das sich auf großen Grundbesitz und auf das Alter der Familien stützte, in
einem Gemeinwesen, das als solches von so jungem Datum war. sich acht
wol finden, es gab hier auch kein Gesetz, welches einen freien Bürger von
der Wählbarkeit in den Rath ausgeschlossen Hütte. Doch wechselte die Wurde
der Rathsherrn oder Consuln. wie sie auch genannt werden, bei jener Praxis
in einem engeren Kreise unter den angesehnern Bürgern, die bei dein schnell
aufblühenden Handel Breslaus meistens dem Kaufmcmnsflande angehörten.
Dieses Verfahren stich aber schnell auf Opposition.

Die Handwerker nämlich, welche in den slavischen Zeiten eine sehr unter¬
geordnete und wenig geachtete Stellung eingenommen, hatten durch den Act.
durch welchen sich die Stadt auf der Grundlage des deutscheu Rechtes neu
gründete. Freiheit und höhere Bedeutung erlangt, und indem nach den An¬
schauungen der damaligen Gewerbepolitik jedes Handwerk auf eine fest be¬
stimmte Anzahl von Berechtigten beschränkt wurde und zur bessern obrigkeit¬
lichen Controle eine besondere gemeinsame Verkaufsstätte seiner Producte an¬
gewiesen erhielt, gab man ihnen einmal durch solche Art von Monopolisirung
bei der schnell sich vermehrenden Bevölkerung die Mittel in die Hände, in
wrzer Zeit wohlhabend zu werden, anderseits constituirte man sie eben dadurch
in ihren Zünften oder Innungen als geschlossene Genossenschaften. Dieselben
hatten auch ihre gesetzmäßigen Vertreter, ihre Tribunen in ihren Zunftmeistern
und Geschwornen, an welche sich der Rath selbst um sachverständige Gutachten
zu wenden pflegte. So war es denn kein Wunder, daß die Handwerker,
wohlhabend und dabei fest organisirt. bald eine Macht wurden in der Stadt,
und wenn wir sie andrer Orten einem auf bestimmte Privilegien oder wenig¬
stens auf uraltes Herkommen gegründeten aristokratischen Regiment sich ver-
hältnißmäßig lange Zeit geduldig fügen sehen, ohne daß sie einen directen
Kampf gegen dasselbe beginnen, so konnten solche Rücksichten sie in Breslau
nicht zurückhalten, wo nur eine weder tief gewurzelte noch rechtlich begründete
Praxis sie von der Theilnahme an der Negierung ausschloß. So vollzieht
sich denn hier jener Proceß der Stündeausgleichung, der anderswo unter blu¬
migen Kämpfen durch Jahrhunderte fortspielt, auffallend schnell und leicht.
Schon etwa ein halbes Jahrhundert nach jener Neugründung der Stadt
pochen die Zünfte an die Thore des breslauer Rathhauses, Sitz und Stimme


Grenzboten I. 18S9. 8
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/67>, abgerufen am 24.07.2024.