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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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furchtbarer Schnelligkeit dahin. Die Kirgisen stießen ein Freudengeheul aus
und wir galoppirten auf die flüchtigen Hirsche zu. Als wir noch zweihundert Yards
von ihnen entfernt waren, stieß der Adler auf seine Beute herab. Der Hirsch
that einen Sprung nach vorwärts und siel. Der Adler schlug eine Klaue in
seinen Hals, die andere in seinen Rücken und hackte dann mit seinem Schnabel
die Leber des Thieres heraus. Der Kirgise, der ihn unter seiner Aufsicht
hatte, sprang von seinem Pferd, warf ihm die Kappe über den Kopf und
befestigte ihm die Fesseln wieder an den Füßen und nahm ihn dann ohne
Schwierigkeit von dem Wilde weg. Er bestieg hierauf sein Pferd wieder, ließ
von seinem Gehilfen den Adler auf seine Stange setzen, und der letztere war
zu einem neuen Flug bereit."

In dieser Weise jagt man Füchse, wilde Ziegen und Rehe. Hunde
nimmt man bei solchen Jagden nicht mit, da der Barkul sie anfallen und
todten würde. Man behauptet, daß er sogar den Wols angreist und über¬
windet. Kein Thier der Steppe entgeht ihm, es müßte denn im Stande sein,
sich in eine der Höhlen in den Felsen zu verkriechen.

Die Jäger fanden dann noch wilde Schweine, deren mehre erlegt wur¬
den, wobei aber auch das Pferd vori einem der Kirgisen unter den Hauern
eines Ebers fiel. Dann ritt man in scharfem Trabe nach dem Ani, wo man
übernachten wollte. "Bald saßen wir in der Jurte des Sultans und es wurde
in großen Bechern Kumis herumgegeben. Ich gestand, Thee vorzuziehen,
und dieser war bald bereitet, aber als die Kirgisen zusahen, wie ich trank,
war ich überzeugt, daß sie mich für einen vollständigen Barbaren hielten und
mich wegen meines Mangels an Geschmack bemitleideten."' Dann wurde
dampfendes Hammelfleisch aufgetragen und rasch verzehrt, worauf man sofort
schlafen ging.

"Eben graute der Tag, als ich hinausging, um nachzusehen, wo wir
uns befanden, und die Schneegipfel des Syanschan entdeckte. Sie hoben sich
kalt und gespenstisch von dem tiefblauen Himmel ab. Bald darauf wurden
sie von den Strahlen der Sonne getroffen und leuchteten wie Rubinen. Ich
saß auf dem Boden und beobachtete die Veränderungen der Färbung, bis die
ganze Landschaft erleuchtet war. Unmittelbar um mich war ein lebensvolles
Bild. Auf der einen Seite molten Männer mehr als hundert Stuten und
trugen die ledernen Milcheimer nach dem Kumisschlauch in der Jurte. Da¬
neben waren die Fohlen in zwei langen Reihen an Pflöcke befestigt, die in
den Boden getrieben waren. Vor mir und auf der andern Seite molten
die Weiber Kühe. Schafe und Ziegen, und eine kleine Strecke hinter diesen
sah man Kameele, die ihre Jungen säugten. Rings um den Ani war die
Steppe voll animalisches Leben. Der Sultan sagte mir, daß hier mehr als
zweitausend Pferde, halb so viel Ochsen und Kühe, zweihundertachtzig Kameele


furchtbarer Schnelligkeit dahin. Die Kirgisen stießen ein Freudengeheul aus
und wir galoppirten auf die flüchtigen Hirsche zu. Als wir noch zweihundert Yards
von ihnen entfernt waren, stieß der Adler auf seine Beute herab. Der Hirsch
that einen Sprung nach vorwärts und siel. Der Adler schlug eine Klaue in
seinen Hals, die andere in seinen Rücken und hackte dann mit seinem Schnabel
die Leber des Thieres heraus. Der Kirgise, der ihn unter seiner Aufsicht
hatte, sprang von seinem Pferd, warf ihm die Kappe über den Kopf und
befestigte ihm die Fesseln wieder an den Füßen und nahm ihn dann ohne
Schwierigkeit von dem Wilde weg. Er bestieg hierauf sein Pferd wieder, ließ
von seinem Gehilfen den Adler auf seine Stange setzen, und der letztere war
zu einem neuen Flug bereit."

In dieser Weise jagt man Füchse, wilde Ziegen und Rehe. Hunde
nimmt man bei solchen Jagden nicht mit, da der Barkul sie anfallen und
todten würde. Man behauptet, daß er sogar den Wols angreist und über¬
windet. Kein Thier der Steppe entgeht ihm, es müßte denn im Stande sein,
sich in eine der Höhlen in den Felsen zu verkriechen.

Die Jäger fanden dann noch wilde Schweine, deren mehre erlegt wur¬
den, wobei aber auch das Pferd vori einem der Kirgisen unter den Hauern
eines Ebers fiel. Dann ritt man in scharfem Trabe nach dem Ani, wo man
übernachten wollte. „Bald saßen wir in der Jurte des Sultans und es wurde
in großen Bechern Kumis herumgegeben. Ich gestand, Thee vorzuziehen,
und dieser war bald bereitet, aber als die Kirgisen zusahen, wie ich trank,
war ich überzeugt, daß sie mich für einen vollständigen Barbaren hielten und
mich wegen meines Mangels an Geschmack bemitleideten."' Dann wurde
dampfendes Hammelfleisch aufgetragen und rasch verzehrt, worauf man sofort
schlafen ging.

„Eben graute der Tag, als ich hinausging, um nachzusehen, wo wir
uns befanden, und die Schneegipfel des Syanschan entdeckte. Sie hoben sich
kalt und gespenstisch von dem tiefblauen Himmel ab. Bald darauf wurden
sie von den Strahlen der Sonne getroffen und leuchteten wie Rubinen. Ich
saß auf dem Boden und beobachtete die Veränderungen der Färbung, bis die
ganze Landschaft erleuchtet war. Unmittelbar um mich war ein lebensvolles
Bild. Auf der einen Seite molten Männer mehr als hundert Stuten und
trugen die ledernen Milcheimer nach dem Kumisschlauch in der Jurte. Da¬
neben waren die Fohlen in zwei langen Reihen an Pflöcke befestigt, die in
den Boden getrieben waren. Vor mir und auf der andern Seite molten
die Weiber Kühe. Schafe und Ziegen, und eine kleine Strecke hinter diesen
sah man Kameele, die ihre Jungen säugten. Rings um den Ani war die
Steppe voll animalisches Leben. Der Sultan sagte mir, daß hier mehr als
zweitausend Pferde, halb so viel Ochsen und Kühe, zweihundertachtzig Kameele


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[0512] furchtbarer Schnelligkeit dahin. Die Kirgisen stießen ein Freudengeheul aus und wir galoppirten auf die flüchtigen Hirsche zu. Als wir noch zweihundert Yards von ihnen entfernt waren, stieß der Adler auf seine Beute herab. Der Hirsch that einen Sprung nach vorwärts und siel. Der Adler schlug eine Klaue in seinen Hals, die andere in seinen Rücken und hackte dann mit seinem Schnabel die Leber des Thieres heraus. Der Kirgise, der ihn unter seiner Aufsicht hatte, sprang von seinem Pferd, warf ihm die Kappe über den Kopf und befestigte ihm die Fesseln wieder an den Füßen und nahm ihn dann ohne Schwierigkeit von dem Wilde weg. Er bestieg hierauf sein Pferd wieder, ließ von seinem Gehilfen den Adler auf seine Stange setzen, und der letztere war zu einem neuen Flug bereit." In dieser Weise jagt man Füchse, wilde Ziegen und Rehe. Hunde nimmt man bei solchen Jagden nicht mit, da der Barkul sie anfallen und todten würde. Man behauptet, daß er sogar den Wols angreist und über¬ windet. Kein Thier der Steppe entgeht ihm, es müßte denn im Stande sein, sich in eine der Höhlen in den Felsen zu verkriechen. Die Jäger fanden dann noch wilde Schweine, deren mehre erlegt wur¬ den, wobei aber auch das Pferd vori einem der Kirgisen unter den Hauern eines Ebers fiel. Dann ritt man in scharfem Trabe nach dem Ani, wo man übernachten wollte. „Bald saßen wir in der Jurte des Sultans und es wurde in großen Bechern Kumis herumgegeben. Ich gestand, Thee vorzuziehen, und dieser war bald bereitet, aber als die Kirgisen zusahen, wie ich trank, war ich überzeugt, daß sie mich für einen vollständigen Barbaren hielten und mich wegen meines Mangels an Geschmack bemitleideten."' Dann wurde dampfendes Hammelfleisch aufgetragen und rasch verzehrt, worauf man sofort schlafen ging. „Eben graute der Tag, als ich hinausging, um nachzusehen, wo wir uns befanden, und die Schneegipfel des Syanschan entdeckte. Sie hoben sich kalt und gespenstisch von dem tiefblauen Himmel ab. Bald darauf wurden sie von den Strahlen der Sonne getroffen und leuchteten wie Rubinen. Ich saß auf dem Boden und beobachtete die Veränderungen der Färbung, bis die ganze Landschaft erleuchtet war. Unmittelbar um mich war ein lebensvolles Bild. Auf der einen Seite molten Männer mehr als hundert Stuten und trugen die ledernen Milcheimer nach dem Kumisschlauch in der Jurte. Da¬ neben waren die Fohlen in zwei langen Reihen an Pflöcke befestigt, die in den Boden getrieben waren. Vor mir und auf der andern Seite molten die Weiber Kühe. Schafe und Ziegen, und eine kleine Strecke hinter diesen sah man Kameele, die ihre Jungen säugten. Rings um den Ani war die Steppe voll animalisches Leben. Der Sultan sagte mir, daß hier mehr als zweitausend Pferde, halb so viel Ochsen und Kühe, zweihundertachtzig Kameele

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/512>, abgerufen am 24.07.2024.