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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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soll die Baukunst sein in der Darstellung und Behandlung des gebotenen
Materials, wahr aber auch in der Charakteristik des Bauwerks, in der Art
und Weise, wie sie dessen inneres Wesen in den äußern Formen zur Anschau¬
ung bringt. Die Ueberzeugung, daß das Wahre der schönen Darstellung
Subig sei, muß den Muth und die Kraft geben, wahr sein zu wollen.

Das dem Norden Deutschlands von Natur wie Tradition zugewiesene
Material ist der Backstein. Das Kriterion des Backsteinbaues aber ist die
aus dem geringen Volumen des gebrannten Steines und seiner Fähigkeit sich
in seinen einzelnen Theilen durch Mörtel zu einem continuirlichen Ganzen zu
verbinden, beruhende Möglichkeit, ein jedes Planschema frei und ungebunden
in beliebigen Breiten- und Höhenverhältnissen zu realisiren. Die Ueberspan- >
mung aller Wandöffnungcn bewerkstelligt der Backsteinbau durch den Bogen¬
bau, die Ueberspannung aller Naumöffnungen durch den fortgesetzten Bogen-,
den Gewölbebau. Gewährt nun aber der Bogenbau dem Starren. Bedingten
des Monolithenbaues gegenüber einerseits die größte Freiheit, weil Unabhän¬
gigkeit vom Material in mechanischer Beziehung, so gestattet er auch anderer¬
seits in Rücksicht aus die künstlerische Darstellung die umfassendste Charakteristik
des Bauwerks, läßt die subtilsten Nüancirnngen, die verschiedenartigsten Ver¬
hältnisse zu, und erhebt die Ausdrncksfähigkeit der Baukunst zur vollkommensten
Freiheit. Im Bogenbau bietet sonach der Backsteinbau die Möglichkeit, die
verschiedenartigsten Bauzwecke ihrem Wesen nach charakteristisch zur Erscheinung
zu bringen; im Aeußern aber das Innere eines Gebäudes, seinen Zweck,
seine Bedeutung, mit einem Worte seine ganze Individualität auszusprechen,
ist Grund und Bedingung aller wahren, aller monumentalen Baukunst. --
Die Baukunst soll aber auch wahr sein in der Darstellung des Materials,
aus dem sie ihre Werte bildet. "Denn nicht blos in einem gänzlichen Ueber-
winden des Stoffes, nicht blos in einem Zwingen desselben zum todten Sche¬
matismus kann die Größe der Tektonik bestehen, sondern vielmehr darin, daß
man auch dem Stoff, indem man ihn annimmt, sein Recht widerfahren läßt
und ihm selbst durch Bildung und Fügung den Anschein eines höhern idealen
Lebens für den hohen geistigen Zweck, dem er dienen soll, aufzuprägen weiß."
Die Formbildung des Materials, die Darstellung desselben auf sein Wesen,
seine technische Fähigkeit zu basiren, sie darum und demgemäß zu charakte-
risiren ist die Aufgabe; die Lösung derselben im Sinne und Geiste griechischer
Kunst nach dem hellenischen Princip, den Begriff und die Wesenheit jedes
baulichen Gliedes für sich wie für das Ganze, dessen Theil es ist, in seiner
Form zur Anschauung zu bringen, die bleibende Frucht des Studiums grie¬
chischer Kunst.




soll die Baukunst sein in der Darstellung und Behandlung des gebotenen
Materials, wahr aber auch in der Charakteristik des Bauwerks, in der Art
und Weise, wie sie dessen inneres Wesen in den äußern Formen zur Anschau¬
ung bringt. Die Ueberzeugung, daß das Wahre der schönen Darstellung
Subig sei, muß den Muth und die Kraft geben, wahr sein zu wollen.

Das dem Norden Deutschlands von Natur wie Tradition zugewiesene
Material ist der Backstein. Das Kriterion des Backsteinbaues aber ist die
aus dem geringen Volumen des gebrannten Steines und seiner Fähigkeit sich
in seinen einzelnen Theilen durch Mörtel zu einem continuirlichen Ganzen zu
verbinden, beruhende Möglichkeit, ein jedes Planschema frei und ungebunden
in beliebigen Breiten- und Höhenverhältnissen zu realisiren. Die Ueberspan- >
mung aller Wandöffnungcn bewerkstelligt der Backsteinbau durch den Bogen¬
bau, die Ueberspannung aller Naumöffnungen durch den fortgesetzten Bogen-,
den Gewölbebau. Gewährt nun aber der Bogenbau dem Starren. Bedingten
des Monolithenbaues gegenüber einerseits die größte Freiheit, weil Unabhän¬
gigkeit vom Material in mechanischer Beziehung, so gestattet er auch anderer¬
seits in Rücksicht aus die künstlerische Darstellung die umfassendste Charakteristik
des Bauwerks, läßt die subtilsten Nüancirnngen, die verschiedenartigsten Ver¬
hältnisse zu, und erhebt die Ausdrncksfähigkeit der Baukunst zur vollkommensten
Freiheit. Im Bogenbau bietet sonach der Backsteinbau die Möglichkeit, die
verschiedenartigsten Bauzwecke ihrem Wesen nach charakteristisch zur Erscheinung
zu bringen; im Aeußern aber das Innere eines Gebäudes, seinen Zweck,
seine Bedeutung, mit einem Worte seine ganze Individualität auszusprechen,
ist Grund und Bedingung aller wahren, aller monumentalen Baukunst. —
Die Baukunst soll aber auch wahr sein in der Darstellung des Materials,
aus dem sie ihre Werte bildet. „Denn nicht blos in einem gänzlichen Ueber-
winden des Stoffes, nicht blos in einem Zwingen desselben zum todten Sche¬
matismus kann die Größe der Tektonik bestehen, sondern vielmehr darin, daß
man auch dem Stoff, indem man ihn annimmt, sein Recht widerfahren läßt
und ihm selbst durch Bildung und Fügung den Anschein eines höhern idealen
Lebens für den hohen geistigen Zweck, dem er dienen soll, aufzuprägen weiß."
Die Formbildung des Materials, die Darstellung desselben auf sein Wesen,
seine technische Fähigkeit zu basiren, sie darum und demgemäß zu charakte-
risiren ist die Aufgabe; die Lösung derselben im Sinne und Geiste griechischer
Kunst nach dem hellenischen Princip, den Begriff und die Wesenheit jedes
baulichen Gliedes für sich wie für das Ganze, dessen Theil es ist, in seiner
Form zur Anschauung zu bringen, die bleibende Frucht des Studiums grie¬
chischer Kunst.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/46>, abgerufen am 24.07.2024.