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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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die aus den Staatseinkünften gut besoldete Abgeordnetenkammer antworteten
auf jede Vorlage mit einem devoter Ja.

Die einzige Freiheit, die dem Volke blieb, war die in Religionssachen.
Der Papst schickte 1853 einen Legaten nach Port an Prince, um mit Sr.
schwarzen Majestät ein Concordat abzuschließen. Soulouque wollte davon
nichts wissen. Er meinte nicht unverständig, es bedürfe keiner solchen Ueber-
einkunft mit dem päpstlichen Stuhl, da die Regierung schon selbst auf Er¬
haltung des Katholicismus bedacht sei. Haiti sollte vor den aufrührerischen
Ränken einer Rom mehr als der einheimischen Oberbehörde gehorchenden
Geistlichkeit bewahrt bleiben. Uebrigens hätten die sonst mit ihrem Bann¬
strahl so freigebigen Statthalter Christi nie daran gedacht, den Sklavenhandel
mit dem Bann zu belegen, und endlich hätte der Papst die dem Staat
Haiti stets feindlich gesinnten Franzosen in Rom, und gehorchte Haiti jetzt
Sr. Heiligkeit, so würde es mittelbar der Herrschaft Frankreichs unterworfen
sein. Da die Remonstrationen des Legaten gegen diesen Bescheid nichts fruch¬
teten, so versuchte er es mit Demonstrationen, kam damit aber an den un¬
rechten Mann. Soulouque stellte ihn unter polizeiliche Aufsicht, und Mon-
signore sah sich zuletzt genöthigt, sich unverrichteter Sache nach Hause zu
begeben. Zwangsmaßregeln anzuwenden trug man in Rom Bedenken, da
Soulouque für den Fall gedroht hatte, mit seinem ganzen Volk zum Metho¬
dismus überzutreten.

So blieb der baltische Katholicismus sich selbst überlassen, und die Art,
wie er sich entwickelte, ist nicht weniger bezeichnend für das Wesen des Negcr-
thums, als die politische Geschichte des Landes. Die schwarze und gelbe
Geistlichkeit verwilderte immer mehr. Dazu kamen europäische Priester, die
wegen schlechter Streiche ihre Heimat!) verlassen hatten, auf Haiti aber, da
sie wenigstens lesen und schreiben konnten, auch etwas Latein verstanden, als
gelehrte Männer bewundert und sofort angestellt wurden. Die Schließung
kirchlicher Ehen geriet!) allmälig fast ganz außer Gebrauch, mehr als neun
Zehntel der Unterthanen Faustin-Soulouques lebten gleich ihrem Kaiser vor
seiner Krönung im Concubinat und liefen nach Belieben zu- und voneinander
wie in Afrika, ihrer Urheimat!). Endlich trat dazu noch der Götzendienst der
Wodureligion, der sich immer weiter ausbreitete, einen großen Theil der ein¬
heimischen Priesterschaft zu Anhängern gewann, in Soulouque selbst einen
Oberpriesier erhielt und, indem seine Gebräuche mit denen der katholischen
Kirche verschmolzen, die große Mehrzahl des Volkes von Haiti außer den
Heiligen Roms auch noch die Fetischschlangc Afrikas anbeten ließ. Daß da¬
mit die Barbarei auch auf andern Gebieten des Lebens noch mehr überhand¬
nahm als früher, kann nicht verwundern, und wenn die schwarzen Stutzer
von Port an Prince sich die "Pariser Westindiens" nennen lassen, so ist dar-


die aus den Staatseinkünften gut besoldete Abgeordnetenkammer antworteten
auf jede Vorlage mit einem devoter Ja.

Die einzige Freiheit, die dem Volke blieb, war die in Religionssachen.
Der Papst schickte 1853 einen Legaten nach Port an Prince, um mit Sr.
schwarzen Majestät ein Concordat abzuschließen. Soulouque wollte davon
nichts wissen. Er meinte nicht unverständig, es bedürfe keiner solchen Ueber-
einkunft mit dem päpstlichen Stuhl, da die Regierung schon selbst auf Er¬
haltung des Katholicismus bedacht sei. Haiti sollte vor den aufrührerischen
Ränken einer Rom mehr als der einheimischen Oberbehörde gehorchenden
Geistlichkeit bewahrt bleiben. Uebrigens hätten die sonst mit ihrem Bann¬
strahl so freigebigen Statthalter Christi nie daran gedacht, den Sklavenhandel
mit dem Bann zu belegen, und endlich hätte der Papst die dem Staat
Haiti stets feindlich gesinnten Franzosen in Rom, und gehorchte Haiti jetzt
Sr. Heiligkeit, so würde es mittelbar der Herrschaft Frankreichs unterworfen
sein. Da die Remonstrationen des Legaten gegen diesen Bescheid nichts fruch¬
teten, so versuchte er es mit Demonstrationen, kam damit aber an den un¬
rechten Mann. Soulouque stellte ihn unter polizeiliche Aufsicht, und Mon-
signore sah sich zuletzt genöthigt, sich unverrichteter Sache nach Hause zu
begeben. Zwangsmaßregeln anzuwenden trug man in Rom Bedenken, da
Soulouque für den Fall gedroht hatte, mit seinem ganzen Volk zum Metho¬
dismus überzutreten.

So blieb der baltische Katholicismus sich selbst überlassen, und die Art,
wie er sich entwickelte, ist nicht weniger bezeichnend für das Wesen des Negcr-
thums, als die politische Geschichte des Landes. Die schwarze und gelbe
Geistlichkeit verwilderte immer mehr. Dazu kamen europäische Priester, die
wegen schlechter Streiche ihre Heimat!) verlassen hatten, auf Haiti aber, da
sie wenigstens lesen und schreiben konnten, auch etwas Latein verstanden, als
gelehrte Männer bewundert und sofort angestellt wurden. Die Schließung
kirchlicher Ehen geriet!) allmälig fast ganz außer Gebrauch, mehr als neun
Zehntel der Unterthanen Faustin-Soulouques lebten gleich ihrem Kaiser vor
seiner Krönung im Concubinat und liefen nach Belieben zu- und voneinander
wie in Afrika, ihrer Urheimat!). Endlich trat dazu noch der Götzendienst der
Wodureligion, der sich immer weiter ausbreitete, einen großen Theil der ein¬
heimischen Priesterschaft zu Anhängern gewann, in Soulouque selbst einen
Oberpriesier erhielt und, indem seine Gebräuche mit denen der katholischen
Kirche verschmolzen, die große Mehrzahl des Volkes von Haiti außer den
Heiligen Roms auch noch die Fetischschlangc Afrikas anbeten ließ. Daß da¬
mit die Barbarei auch auf andern Gebieten des Lebens noch mehr überhand¬
nahm als früher, kann nicht verwundern, und wenn die schwarzen Stutzer
von Port an Prince sich die „Pariser Westindiens" nennen lassen, so ist dar-


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[0437] die aus den Staatseinkünften gut besoldete Abgeordnetenkammer antworteten auf jede Vorlage mit einem devoter Ja. Die einzige Freiheit, die dem Volke blieb, war die in Religionssachen. Der Papst schickte 1853 einen Legaten nach Port an Prince, um mit Sr. schwarzen Majestät ein Concordat abzuschließen. Soulouque wollte davon nichts wissen. Er meinte nicht unverständig, es bedürfe keiner solchen Ueber- einkunft mit dem päpstlichen Stuhl, da die Regierung schon selbst auf Er¬ haltung des Katholicismus bedacht sei. Haiti sollte vor den aufrührerischen Ränken einer Rom mehr als der einheimischen Oberbehörde gehorchenden Geistlichkeit bewahrt bleiben. Uebrigens hätten die sonst mit ihrem Bann¬ strahl so freigebigen Statthalter Christi nie daran gedacht, den Sklavenhandel mit dem Bann zu belegen, und endlich hätte der Papst die dem Staat Haiti stets feindlich gesinnten Franzosen in Rom, und gehorchte Haiti jetzt Sr. Heiligkeit, so würde es mittelbar der Herrschaft Frankreichs unterworfen sein. Da die Remonstrationen des Legaten gegen diesen Bescheid nichts fruch¬ teten, so versuchte er es mit Demonstrationen, kam damit aber an den un¬ rechten Mann. Soulouque stellte ihn unter polizeiliche Aufsicht, und Mon- signore sah sich zuletzt genöthigt, sich unverrichteter Sache nach Hause zu begeben. Zwangsmaßregeln anzuwenden trug man in Rom Bedenken, da Soulouque für den Fall gedroht hatte, mit seinem ganzen Volk zum Metho¬ dismus überzutreten. So blieb der baltische Katholicismus sich selbst überlassen, und die Art, wie er sich entwickelte, ist nicht weniger bezeichnend für das Wesen des Negcr- thums, als die politische Geschichte des Landes. Die schwarze und gelbe Geistlichkeit verwilderte immer mehr. Dazu kamen europäische Priester, die wegen schlechter Streiche ihre Heimat!) verlassen hatten, auf Haiti aber, da sie wenigstens lesen und schreiben konnten, auch etwas Latein verstanden, als gelehrte Männer bewundert und sofort angestellt wurden. Die Schließung kirchlicher Ehen geriet!) allmälig fast ganz außer Gebrauch, mehr als neun Zehntel der Unterthanen Faustin-Soulouques lebten gleich ihrem Kaiser vor seiner Krönung im Concubinat und liefen nach Belieben zu- und voneinander wie in Afrika, ihrer Urheimat!). Endlich trat dazu noch der Götzendienst der Wodureligion, der sich immer weiter ausbreitete, einen großen Theil der ein¬ heimischen Priesterschaft zu Anhängern gewann, in Soulouque selbst einen Oberpriesier erhielt und, indem seine Gebräuche mit denen der katholischen Kirche verschmolzen, die große Mehrzahl des Volkes von Haiti außer den Heiligen Roms auch noch die Fetischschlangc Afrikas anbeten ließ. Daß da¬ mit die Barbarei auch auf andern Gebieten des Lebens noch mehr überhand¬ nahm als früher, kann nicht verwundern, und wenn die schwarzen Stutzer von Port an Prince sich die „Pariser Westindiens" nennen lassen, so ist dar-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/437>, abgerufen am 24.07.2024.