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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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daß die östreichischen Offiziere jenes Ziel wünschen, aber auch kein Zweifel,
daß das Concert der Großmächte zu dieser Lösung der italienischen Frage
seine Zustimmung nimmermehr geben wird. Und da Oestreich nicht in der
Lage ist, dem gemeinsamen Widerspruch aller Großmächte zu trotzen, so wird
es sich mit dem Ministerwechsel in Piemont und mit einer sardinischen Kriegs-
contribntion begnügen müssen, grade wie vor zehn Jahren um -- grade wie
vor zehn Jahren gewiß zu sein, daß demnächst der Streit von neuem begin¬
nen werde. Dies alles unter der Voraussetzung, daß Oestreich im Kampfe
siegt und der Kampf nach dem neuerfundenen Namen, localisirt, zwischen Oest¬
reich und Sardinien ausgefochten wird. Wie aber, wenn das Kriegsfcucr
weiter um sich greift, und Sardinien nur als Vortrab des französischen Hee¬
res auftritt? Wir unterlassen es. uns über die Wahrscheinlichkeiten des Aus¬
ganges auszusprechen, in wohlfeilen Prophezeiungen uns zu ergehen. Als
gute Oestreichs zweifeln wir auch in diesem Falle nicht, daß unser Heer neue
Siege erringen wird, aber -- wir verzweifeln schier an unserer Fähigkeit,
die Wunden, die dem innern Wohlstand ein andauernder, allgemeiner
Krieg schlagen wird, zu tragen, ohne zu verbluten. Es wird jetzt spät,
wenn nicht vielleicht zu spät allen klar, daß unsere Regierung die Zeit
der Friedensjahre unbenutzt vorüberstreichen ließ, die unbestreitbar großen
Machtmittel des Staats ungenügend entwickelte, die Opserfähigkcit des Volkes
wissentlich einschränkte. Die officiellen Stimmen werden natürlich widersprechen
und es als Lüge bezeichnen, trotzdem bleibt es wahr und wird als öffentliches
Geheimniß schon längst in das Ohr geflüstert, daß ein schneidender Gegen¬
satz die höchsten Regierungskreise scheidet; infolge des innern Zwiespaltes
olle Klarheit und Energie aus der Verwaltung gewichen ist. So lange Frei¬
herr Bach noch an seinen Centralisationsideen festhielt und in der französischen
Administration das höchste Ideal erblickte, war den Freunden des alten Re¬
gime, den Anhängern der Metternich-Kolowratischen Herrschaft jede Handhabe,
ihre Opposition geltend zu machen, genommen. Das Centralisationssystem
machte aber bekanntlich, kaum eingeführt, das glänzendste Fiasco. Bach,
von allen Seiten bestürmt, gab selbst seinem Werk den Todesstoß und näherte
das Verwaltungssystem dem alten durch die Revolution gebrochenen Zuschnitt.
Die Provinzialregierungen erhielten eine größere Selbstständigkeit, die Justiz
wurde für die Omnipotenz der politischen Behörden confiscire, die Keime eines
wirklichen Gemeindelebens kräftigst unterdrückt. Bis zu einem förmlichen
Widerruf seines eignen und, wie wir gern zugestehen, vielversprechenden Weges
stieg der Muth der Verzweiflung bei dem rathlosen Minister nicht. Er be¬
gnügte sich, die Organisation Oestreichs auf dem Papier bestehen zu lassen,
die bereits durchgeführten Reformen aber als bloße provisorische Maßregeln
zu bezeichnen. Mit dieser Halbheit war aber Bachs alten Gegnern, der durch


daß die östreichischen Offiziere jenes Ziel wünschen, aber auch kein Zweifel,
daß das Concert der Großmächte zu dieser Lösung der italienischen Frage
seine Zustimmung nimmermehr geben wird. Und da Oestreich nicht in der
Lage ist, dem gemeinsamen Widerspruch aller Großmächte zu trotzen, so wird
es sich mit dem Ministerwechsel in Piemont und mit einer sardinischen Kriegs-
contribntion begnügen müssen, grade wie vor zehn Jahren um — grade wie
vor zehn Jahren gewiß zu sein, daß demnächst der Streit von neuem begin¬
nen werde. Dies alles unter der Voraussetzung, daß Oestreich im Kampfe
siegt und der Kampf nach dem neuerfundenen Namen, localisirt, zwischen Oest¬
reich und Sardinien ausgefochten wird. Wie aber, wenn das Kriegsfcucr
weiter um sich greift, und Sardinien nur als Vortrab des französischen Hee¬
res auftritt? Wir unterlassen es. uns über die Wahrscheinlichkeiten des Aus¬
ganges auszusprechen, in wohlfeilen Prophezeiungen uns zu ergehen. Als
gute Oestreichs zweifeln wir auch in diesem Falle nicht, daß unser Heer neue
Siege erringen wird, aber — wir verzweifeln schier an unserer Fähigkeit,
die Wunden, die dem innern Wohlstand ein andauernder, allgemeiner
Krieg schlagen wird, zu tragen, ohne zu verbluten. Es wird jetzt spät,
wenn nicht vielleicht zu spät allen klar, daß unsere Regierung die Zeit
der Friedensjahre unbenutzt vorüberstreichen ließ, die unbestreitbar großen
Machtmittel des Staats ungenügend entwickelte, die Opserfähigkcit des Volkes
wissentlich einschränkte. Die officiellen Stimmen werden natürlich widersprechen
und es als Lüge bezeichnen, trotzdem bleibt es wahr und wird als öffentliches
Geheimniß schon längst in das Ohr geflüstert, daß ein schneidender Gegen¬
satz die höchsten Regierungskreise scheidet; infolge des innern Zwiespaltes
olle Klarheit und Energie aus der Verwaltung gewichen ist. So lange Frei¬
herr Bach noch an seinen Centralisationsideen festhielt und in der französischen
Administration das höchste Ideal erblickte, war den Freunden des alten Re¬
gime, den Anhängern der Metternich-Kolowratischen Herrschaft jede Handhabe,
ihre Opposition geltend zu machen, genommen. Das Centralisationssystem
machte aber bekanntlich, kaum eingeführt, das glänzendste Fiasco. Bach,
von allen Seiten bestürmt, gab selbst seinem Werk den Todesstoß und näherte
das Verwaltungssystem dem alten durch die Revolution gebrochenen Zuschnitt.
Die Provinzialregierungen erhielten eine größere Selbstständigkeit, die Justiz
wurde für die Omnipotenz der politischen Behörden confiscire, die Keime eines
wirklichen Gemeindelebens kräftigst unterdrückt. Bis zu einem förmlichen
Widerruf seines eignen und, wie wir gern zugestehen, vielversprechenden Weges
stieg der Muth der Verzweiflung bei dem rathlosen Minister nicht. Er be¬
gnügte sich, die Organisation Oestreichs auf dem Papier bestehen zu lassen,
die bereits durchgeführten Reformen aber als bloße provisorische Maßregeln
zu bezeichnen. Mit dieser Halbheit war aber Bachs alten Gegnern, der durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/494>, abgerufen am 24.07.2024.