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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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glaubte, daß man Türkei? ebenso Wort halten und ebenso ihr Recht werden
lassen müßte, als einer civilisirten Nation? Von Palliativinitteln ist liier ebenso
wenig wie im Norden des Reichs der Sultane ein dauernder Schuh zu er¬
warten. Auch Aegypten muß mit der Zeit einmal unter die Herrschaft des
Abendlandes zurückkehren, der Suezkanal aber würde, selbst wenn er sich auf
die Dauer nicht erhalten ließe, die Krisis beschleunigen und sie herbeiführen,
ehe die hier in Frage kommenden Interessen der Großmächte sich ausgeglichen
haben. Unter den gegenwärtigen Umständen und unter allen Umständen, wo
Frankreich einen starken Herrscher hat, würde das Land eine Beute der Frau
zoscn werden, die in den letzten Jahrzehnten wacker vorgearbeitet haben und
in der Kanalconcession, welche von ihnen hauptsächlich erworben und ihnen
hauptsächlich ertheilt ist, Rechte besitzen, die geschickt interpretirt und benutzt,
einer großen Ausdehnung fähig sind.

Herr v. Lesseps will den Kanal nicht blos mit französischen Mitteln, son¬
dern mit europäischem Gelde und unter Mitwirkung einer europäischen Com¬
pagnie bauen. Kapitalisten aus Trieft und Wien, aus Hamburg und London
sollen ihre Stimme mit abgeben dürsen. Aber die "tüomizagnic; univoi'SkIlv"
hat ihren Verwaltungssitz in Paris, ihr Gerichtsforum ebenfalls in Paris,
und v. Lesseps, der französische Diplomat, der Vetter der Kaiserin der Fran¬
zosen, ist auf volle zehn Jahre zum Vorsitzenden des Directoriums und des
Verwaltungsrathes ernannt worden. Schon dies verleiht dem Unternehmen
einen französischen Charakter, stellt es überwiegend unter französischen Ein¬
fluß , setzt es der geheimen und offenen Maßregelung der in ihren Entschlüssen
unberechenbaren, in ihren Mitteln durchaus nicht wählerischen kaiserlichen
Autokratie aus.

Nur die vollkommenste Blindheit wird es bei solchen Umständen der eng¬
lischen Regierung verdenken, wenn sie von dein Lcssepsschcn Plane nichts
wissen mag. Zunächst fürchtet sie wol, daß die Franzosen dnrch Eröffnung
des Isthmus Gelegenheit bekommen würden, sich aus eine für England ge¬
fährliche Art in Aegypten und am rothen Meer festzusetzen. Die französischen Ein¬
dringlinge würden -- schon jetzt ist der französische Konsul der einflußreichste
in Kairo -- Positionen und Einflüsse zu gewinnen suchen, welche das britische
Interesse und namentlich die indische Post hindern und beeinträchtigen könn¬
ten. Bitt tiefstem Verdruß betrachten die Engländer die Eisenbahn, welche
eine vom Vicekönig privilegirte französische Gesellschaft von Kairo nach Suez
vollendet hat, während die britische Peninsular-Compagny, welche die Bahn
von Alexandrien nach Kairo baute, und auch die von dort bis zum rothen
Meer herstellen wollte, das Zusehen hat. Die "Times" hat wiederholt mit
bittern Worten dieses nebenbuhlerische Treiben der Franzosen in Aegypten
charakterisiert. "Aus Nationaleifersucht und Nationaleitelkeit," sagte sie, "gehn


Grenzboten I. 1859. 45

glaubte, daß man Türkei? ebenso Wort halten und ebenso ihr Recht werden
lassen müßte, als einer civilisirten Nation? Von Palliativinitteln ist liier ebenso
wenig wie im Norden des Reichs der Sultane ein dauernder Schuh zu er¬
warten. Auch Aegypten muß mit der Zeit einmal unter die Herrschaft des
Abendlandes zurückkehren, der Suezkanal aber würde, selbst wenn er sich auf
die Dauer nicht erhalten ließe, die Krisis beschleunigen und sie herbeiführen,
ehe die hier in Frage kommenden Interessen der Großmächte sich ausgeglichen
haben. Unter den gegenwärtigen Umständen und unter allen Umständen, wo
Frankreich einen starken Herrscher hat, würde das Land eine Beute der Frau
zoscn werden, die in den letzten Jahrzehnten wacker vorgearbeitet haben und
in der Kanalconcession, welche von ihnen hauptsächlich erworben und ihnen
hauptsächlich ertheilt ist, Rechte besitzen, die geschickt interpretirt und benutzt,
einer großen Ausdehnung fähig sind.

Herr v. Lesseps will den Kanal nicht blos mit französischen Mitteln, son¬
dern mit europäischem Gelde und unter Mitwirkung einer europäischen Com¬
pagnie bauen. Kapitalisten aus Trieft und Wien, aus Hamburg und London
sollen ihre Stimme mit abgeben dürsen. Aber die „tüomizagnic; univoi'SkIlv"
hat ihren Verwaltungssitz in Paris, ihr Gerichtsforum ebenfalls in Paris,
und v. Lesseps, der französische Diplomat, der Vetter der Kaiserin der Fran¬
zosen, ist auf volle zehn Jahre zum Vorsitzenden des Directoriums und des
Verwaltungsrathes ernannt worden. Schon dies verleiht dem Unternehmen
einen französischen Charakter, stellt es überwiegend unter französischen Ein¬
fluß , setzt es der geheimen und offenen Maßregelung der in ihren Entschlüssen
unberechenbaren, in ihren Mitteln durchaus nicht wählerischen kaiserlichen
Autokratie aus.

Nur die vollkommenste Blindheit wird es bei solchen Umständen der eng¬
lischen Regierung verdenken, wenn sie von dein Lcssepsschcn Plane nichts
wissen mag. Zunächst fürchtet sie wol, daß die Franzosen dnrch Eröffnung
des Isthmus Gelegenheit bekommen würden, sich aus eine für England ge¬
fährliche Art in Aegypten und am rothen Meer festzusetzen. Die französischen Ein¬
dringlinge würden — schon jetzt ist der französische Konsul der einflußreichste
in Kairo — Positionen und Einflüsse zu gewinnen suchen, welche das britische
Interesse und namentlich die indische Post hindern und beeinträchtigen könn¬
ten. Bitt tiefstem Verdruß betrachten die Engländer die Eisenbahn, welche
eine vom Vicekönig privilegirte französische Gesellschaft von Kairo nach Suez
vollendet hat, während die britische Peninsular-Compagny, welche die Bahn
von Alexandrien nach Kairo baute, und auch die von dort bis zum rothen
Meer herstellen wollte, das Zusehen hat. Die „Times" hat wiederholt mit
bittern Worten dieses nebenbuhlerische Treiben der Franzosen in Aegypten
charakterisiert. „Aus Nationaleifersucht und Nationaleitelkeit," sagte sie, „gehn


Grenzboten I. 1859. 45
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[0363] glaubte, daß man Türkei? ebenso Wort halten und ebenso ihr Recht werden lassen müßte, als einer civilisirten Nation? Von Palliativinitteln ist liier ebenso wenig wie im Norden des Reichs der Sultane ein dauernder Schuh zu er¬ warten. Auch Aegypten muß mit der Zeit einmal unter die Herrschaft des Abendlandes zurückkehren, der Suezkanal aber würde, selbst wenn er sich auf die Dauer nicht erhalten ließe, die Krisis beschleunigen und sie herbeiführen, ehe die hier in Frage kommenden Interessen der Großmächte sich ausgeglichen haben. Unter den gegenwärtigen Umständen und unter allen Umständen, wo Frankreich einen starken Herrscher hat, würde das Land eine Beute der Frau zoscn werden, die in den letzten Jahrzehnten wacker vorgearbeitet haben und in der Kanalconcession, welche von ihnen hauptsächlich erworben und ihnen hauptsächlich ertheilt ist, Rechte besitzen, die geschickt interpretirt und benutzt, einer großen Ausdehnung fähig sind. Herr v. Lesseps will den Kanal nicht blos mit französischen Mitteln, son¬ dern mit europäischem Gelde und unter Mitwirkung einer europäischen Com¬ pagnie bauen. Kapitalisten aus Trieft und Wien, aus Hamburg und London sollen ihre Stimme mit abgeben dürsen. Aber die „tüomizagnic; univoi'SkIlv" hat ihren Verwaltungssitz in Paris, ihr Gerichtsforum ebenfalls in Paris, und v. Lesseps, der französische Diplomat, der Vetter der Kaiserin der Fran¬ zosen, ist auf volle zehn Jahre zum Vorsitzenden des Directoriums und des Verwaltungsrathes ernannt worden. Schon dies verleiht dem Unternehmen einen französischen Charakter, stellt es überwiegend unter französischen Ein¬ fluß , setzt es der geheimen und offenen Maßregelung der in ihren Entschlüssen unberechenbaren, in ihren Mitteln durchaus nicht wählerischen kaiserlichen Autokratie aus. Nur die vollkommenste Blindheit wird es bei solchen Umständen der eng¬ lischen Regierung verdenken, wenn sie von dein Lcssepsschcn Plane nichts wissen mag. Zunächst fürchtet sie wol, daß die Franzosen dnrch Eröffnung des Isthmus Gelegenheit bekommen würden, sich aus eine für England ge¬ fährliche Art in Aegypten und am rothen Meer festzusetzen. Die französischen Ein¬ dringlinge würden — schon jetzt ist der französische Konsul der einflußreichste in Kairo — Positionen und Einflüsse zu gewinnen suchen, welche das britische Interesse und namentlich die indische Post hindern und beeinträchtigen könn¬ ten. Bitt tiefstem Verdruß betrachten die Engländer die Eisenbahn, welche eine vom Vicekönig privilegirte französische Gesellschaft von Kairo nach Suez vollendet hat, während die britische Peninsular-Compagny, welche die Bahn von Alexandrien nach Kairo baute, und auch die von dort bis zum rothen Meer herstellen wollte, das Zusehen hat. Die „Times" hat wiederholt mit bittern Worten dieses nebenbuhlerische Treiben der Franzosen in Aegypten charakterisiert. „Aus Nationaleifersucht und Nationaleitelkeit," sagte sie, „gehn Grenzboten I. 1859. 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/363>, abgerufen am 24.07.2024.