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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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gier erobert und sich dort festgesetzt. Es wird bei Gelegenheit mich Marokko
nehmen und sich dort gleichfalls festsetzen. Französischer Einfluß ist in Tunis
thätig, das dortige Regiment zu untergraben und Ursachen zu Händeln und
zur Einmischung zu finden. Französischer Einfluß gewinnt, wie wir alle wis¬
sen, in Italien täglich mehr Boden, wirkt in Griechenland und selbst an der
Ostküste des adriatischen Meeres. Er würde in diesen Gegenden bereits all¬
mächtig sein, wenn England sich nicht zu rechter Zeit Malta und Korfu ge
sichert hätte. Fällt Tunis einmal in die Hand Napoleons III., so verlieren
Gibraltar, Malta und Korfu sehr viel von ihrer jetzigen Bedeutuug. Von
diesem Punkte aus, dem alten Karthago, würde Frankreich im geeigneten
Moment nicht blos das Meer der Syrien, sondern auch das adriatische ab¬
sperren können, und Algier und das Nildelta sind sich dann um die Hälste
des Weges näher gerückt. Von hier aus würde es Sicilien und Unteritalien
zu beherrschen, ja nach Maßgabe der Umstünde selbst dort Fuß zu fassen im
Stande sein. Von hier aus ließe sich ein Zug nach/Aegypten aus das wirk¬
samste unterstützen, und Frankreich war unter schwierigeren Verhältnissen, als
die jetzigen sind, unter weit schwierigeren als sie sein würden, wenn die
Sueztanalgesellschaft als Pionnier der militärischen Eroberung Aegyptens das
Terrain geebnet hatte, schon einmal im Besitz des Landes der Pharaonen.

Wenn Englands Politik nicht in allen Dingen und am wenigsten viel¬
leicht in ihrer Stellung zu Norddeutschland den Ruhm der Weitsichtigkeit ver¬
dient, so hat sie hier in Aegypten stets gewußt, worin ihr Vortheil besteht.
Aegypten, das "Holland der Levante", das reichste und entwicklungsfähigste
Land an der ganzen Südküste des Mittelmeeres, zu allen Zeiten das Empo-
rium zwischen Morgen- und Abendland, der Schlüssel zu der wichtigsten aller
englischen Colonien, nimmt in der britischen Politik eine Hauptstelle ein.
Hört das Delta und Thal des Nil auf, ein ohnmächtiges Anhängsel des
osmanischen Reiches zu sein, so muß es unmittelbar in britischen Besitz über¬
gehen, wenn Englands Macht im Mittelmeer und in Indien noch ferner an
sicherm Anker liegen soll. Als Napoleon I. vor sechzig Jahren das Nilland
überfiel, galt dies an der Themse für ein natione-lunglück. Man sprach so¬
gar von künstlicher Verödung des Landes durch Ableitung des Stromes, der
es bewässert. Man setzte alles daran, die Schlacht bei den Pyramiden wett
zu machen, und ruhte uicht eher, als bis dem französischen Nebenbuhler die
Position wieder entrissen und den schwachen Händen der Pforte zurückerstattet
war. Als später Mehemed Ali mit seinen von französischen Offizieren ge¬
schulten Heeren Aegypten vom türkischen Reich losreißen und zum selbststän-
digen Sultanat erheben wollte, wobei er von Paris aus direct unterstützt
wurde, warf sich im Jahre 1840 vor allem das Cabinet von Se. James
dazwischen und scheute selbst einen Krieg mit Frankreich nicht, als es galt,


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gier erobert und sich dort festgesetzt. Es wird bei Gelegenheit mich Marokko
nehmen und sich dort gleichfalls festsetzen. Französischer Einfluß ist in Tunis
thätig, das dortige Regiment zu untergraben und Ursachen zu Händeln und
zur Einmischung zu finden. Französischer Einfluß gewinnt, wie wir alle wis¬
sen, in Italien täglich mehr Boden, wirkt in Griechenland und selbst an der
Ostküste des adriatischen Meeres. Er würde in diesen Gegenden bereits all¬
mächtig sein, wenn England sich nicht zu rechter Zeit Malta und Korfu ge
sichert hätte. Fällt Tunis einmal in die Hand Napoleons III., so verlieren
Gibraltar, Malta und Korfu sehr viel von ihrer jetzigen Bedeutuug. Von
diesem Punkte aus, dem alten Karthago, würde Frankreich im geeigneten
Moment nicht blos das Meer der Syrien, sondern auch das adriatische ab¬
sperren können, und Algier und das Nildelta sind sich dann um die Hälste
des Weges näher gerückt. Von hier aus würde es Sicilien und Unteritalien
zu beherrschen, ja nach Maßgabe der Umstünde selbst dort Fuß zu fassen im
Stande sein. Von hier aus ließe sich ein Zug nach/Aegypten aus das wirk¬
samste unterstützen, und Frankreich war unter schwierigeren Verhältnissen, als
die jetzigen sind, unter weit schwierigeren als sie sein würden, wenn die
Sueztanalgesellschaft als Pionnier der militärischen Eroberung Aegyptens das
Terrain geebnet hatte, schon einmal im Besitz des Landes der Pharaonen.

Wenn Englands Politik nicht in allen Dingen und am wenigsten viel¬
leicht in ihrer Stellung zu Norddeutschland den Ruhm der Weitsichtigkeit ver¬
dient, so hat sie hier in Aegypten stets gewußt, worin ihr Vortheil besteht.
Aegypten, das „Holland der Levante", das reichste und entwicklungsfähigste
Land an der ganzen Südküste des Mittelmeeres, zu allen Zeiten das Empo-
rium zwischen Morgen- und Abendland, der Schlüssel zu der wichtigsten aller
englischen Colonien, nimmt in der britischen Politik eine Hauptstelle ein.
Hört das Delta und Thal des Nil auf, ein ohnmächtiges Anhängsel des
osmanischen Reiches zu sein, so muß es unmittelbar in britischen Besitz über¬
gehen, wenn Englands Macht im Mittelmeer und in Indien noch ferner an
sicherm Anker liegen soll. Als Napoleon I. vor sechzig Jahren das Nilland
überfiel, galt dies an der Themse für ein natione-lunglück. Man sprach so¬
gar von künstlicher Verödung des Landes durch Ableitung des Stromes, der
es bewässert. Man setzte alles daran, die Schlacht bei den Pyramiden wett
zu machen, und ruhte uicht eher, als bis dem französischen Nebenbuhler die
Position wieder entrissen und den schwachen Händen der Pforte zurückerstattet
war. Als später Mehemed Ali mit seinen von französischen Offizieren ge¬
schulten Heeren Aegypten vom türkischen Reich losreißen und zum selbststän-
digen Sultanat erheben wollte, wobei er von Paris aus direct unterstützt
wurde, warf sich im Jahre 1840 vor allem das Cabinet von Se. James
dazwischen und scheute selbst einen Krieg mit Frankreich nicht, als es galt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/365>, abgerufen am 24.07.2024.