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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Das wäre der historische Irrthum; wichtiger ist der praktisch-Politische, Wir
haben stets gegen die Bezeichnung "ministeriell" für die liberale Partei protesttrt;
wir freuen uns lebhaft, daß der bisherige Führer derselben. Graf Schwerin, darin
unsrer Meinung ist. Das gegenwärtige Ministerium erscheint uns v,et besser als
das vorige, darum werden wir es aus allen Kräften gegen die Anhänger und Ein¬
bläser des vorigen unterstützen; es ist eine sehr große, mit tiefgefühlten Dank hin¬
zunehmende freiwillige Concession der Krone an das Volk, darum werden wir uns
hüten, ihm irgend welche Verlegenheiten zu bereiten, wir werden mäßig, bescheiden,
zurückhaltend in unsern Forderungen sein; aber es ist nicht der reine Ausdruck
unsrer Partei, darum wollen wir uns nicht mit ihm identificiren. Wir find keine
Whigs, keine Vettern einer "liberalen" Adclscoteric. wir sind die Vertreter der Inter¬
essen des preußischen Bürgerthums, und ebenso unabhängig vom Ministerium, als
es das Ministerium von uns ist. ,

.Wir wollen das Ministerium nicht drängen!" Das ist das allgemeine Stich¬
wort aller liberalen Factionen gewesen, auch der Demokraten, die im Ganzen ge¬
nommen in dieser Bewegung nicht blos einen sehr richtigen Takt, sondern auch ein
warmes vaterländisches Gefühl bewährt haben. Allein dieses Stichwort bedarf einer
bestimmtem Erklärung, weil es sonst die Partei zu einer sehr bedenklichen Lethargie
verurtheilen würde. -- Wir wollen das Ministerium nicht drängen in Bezug auf
die organische Gesetzgebung und die auswärtige Politik. Hr. v. Usedom, der,
wie man meint, der Regierung nahesteht, hat in dem Schreiben an seine Wähler
""gedeutet, daß die meisten organischen Gesetze (Gemeindeordnung, Grundsteuer,
Reform des Ministeriums) diesmal dem Landtag noch nicht vorgelegt werden dürften.
Es sei; die neue Regierung muß sich erst mühsam in die Verhältnisse einarbeiten,
und es ist besser, die organische Gesetzgebung nach einem wohlüberlegten Plan durch¬
zuführen , als unruhige Experimente vorzunehmen. die denn doch wieder zu
Irrungen Anlaß geben. Wir können warten; das Provisorium kann durch weise
Benutzung der bestehenden Ordnung erträglich gemacht werden.

Aber in einem Punkt tonnen wir nicht warten; Pflicht und Gewissen sprechen
ein zu kategorisches Wort. Wir müssen von der Regierung verlangen, die bisherige
Rechtsunstchcrhcit gründlich aufzuheben. Es ist viel gesündigt worden, und nicht
leicht werden die Folgen der bisherigen Parteihcrrschaft in dem innern Organismus
des Staats verschmerzt werden. Eine schnelle, allseitige und entscheidende Abhilfe
ist dringend nothwendig, und das Ministerium selbst wird sich durch die Worte des
erhabenen Fürsten angeregt fühlen: "Wenn in allen Regierungshandlungen sich
Wahrheit. Gesetzlichkeit und Konsequenz ausspricht, so ist ein Gouvernement stark,
weil es ein reines Gewissen hat. und mit diesem hat man ein Recht, allem Bösen
kräftig zu widerstehn." Diese Worte des Prinzen haben sich tief in die Brust des
V olks eingegraben; sie sollen und werden zur Wahrheit werden.




Das wäre der historische Irrthum; wichtiger ist der praktisch-Politische, Wir
haben stets gegen die Bezeichnung „ministeriell" für die liberale Partei protesttrt;
wir freuen uns lebhaft, daß der bisherige Führer derselben. Graf Schwerin, darin
unsrer Meinung ist. Das gegenwärtige Ministerium erscheint uns v,et besser als
das vorige, darum werden wir es aus allen Kräften gegen die Anhänger und Ein¬
bläser des vorigen unterstützen; es ist eine sehr große, mit tiefgefühlten Dank hin¬
zunehmende freiwillige Concession der Krone an das Volk, darum werden wir uns
hüten, ihm irgend welche Verlegenheiten zu bereiten, wir werden mäßig, bescheiden,
zurückhaltend in unsern Forderungen sein; aber es ist nicht der reine Ausdruck
unsrer Partei, darum wollen wir uns nicht mit ihm identificiren. Wir find keine
Whigs, keine Vettern einer „liberalen" Adclscoteric. wir sind die Vertreter der Inter¬
essen des preußischen Bürgerthums, und ebenso unabhängig vom Ministerium, als
es das Ministerium von uns ist. ,

.Wir wollen das Ministerium nicht drängen!" Das ist das allgemeine Stich¬
wort aller liberalen Factionen gewesen, auch der Demokraten, die im Ganzen ge¬
nommen in dieser Bewegung nicht blos einen sehr richtigen Takt, sondern auch ein
warmes vaterländisches Gefühl bewährt haben. Allein dieses Stichwort bedarf einer
bestimmtem Erklärung, weil es sonst die Partei zu einer sehr bedenklichen Lethargie
verurtheilen würde. — Wir wollen das Ministerium nicht drängen in Bezug auf
die organische Gesetzgebung und die auswärtige Politik. Hr. v. Usedom, der,
wie man meint, der Regierung nahesteht, hat in dem Schreiben an seine Wähler
«"gedeutet, daß die meisten organischen Gesetze (Gemeindeordnung, Grundsteuer,
Reform des Ministeriums) diesmal dem Landtag noch nicht vorgelegt werden dürften.
Es sei; die neue Regierung muß sich erst mühsam in die Verhältnisse einarbeiten,
und es ist besser, die organische Gesetzgebung nach einem wohlüberlegten Plan durch¬
zuführen , als unruhige Experimente vorzunehmen. die denn doch wieder zu
Irrungen Anlaß geben. Wir können warten; das Provisorium kann durch weise
Benutzung der bestehenden Ordnung erträglich gemacht werden.

Aber in einem Punkt tonnen wir nicht warten; Pflicht und Gewissen sprechen
ein zu kategorisches Wort. Wir müssen von der Regierung verlangen, die bisherige
Rechtsunstchcrhcit gründlich aufzuheben. Es ist viel gesündigt worden, und nicht
leicht werden die Folgen der bisherigen Parteihcrrschaft in dem innern Organismus
des Staats verschmerzt werden. Eine schnelle, allseitige und entscheidende Abhilfe
ist dringend nothwendig, und das Ministerium selbst wird sich durch die Worte des
erhabenen Fürsten angeregt fühlen: „Wenn in allen Regierungshandlungen sich
Wahrheit. Gesetzlichkeit und Konsequenz ausspricht, so ist ein Gouvernement stark,
weil es ein reines Gewissen hat. und mit diesem hat man ein Recht, allem Bösen
kräftig zu widerstehn." Diese Worte des Prinzen haben sich tief in die Brust des
V olks eingegraben; sie sollen und werden zur Wahrheit werden.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/49>, abgerufen am 24.07.2024.