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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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diejenige der heutigen Italiener. Ich gestehe, daß ich während meines Auf¬
enthalts in den Donauländern weit öfter an Hunnen, Mongolen und Pet-
schencgen erinnert worden bin, wie an alte Römer; doch hütete ich mich wohl
diesen Gedanken laut werden zu lassen, da derselbe gradezu. einen Hochver¬
rat!) gegen die liebste Einbildung des Volkes ausgesprochen hätte. Der wieder
schweigsam gewordene Oberst gab sich, nicht die Mühe, in das Lob einzustim¬
men, das sein Begleiter, offenbar ein Franzose, freigebig und blumig der
moldauischen Armee spendete; da ich dieses herrliche Kriegsheer bei diversen
Gelegenheiten in den verschiedenartigsten Situationen zu beobachten Gelegen¬
heit gehabt hatte, so konnte ich mir leicht denken, was der Oberst von diesem
Lob seiner Truppe hielt, wenn er nicht blind war. Doch schoß er von Zeit
zu Zeit aus seinen etwas unsicher schwimmenden schwarzen Augen einen bö¬
sen Blick hinüber an den Haupttisch, welchem der Pascha mit aller Würde
des gereiften Weltmannes präsidirte; obgleich ihm grade nicht sehr ähnlich,
erinnerte mich doch dieser Moldauer Kriegshäuptling mehr als einmal an
Napoleon den Dritten. Daß der besondere Tisch, überhaupt sein ganzes Be¬
nehmen, auch seine besondern Ursachen haben müsse, erschien mir klar, aber
ich gab mir keine Mühe, darüber nachzuforschen. Hier ist eine Warnung ein¬
zuschalten für leichtsinnige Touristen: Behandle jeden, der dir unterwegs auf¬
stößt, mit Ehrfurcht und merke dir seine Rede, denn wenn du selbst weißt,
was der Mann ist, so weißt du doch nicht, was er noch werden kann! Mich
interessirte damals Omer Pascha weit mehr, wie mein stolzer Wirth, was ich
heute bitter zu bedauern habe. Der Schwarzrock nahm mich schließlich tüch¬
tig ins Gebet über mein Vaterland, den Zweck meiner Reise u. s. w.; ich
mußte ein ordentliches Verhör bestehen; daß ich einen Ausflug in die Dobrud-
scha machen wollte, schien mich in i>er guten Meinung der beiden Herren et¬
was herabzusetzen; "was in aller Welt haben Sie dort zu suchen? Keine
Civilisation, keine Gesetze, kein Comfort." "?as lo moins du mondo," be¬
kräftigte der Oberst und reichte mir artig die erste Papyros, die er mit un¬
nachahmlicher Fertigkeit gerollt hatte.

Wir stiegen auf das Verdeck, um daselbst den köstlichen Nero, auf türkische
Art bereitet, zu schlürfen -- beiläufig gesagt, sind Kaffee und Tabak das Ge¬
nießbarste der ganzen Türkei. Tultscha erschien, von Höhen umkränzt, am
rechten Ufer des Stroms, langsamer arbeitete die Maschine, und der Zrinyi
wandte sich in großem Bogen dem, Lande zu.

Eben gesellte sich der lange, hartblonde Schotte wiederum zu mir; bei
dem Beginn der Tafel hatte er mich in meinen Nöthen vollständig verleugnet,
denn er saß breit und gut, erwünschte Fülle vor sich. Ich richtete an ihn
die Frage, ob er meinen Tischgenossen, den moldauischen Oberst kenne.

"Pah, ob ich ihn kenne!" entgegnete er wegwerfend. "Er ist lange genug


diejenige der heutigen Italiener. Ich gestehe, daß ich während meines Auf¬
enthalts in den Donauländern weit öfter an Hunnen, Mongolen und Pet-
schencgen erinnert worden bin, wie an alte Römer; doch hütete ich mich wohl
diesen Gedanken laut werden zu lassen, da derselbe gradezu. einen Hochver¬
rat!) gegen die liebste Einbildung des Volkes ausgesprochen hätte. Der wieder
schweigsam gewordene Oberst gab sich, nicht die Mühe, in das Lob einzustim¬
men, das sein Begleiter, offenbar ein Franzose, freigebig und blumig der
moldauischen Armee spendete; da ich dieses herrliche Kriegsheer bei diversen
Gelegenheiten in den verschiedenartigsten Situationen zu beobachten Gelegen¬
heit gehabt hatte, so konnte ich mir leicht denken, was der Oberst von diesem
Lob seiner Truppe hielt, wenn er nicht blind war. Doch schoß er von Zeit
zu Zeit aus seinen etwas unsicher schwimmenden schwarzen Augen einen bö¬
sen Blick hinüber an den Haupttisch, welchem der Pascha mit aller Würde
des gereiften Weltmannes präsidirte; obgleich ihm grade nicht sehr ähnlich,
erinnerte mich doch dieser Moldauer Kriegshäuptling mehr als einmal an
Napoleon den Dritten. Daß der besondere Tisch, überhaupt sein ganzes Be¬
nehmen, auch seine besondern Ursachen haben müsse, erschien mir klar, aber
ich gab mir keine Mühe, darüber nachzuforschen. Hier ist eine Warnung ein¬
zuschalten für leichtsinnige Touristen: Behandle jeden, der dir unterwegs auf¬
stößt, mit Ehrfurcht und merke dir seine Rede, denn wenn du selbst weißt,
was der Mann ist, so weißt du doch nicht, was er noch werden kann! Mich
interessirte damals Omer Pascha weit mehr, wie mein stolzer Wirth, was ich
heute bitter zu bedauern habe. Der Schwarzrock nahm mich schließlich tüch¬
tig ins Gebet über mein Vaterland, den Zweck meiner Reise u. s. w.; ich
mußte ein ordentliches Verhör bestehen; daß ich einen Ausflug in die Dobrud-
scha machen wollte, schien mich in i>er guten Meinung der beiden Herren et¬
was herabzusetzen; „was in aller Welt haben Sie dort zu suchen? Keine
Civilisation, keine Gesetze, kein Comfort." „?as lo moins du mondo," be¬
kräftigte der Oberst und reichte mir artig die erste Papyros, die er mit un¬
nachahmlicher Fertigkeit gerollt hatte.

Wir stiegen auf das Verdeck, um daselbst den köstlichen Nero, auf türkische
Art bereitet, zu schlürfen — beiläufig gesagt, sind Kaffee und Tabak das Ge¬
nießbarste der ganzen Türkei. Tultscha erschien, von Höhen umkränzt, am
rechten Ufer des Stroms, langsamer arbeitete die Maschine, und der Zrinyi
wandte sich in großem Bogen dem, Lande zu.

Eben gesellte sich der lange, hartblonde Schotte wiederum zu mir; bei
dem Beginn der Tafel hatte er mich in meinen Nöthen vollständig verleugnet,
denn er saß breit und gut, erwünschte Fülle vor sich. Ich richtete an ihn
die Frage, ob er meinen Tischgenossen, den moldauischen Oberst kenne.

„Pah, ob ich ihn kenne!" entgegnete er wegwerfend. „Er ist lange genug


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[0504] diejenige der heutigen Italiener. Ich gestehe, daß ich während meines Auf¬ enthalts in den Donauländern weit öfter an Hunnen, Mongolen und Pet- schencgen erinnert worden bin, wie an alte Römer; doch hütete ich mich wohl diesen Gedanken laut werden zu lassen, da derselbe gradezu. einen Hochver¬ rat!) gegen die liebste Einbildung des Volkes ausgesprochen hätte. Der wieder schweigsam gewordene Oberst gab sich, nicht die Mühe, in das Lob einzustim¬ men, das sein Begleiter, offenbar ein Franzose, freigebig und blumig der moldauischen Armee spendete; da ich dieses herrliche Kriegsheer bei diversen Gelegenheiten in den verschiedenartigsten Situationen zu beobachten Gelegen¬ heit gehabt hatte, so konnte ich mir leicht denken, was der Oberst von diesem Lob seiner Truppe hielt, wenn er nicht blind war. Doch schoß er von Zeit zu Zeit aus seinen etwas unsicher schwimmenden schwarzen Augen einen bö¬ sen Blick hinüber an den Haupttisch, welchem der Pascha mit aller Würde des gereiften Weltmannes präsidirte; obgleich ihm grade nicht sehr ähnlich, erinnerte mich doch dieser Moldauer Kriegshäuptling mehr als einmal an Napoleon den Dritten. Daß der besondere Tisch, überhaupt sein ganzes Be¬ nehmen, auch seine besondern Ursachen haben müsse, erschien mir klar, aber ich gab mir keine Mühe, darüber nachzuforschen. Hier ist eine Warnung ein¬ zuschalten für leichtsinnige Touristen: Behandle jeden, der dir unterwegs auf¬ stößt, mit Ehrfurcht und merke dir seine Rede, denn wenn du selbst weißt, was der Mann ist, so weißt du doch nicht, was er noch werden kann! Mich interessirte damals Omer Pascha weit mehr, wie mein stolzer Wirth, was ich heute bitter zu bedauern habe. Der Schwarzrock nahm mich schließlich tüch¬ tig ins Gebet über mein Vaterland, den Zweck meiner Reise u. s. w.; ich mußte ein ordentliches Verhör bestehen; daß ich einen Ausflug in die Dobrud- scha machen wollte, schien mich in i>er guten Meinung der beiden Herren et¬ was herabzusetzen; „was in aller Welt haben Sie dort zu suchen? Keine Civilisation, keine Gesetze, kein Comfort." „?as lo moins du mondo," be¬ kräftigte der Oberst und reichte mir artig die erste Papyros, die er mit un¬ nachahmlicher Fertigkeit gerollt hatte. Wir stiegen auf das Verdeck, um daselbst den köstlichen Nero, auf türkische Art bereitet, zu schlürfen — beiläufig gesagt, sind Kaffee und Tabak das Ge¬ nießbarste der ganzen Türkei. Tultscha erschien, von Höhen umkränzt, am rechten Ufer des Stroms, langsamer arbeitete die Maschine, und der Zrinyi wandte sich in großem Bogen dem, Lande zu. Eben gesellte sich der lange, hartblonde Schotte wiederum zu mir; bei dem Beginn der Tafel hatte er mich in meinen Nöthen vollständig verleugnet, denn er saß breit und gut, erwünschte Fülle vor sich. Ich richtete an ihn die Frage, ob er meinen Tischgenossen, den moldauischen Oberst kenne. „Pah, ob ich ihn kenne!" entgegnete er wegwerfend. „Er ist lange genug

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/504>, abgerufen am 24.07.2024.