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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Die beiden Löcher wurden sorgfältig untersucht, und jetzt war man hinläng¬
lich überzeugt. Es war dies aber eine erwünschte Gelegenheit, die Vortreff¬
lichkeit unserer Bewaffnung zu zeigen; denn die Leute, unter denen wir uns
befanden, waren eine Nüuberhorde, welche die Autorität der chinesischen Be¬
hörden für nichts achtete und ihre Raubzüge ungestraft machte."

Es wurde nun ein Gelage zubereitet, bei dem ein Kessel mit gekochtem
Hammelfleisch die Hauptrolle spielte. Ein Teppich wurde ausgebreitet, aus
den sich der Sultan und sein Gast setzten. Um sie reihten sich die ältesten
und angesehensten Männer der Horde, dann folgten in einem weiteren Kreise
die weniger Vornehmen und die Knaben. Weiber und Mädchen nahmen den
letzten Play ein, mit Ausnahme der Hunde, welche in einiger Entfernung
standen und bei dem Vorgang augenscheinlich ebenso interessirt waren, als
die andern. "Als alle Platz genommen, kamen zwei Männer in den inner¬
sten Kreis, jeder mit einem gußeisernen Gesäß von der Gestalt einer Thee¬
kanne. Der eine näherte sich dem Sultan, der andere mir, und sie gössen
uns warmes Wasser über die Hände. Für ein Handtuch hatten wir selbst
zu sorgen. Diese Ceremonie wurde mit jedem Anwesenden vom Sultan bis
zum Hirten vorgenommen, nur die Weiber und Kinder blieben unberücksichtigt.
Nachdem die Abwaschungen vollzogen waren, brachten die Köche lange Holz¬
tröge, den Mulden der Fleischer ähnlich, herein, in denen Haufen von ge¬
kochtem Hammelfleisch lagen. Der eine Trog, in dem sich zugleich gekochter
Reis befand, wurde zwischen den Sultan und mich gestellt. , Jedermann zog
sein Messer aus der Scheide, von Tellern wurde völlig abgesehen. Mein
Wirth suchte aus der dampfenden Masse ein schönes Stück heraus, steckte mir
es in die Hand und begann dann sich selbst zu versorgen. Dies war das
Zeichen, über die Speisen herzufallen. Die Kirgisen, welche den Trögen am
nächsten saßen, griffen nach den Stücken, welche ihnen am meisten gefielen,
aßen ein Stück davon und gaben es dann dem hinter ihnen Sitzenden; nach¬
dem dieser davon das Beste abgebissen, gelangte das Stück in den dritten
Kreis, von diesem zu den Knaben und dann, nachdem es durch alle diese
Zähne und Finger Spießruthen gelaufen, erreichte der Knochen, fast alles
Fleisches beraubt, die Frauen und Mädchen. Endlich, nachdem diese
armen Geschöpfe daran genagt, bis nichts mehr daran war, wurde der Knochen
den Hunden zugeworfen. Im Verlauf des Mahles bemerkte ich, wie drei
kleine nackte Rangen hinter dem Rücken des Sultans, dessen Aufmerksamkeit
auf die Kreise vor ihm gerichtet war, auf unsern Trog zukrochen. Ihre klei¬
nen Augen beobachteten ängstlich seine Bewegungen, und als sie nahe genug
waren, rissen ihre Hände ein Stück Fleisch heraus, worauf sie sich in der¬
selben verstohlenen Weise hinter einen Hausen Lederdccken zurückzogen und
ihre Beute verschlangen. Ich sah sie dies mehrmals thun und ergötzte mich


Die beiden Löcher wurden sorgfältig untersucht, und jetzt war man hinläng¬
lich überzeugt. Es war dies aber eine erwünschte Gelegenheit, die Vortreff¬
lichkeit unserer Bewaffnung zu zeigen; denn die Leute, unter denen wir uns
befanden, waren eine Nüuberhorde, welche die Autorität der chinesischen Be¬
hörden für nichts achtete und ihre Raubzüge ungestraft machte."

Es wurde nun ein Gelage zubereitet, bei dem ein Kessel mit gekochtem
Hammelfleisch die Hauptrolle spielte. Ein Teppich wurde ausgebreitet, aus
den sich der Sultan und sein Gast setzten. Um sie reihten sich die ältesten
und angesehensten Männer der Horde, dann folgten in einem weiteren Kreise
die weniger Vornehmen und die Knaben. Weiber und Mädchen nahmen den
letzten Play ein, mit Ausnahme der Hunde, welche in einiger Entfernung
standen und bei dem Vorgang augenscheinlich ebenso interessirt waren, als
die andern. „Als alle Platz genommen, kamen zwei Männer in den inner¬
sten Kreis, jeder mit einem gußeisernen Gesäß von der Gestalt einer Thee¬
kanne. Der eine näherte sich dem Sultan, der andere mir, und sie gössen
uns warmes Wasser über die Hände. Für ein Handtuch hatten wir selbst
zu sorgen. Diese Ceremonie wurde mit jedem Anwesenden vom Sultan bis
zum Hirten vorgenommen, nur die Weiber und Kinder blieben unberücksichtigt.
Nachdem die Abwaschungen vollzogen waren, brachten die Köche lange Holz¬
tröge, den Mulden der Fleischer ähnlich, herein, in denen Haufen von ge¬
kochtem Hammelfleisch lagen. Der eine Trog, in dem sich zugleich gekochter
Reis befand, wurde zwischen den Sultan und mich gestellt. , Jedermann zog
sein Messer aus der Scheide, von Tellern wurde völlig abgesehen. Mein
Wirth suchte aus der dampfenden Masse ein schönes Stück heraus, steckte mir
es in die Hand und begann dann sich selbst zu versorgen. Dies war das
Zeichen, über die Speisen herzufallen. Die Kirgisen, welche den Trögen am
nächsten saßen, griffen nach den Stücken, welche ihnen am meisten gefielen,
aßen ein Stück davon und gaben es dann dem hinter ihnen Sitzenden; nach¬
dem dieser davon das Beste abgebissen, gelangte das Stück in den dritten
Kreis, von diesem zu den Knaben und dann, nachdem es durch alle diese
Zähne und Finger Spießruthen gelaufen, erreichte der Knochen, fast alles
Fleisches beraubt, die Frauen und Mädchen. Endlich, nachdem diese
armen Geschöpfe daran genagt, bis nichts mehr daran war, wurde der Knochen
den Hunden zugeworfen. Im Verlauf des Mahles bemerkte ich, wie drei
kleine nackte Rangen hinter dem Rücken des Sultans, dessen Aufmerksamkeit
auf die Kreise vor ihm gerichtet war, auf unsern Trog zukrochen. Ihre klei¬
nen Augen beobachteten ängstlich seine Bewegungen, und als sie nahe genug
waren, rissen ihre Hände ein Stück Fleisch heraus, worauf sie sich in der¬
selben verstohlenen Weise hinter einen Hausen Lederdccken zurückzogen und
ihre Beute verschlangen. Ich sah sie dies mehrmals thun und ergötzte mich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/510>, abgerufen am 24.07.2024.