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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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garns befriediget: könne. Die Erinnerung an die Zustände vor 1848 muß
sich vielmehr in dem Maß lebhaft erhalten, als dasjenige, was Ungarn da¬
mals verlor, durch dasjenige, was der Einzelne als Bürger des Gesammt-
staats gewonnen, nicht ersetzt ist.

Die ständische Vertretung ist ferner nothwendig, um die provinziellen
Gegensähe auszugleichen. Es wäre ein eitles Beginnen, dies auf dem Wege
administrativer Centralisation durchzuführen: eine solche würde nur den Erfolg
haben, sämmtliche Völker gegen die Regierung zu verbinden. Je mehr die
Verwaltung centralisirt ist, d. h. je mehr diejenigen, die daran Theil nehmen,
einen eigenen Beamtenstand bilden, dessen Interessen von denen der übrigen
Staatsangehörigen verschieden sind, desto weniger kann sie als Mittel der
Vereinigung betrachtet werden. Endlich ist nur eine constitutionelle Staats¬
form im Stande, die großen Geldmittel, deren Oestreich bedarf, in einer für
die Mehrheit befriedigenden Weise aufzubringen.

Eine Verfassung hat nur dann einen wahrhaft conservativen Charakter,
wenn die Macht des Königthums auf Grundlagen ruht, die durch den Volks¬
willen nicht erschüttert werden können. Weil in einem Lande, wo sich die
monarchische Gewalt, um ihre Legitimität zu beweisen, nur auf den Willen
der Majorität berufen kann, kein solches Königthum möglich ist; weil die
Sicherheit jedes Monarchen unter solchen Umständen davon abhängt, daß er
sich die Gunst des Volks oder eine unumschränkte Macht über dasselbe zu er¬
halten wisse: darum wird in Frankreich die constitutionelle Monarchie unhalt¬
bar sein. "Dieselben Gründe überzeugen mich, daß von allen
europäischen Staaten vielleicht kein einziger zu finden sei,
welcher sich mehr für diese Regierungsform eignet, als eben der
unsere." -- Weil das Recht der Dynastie in den einzelnen Provinzen ein
legitimes ist und auf geschichtlicher Grundlage ruht; weil es der gegenwär¬
tigen Gestaltung der Monarchie vorangegangen und daher von dieser unab¬
hängig ist: so muß der Begriff des legitimen Rechts der Dynastie mit jenem
des in den einzelnen Theilen der Monarchie geltenden Rechts verbunden wer¬
den. Und es ist eine nothwendige Folge dieser Verhältnisse, daß der Besitz
der Kaiserkrone als nothwendige Folge, nicht aber als die Bedingung jener
Rechte betrachtet wird, welche der Dynastie in den einzelnen Provinzen zu¬
kommen. Damit hängt, was für die constitutionelle Staatsform so wich¬
tig ist, das Bestehen einer mächtigen, nationalen und unabhängigen Aristo¬
kratie zusammen, die man anderwärts erst künstlich schaffen muß.

Weil der östreichische Staat nicht durch den Begriff der Staatseinheit,
sondern durch jene Macht zusammengehalten wird, die das monarchische Prin¬
cip in den einzelnen Provinzen besitzt, so ist jede Einrichtung unpassend,
wodurch man das Aufgehen der einzelnen Theile der Monarchie in das Ganze


garns befriediget: könne. Die Erinnerung an die Zustände vor 1848 muß
sich vielmehr in dem Maß lebhaft erhalten, als dasjenige, was Ungarn da¬
mals verlor, durch dasjenige, was der Einzelne als Bürger des Gesammt-
staats gewonnen, nicht ersetzt ist.

Die ständische Vertretung ist ferner nothwendig, um die provinziellen
Gegensähe auszugleichen. Es wäre ein eitles Beginnen, dies auf dem Wege
administrativer Centralisation durchzuführen: eine solche würde nur den Erfolg
haben, sämmtliche Völker gegen die Regierung zu verbinden. Je mehr die
Verwaltung centralisirt ist, d. h. je mehr diejenigen, die daran Theil nehmen,
einen eigenen Beamtenstand bilden, dessen Interessen von denen der übrigen
Staatsangehörigen verschieden sind, desto weniger kann sie als Mittel der
Vereinigung betrachtet werden. Endlich ist nur eine constitutionelle Staats¬
form im Stande, die großen Geldmittel, deren Oestreich bedarf, in einer für
die Mehrheit befriedigenden Weise aufzubringen.

Eine Verfassung hat nur dann einen wahrhaft conservativen Charakter,
wenn die Macht des Königthums auf Grundlagen ruht, die durch den Volks¬
willen nicht erschüttert werden können. Weil in einem Lande, wo sich die
monarchische Gewalt, um ihre Legitimität zu beweisen, nur auf den Willen
der Majorität berufen kann, kein solches Königthum möglich ist; weil die
Sicherheit jedes Monarchen unter solchen Umständen davon abhängt, daß er
sich die Gunst des Volks oder eine unumschränkte Macht über dasselbe zu er¬
halten wisse: darum wird in Frankreich die constitutionelle Monarchie unhalt¬
bar sein. „Dieselben Gründe überzeugen mich, daß von allen
europäischen Staaten vielleicht kein einziger zu finden sei,
welcher sich mehr für diese Regierungsform eignet, als eben der
unsere." — Weil das Recht der Dynastie in den einzelnen Provinzen ein
legitimes ist und auf geschichtlicher Grundlage ruht; weil es der gegenwär¬
tigen Gestaltung der Monarchie vorangegangen und daher von dieser unab¬
hängig ist: so muß der Begriff des legitimen Rechts der Dynastie mit jenem
des in den einzelnen Theilen der Monarchie geltenden Rechts verbunden wer¬
den. Und es ist eine nothwendige Folge dieser Verhältnisse, daß der Besitz
der Kaiserkrone als nothwendige Folge, nicht aber als die Bedingung jener
Rechte betrachtet wird, welche der Dynastie in den einzelnen Provinzen zu¬
kommen. Damit hängt, was für die constitutionelle Staatsform so wich¬
tig ist, das Bestehen einer mächtigen, nationalen und unabhängigen Aristo¬
kratie zusammen, die man anderwärts erst künstlich schaffen muß.

Weil der östreichische Staat nicht durch den Begriff der Staatseinheit,
sondern durch jene Macht zusammengehalten wird, die das monarchische Prin¬
cip in den einzelnen Provinzen besitzt, so ist jede Einrichtung unpassend,
wodurch man das Aufgehen der einzelnen Theile der Monarchie in das Ganze


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[0457] garns befriediget: könne. Die Erinnerung an die Zustände vor 1848 muß sich vielmehr in dem Maß lebhaft erhalten, als dasjenige, was Ungarn da¬ mals verlor, durch dasjenige, was der Einzelne als Bürger des Gesammt- staats gewonnen, nicht ersetzt ist. Die ständische Vertretung ist ferner nothwendig, um die provinziellen Gegensähe auszugleichen. Es wäre ein eitles Beginnen, dies auf dem Wege administrativer Centralisation durchzuführen: eine solche würde nur den Erfolg haben, sämmtliche Völker gegen die Regierung zu verbinden. Je mehr die Verwaltung centralisirt ist, d. h. je mehr diejenigen, die daran Theil nehmen, einen eigenen Beamtenstand bilden, dessen Interessen von denen der übrigen Staatsangehörigen verschieden sind, desto weniger kann sie als Mittel der Vereinigung betrachtet werden. Endlich ist nur eine constitutionelle Staats¬ form im Stande, die großen Geldmittel, deren Oestreich bedarf, in einer für die Mehrheit befriedigenden Weise aufzubringen. Eine Verfassung hat nur dann einen wahrhaft conservativen Charakter, wenn die Macht des Königthums auf Grundlagen ruht, die durch den Volks¬ willen nicht erschüttert werden können. Weil in einem Lande, wo sich die monarchische Gewalt, um ihre Legitimität zu beweisen, nur auf den Willen der Majorität berufen kann, kein solches Königthum möglich ist; weil die Sicherheit jedes Monarchen unter solchen Umständen davon abhängt, daß er sich die Gunst des Volks oder eine unumschränkte Macht über dasselbe zu er¬ halten wisse: darum wird in Frankreich die constitutionelle Monarchie unhalt¬ bar sein. „Dieselben Gründe überzeugen mich, daß von allen europäischen Staaten vielleicht kein einziger zu finden sei, welcher sich mehr für diese Regierungsform eignet, als eben der unsere." — Weil das Recht der Dynastie in den einzelnen Provinzen ein legitimes ist und auf geschichtlicher Grundlage ruht; weil es der gegenwär¬ tigen Gestaltung der Monarchie vorangegangen und daher von dieser unab¬ hängig ist: so muß der Begriff des legitimen Rechts der Dynastie mit jenem des in den einzelnen Theilen der Monarchie geltenden Rechts verbunden wer¬ den. Und es ist eine nothwendige Folge dieser Verhältnisse, daß der Besitz der Kaiserkrone als nothwendige Folge, nicht aber als die Bedingung jener Rechte betrachtet wird, welche der Dynastie in den einzelnen Provinzen zu¬ kommen. Damit hängt, was für die constitutionelle Staatsform so wich¬ tig ist, das Bestehen einer mächtigen, nationalen und unabhängigen Aristo¬ kratie zusammen, die man anderwärts erst künstlich schaffen muß. Weil der östreichische Staat nicht durch den Begriff der Staatseinheit, sondern durch jene Macht zusammengehalten wird, die das monarchische Prin¬ cip in den einzelnen Provinzen besitzt, so ist jede Einrichtung unpassend, wodurch man das Aufgehen der einzelnen Theile der Monarchie in das Ganze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/457>, abgerufen am 24.07.2024.