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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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von Maria.macht. Mutter und Kind tragen kleine Kronen, die mit Dia¬
manien und Rubinen besetzt sind. Mehre goldne Weihgeschenke, meist in der
Form von Nachahmungen des Bildes, hängen davor; die eine der beiden
Thüren, welche das Heiligthum verschließen, ist mit Silberblech beschlagen,
die andere von Glas. Der ganze Schrein erinnert -- natürlich blos abend¬
ländische Ketzer wie wir -- wenn er aufgeht, und der kostbare Inhalt, von
den Lampen angestrahlt, uns im Halbdunkel der Höhlenkapelle entgcgen-
funtelt, lebhast an jene portabeln Darstellungen der Krippe von Bethlehem,
mit denen böhmische Volkskünstler die Jahrmärkte beziehen. Der Zindel war
lauteres Gold, der Schmelz echtes Product der Perlenmuschel, das Glas Edel¬
stein, auch fehlte der Leierkasten darunter. Aber die Erklärung, die der Mönch
gab, wurde ganz in dem weinerlichen Collectenton vorgetragen, indem jene
Jahrmarktskrippen erläutert zu werden pflegen. Die Reliefs auf der silbernen
Schrankthür scheinen sehr alt zu sein. Indeß kann die Form täuschen, da
dle neugriechische Kunst grundsätzlich stabil ist. Die Figuren aus der mit
Messingblech überzogenen Thür der Kapelle haben gleichfalls einen Stil, der in
die Zeit der Pnläologen zurückweist, sind aber in Wahrheit nicht viel älter
als sechzig Jahre.

Der Speisesaal der Mönche ist schmuzig und ärmlich. Im Keller, der
sich unmittelbar unter der Kapelle hinzieht, wurden uns mehre sehr lange
Fässer gezeigt, die in der Form unsern Fischrcußen gleichen und nach Heiligen
benannt sind. Diese Heiligen imponirten uns Heiden, sollte doch der höl¬
zerne Rock des einen-- irre ich nicht, so wars ein Hagios Charolambos --
uach unserm Maß an siebzigtausend Kannen Traubenblut sassen können. Ich
dachte an Orgeischall und kühlen Klostcrwem, und es regte sich in mir ein
stomm inbrünstiges Begehren, von dem Blute des heiligen Mannes zu kosten.
Allein der Mönch, der uns begleitet, schüttelte, als Spno ihm meine Sehn¬
sucht verdolmetschte, traurig den Kopf, sprach von Traubenfäule und schlechten
Weinjahren und klopfte zum Beweis, daß mein Heiliger an absolutem Blut¬
mangel litt, nu den Bauch des Fasses, welches in der That leer war. nieder¬
geschlagen entfernten wir uns. Daß die Mönche wenig Geist haben, daß
das reiche Kloster nicht einmal eine erwähnenswerthe Bibliothek besitzt, war
erklärlich und ging, bei Licht besehn, nur die Mönche und ihr Kloster an;
daß sie auch keinen Wein im Keller hatten, war viel betrübender und mußte
um so tramiger stimmen, als unsere getreue Nezinatflasche durch ein bekla-
genswerthes Mißverständniß mit den Maulthieren einen nähern Weg uach
den Fällen des Seur, gegangen war, nach denen wir nun aufbrachen.

Der Weg von Megaspiläou nach solos, in dessen Nähe die Styx ent¬
springt, beträgt etwa vier Stunden. Er windet sich zunächst vollends den
^erg hinauf, gewährt oben zwischen den prächtigen Edeltannen, mit denen


Grenzboten I. 18so. 4

von Maria.macht. Mutter und Kind tragen kleine Kronen, die mit Dia¬
manien und Rubinen besetzt sind. Mehre goldne Weihgeschenke, meist in der
Form von Nachahmungen des Bildes, hängen davor; die eine der beiden
Thüren, welche das Heiligthum verschließen, ist mit Silberblech beschlagen,
die andere von Glas. Der ganze Schrein erinnert — natürlich blos abend¬
ländische Ketzer wie wir — wenn er aufgeht, und der kostbare Inhalt, von
den Lampen angestrahlt, uns im Halbdunkel der Höhlenkapelle entgcgen-
funtelt, lebhast an jene portabeln Darstellungen der Krippe von Bethlehem,
mit denen böhmische Volkskünstler die Jahrmärkte beziehen. Der Zindel war
lauteres Gold, der Schmelz echtes Product der Perlenmuschel, das Glas Edel¬
stein, auch fehlte der Leierkasten darunter. Aber die Erklärung, die der Mönch
gab, wurde ganz in dem weinerlichen Collectenton vorgetragen, indem jene
Jahrmarktskrippen erläutert zu werden pflegen. Die Reliefs auf der silbernen
Schrankthür scheinen sehr alt zu sein. Indeß kann die Form täuschen, da
dle neugriechische Kunst grundsätzlich stabil ist. Die Figuren aus der mit
Messingblech überzogenen Thür der Kapelle haben gleichfalls einen Stil, der in
die Zeit der Pnläologen zurückweist, sind aber in Wahrheit nicht viel älter
als sechzig Jahre.

Der Speisesaal der Mönche ist schmuzig und ärmlich. Im Keller, der
sich unmittelbar unter der Kapelle hinzieht, wurden uns mehre sehr lange
Fässer gezeigt, die in der Form unsern Fischrcußen gleichen und nach Heiligen
benannt sind. Diese Heiligen imponirten uns Heiden, sollte doch der höl¬
zerne Rock des einen— irre ich nicht, so wars ein Hagios Charolambos —
uach unserm Maß an siebzigtausend Kannen Traubenblut sassen können. Ich
dachte an Orgeischall und kühlen Klostcrwem, und es regte sich in mir ein
stomm inbrünstiges Begehren, von dem Blute des heiligen Mannes zu kosten.
Allein der Mönch, der uns begleitet, schüttelte, als Spno ihm meine Sehn¬
sucht verdolmetschte, traurig den Kopf, sprach von Traubenfäule und schlechten
Weinjahren und klopfte zum Beweis, daß mein Heiliger an absolutem Blut¬
mangel litt, nu den Bauch des Fasses, welches in der That leer war. nieder¬
geschlagen entfernten wir uns. Daß die Mönche wenig Geist haben, daß
das reiche Kloster nicht einmal eine erwähnenswerthe Bibliothek besitzt, war
erklärlich und ging, bei Licht besehn, nur die Mönche und ihr Kloster an;
daß sie auch keinen Wein im Keller hatten, war viel betrübender und mußte
um so tramiger stimmen, als unsere getreue Nezinatflasche durch ein bekla-
genswerthes Mißverständniß mit den Maulthieren einen nähern Weg uach
den Fällen des Seur, gegangen war, nach denen wir nun aufbrachen.

Der Weg von Megaspiläou nach solos, in dessen Nähe die Styx ent¬
springt, beträgt etwa vier Stunden. Er windet sich zunächst vollends den
^erg hinauf, gewährt oben zwischen den prächtigen Edeltannen, mit denen


Grenzboten I. 18so. 4
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[0035] von Maria.macht. Mutter und Kind tragen kleine Kronen, die mit Dia¬ manien und Rubinen besetzt sind. Mehre goldne Weihgeschenke, meist in der Form von Nachahmungen des Bildes, hängen davor; die eine der beiden Thüren, welche das Heiligthum verschließen, ist mit Silberblech beschlagen, die andere von Glas. Der ganze Schrein erinnert — natürlich blos abend¬ ländische Ketzer wie wir — wenn er aufgeht, und der kostbare Inhalt, von den Lampen angestrahlt, uns im Halbdunkel der Höhlenkapelle entgcgen- funtelt, lebhast an jene portabeln Darstellungen der Krippe von Bethlehem, mit denen böhmische Volkskünstler die Jahrmärkte beziehen. Der Zindel war lauteres Gold, der Schmelz echtes Product der Perlenmuschel, das Glas Edel¬ stein, auch fehlte der Leierkasten darunter. Aber die Erklärung, die der Mönch gab, wurde ganz in dem weinerlichen Collectenton vorgetragen, indem jene Jahrmarktskrippen erläutert zu werden pflegen. Die Reliefs auf der silbernen Schrankthür scheinen sehr alt zu sein. Indeß kann die Form täuschen, da dle neugriechische Kunst grundsätzlich stabil ist. Die Figuren aus der mit Messingblech überzogenen Thür der Kapelle haben gleichfalls einen Stil, der in die Zeit der Pnläologen zurückweist, sind aber in Wahrheit nicht viel älter als sechzig Jahre. Der Speisesaal der Mönche ist schmuzig und ärmlich. Im Keller, der sich unmittelbar unter der Kapelle hinzieht, wurden uns mehre sehr lange Fässer gezeigt, die in der Form unsern Fischrcußen gleichen und nach Heiligen benannt sind. Diese Heiligen imponirten uns Heiden, sollte doch der höl¬ zerne Rock des einen— irre ich nicht, so wars ein Hagios Charolambos — uach unserm Maß an siebzigtausend Kannen Traubenblut sassen können. Ich dachte an Orgeischall und kühlen Klostcrwem, und es regte sich in mir ein stomm inbrünstiges Begehren, von dem Blute des heiligen Mannes zu kosten. Allein der Mönch, der uns begleitet, schüttelte, als Spno ihm meine Sehn¬ sucht verdolmetschte, traurig den Kopf, sprach von Traubenfäule und schlechten Weinjahren und klopfte zum Beweis, daß mein Heiliger an absolutem Blut¬ mangel litt, nu den Bauch des Fasses, welches in der That leer war. nieder¬ geschlagen entfernten wir uns. Daß die Mönche wenig Geist haben, daß das reiche Kloster nicht einmal eine erwähnenswerthe Bibliothek besitzt, war erklärlich und ging, bei Licht besehn, nur die Mönche und ihr Kloster an; daß sie auch keinen Wein im Keller hatten, war viel betrübender und mußte um so tramiger stimmen, als unsere getreue Nezinatflasche durch ein bekla- genswerthes Mißverständniß mit den Maulthieren einen nähern Weg uach den Fällen des Seur, gegangen war, nach denen wir nun aufbrachen. Der Weg von Megaspiläou nach solos, in dessen Nähe die Styx ent¬ springt, beträgt etwa vier Stunden. Er windet sich zunächst vollends den ^erg hinauf, gewährt oben zwischen den prächtigen Edeltannen, mit denen Grenzboten I. 18so. 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/35>, abgerufen am 24.07.2024.