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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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so amtsscheu machte. Zudem war es nach dem Gang seiner Studien, die
kein festes praktisches Ziel im Auge gehabt hatten, nicht leicht, ein Amt zu
finden."

Endlich fand sich doch eine Stelle: den 17. März 1764 ging er nach
Kopenhagen ab, als Secretär eines Grafen Holstein, um auf diesem Wege
allmälig in den dänischen Staatsdienst überzutreten. Aber bald fühlte er
sich durch hochfahrendes Wesen im Hause verletzt, gab ohne andere Aussicht
den Posten auf. und schon im August 17os finden wir ihn wieder in Rein-
feld. wo er drei Jahre bleibt. Diese Jahre waren sür seine innere Entwick'
lung sehr wichtig. Vom März 1764 bis 1766 lebte als Hauslehrer auf cinco
Gut in der Nähe von Neiufeld, Schönborn, ein junger Mann (geb. im
Stolbergschen 1737), in dessen starker Seele sich der Sturm und Drang jeu^
Periode in ungewöhnlicher Wärme regte, ohne daß er eigentlich poetisch pr^
ductiv gewesen wäre. Durch ihn wurde Claudius in die Mysterien der Mi^
Poesie eingeweiht, mit Homer. Klopstock und Shakespeare bekannt gemacht-
In Kopenhagen, wo er mit dem neuen Freunde in beständigem Briefwechsel
blieb., lernte er Gerstenberg und durch ihn Klopstock persönlich kennen. Ge"
stenberg hatte die Periode seiner "Tändeleien" überwunden, sein "Gedicht
eines Scalden" 1766 führte die nordische Götterlehre in die deutsche Poesie
ein, in seinen "Briefen über Merkwürdigkeiten der Literatur" machte er M
Shakespeare, Cervantes und die englischen Volkslieder, für Klopstock und H"'
manu Propaganda, und erklärte der französischen Regelmäßigkeit den Krieg-
Claudius nahm eifrig an dem Eislauf Theil, der von der Schule Klopsto^
wie ein Cultus getrieben wurde; er machte Studien im Englischen. In Ko'
penhagen war damals ein deutscher Kreis versammelt, der die gesellschaftliches
Schranken durchbrach und die verschiedenen Stände und Berufsarten anco'
ander mischte; in diesen Kreis trat Claudius als Ebenbürtiger ein. In Rei^
seid scheint er sich wieder eifriger mit der Bibel beschäftigt zu haben, die ilM
auf der Universität ziemlich fremd geworden war; außerdem lerute er eine
Menge neuer Sprachen.

In einen neuen Kreis wurde er eingeführt, als er im Herbst 1768 als
Redacteur der "Adreßcomptoirnachrichten" nach Hamburg ging. Hamburg nahF
damals in der Literatur eine sehr ansehnliche Stelle ein; namentlich seitdem
Lessing sich mit dem kühn aufstrebenden Nationaltheater verbündete. ^
allen Gebildeten der Stadt schloß sich auch Claudius um Lessing an. D"^
gehörte der aufgeklärte Pastor Alberti. der jüngere Reimarus und se>^
Schwester Elisa. Professor Busch. der Buchhändler Bode. dessen ahmten^
liebes Freimaurerleben zu den interessantesten Episoden jener Zeit geh^'
Diesen "Gebildeten" gegenüber beherrschte der orthodoxe Zelot Götze d'^
Volksmassen; doch waren damals die Zerwürfnisse noch nicht so stark, un


so amtsscheu machte. Zudem war es nach dem Gang seiner Studien, die
kein festes praktisches Ziel im Auge gehabt hatten, nicht leicht, ein Amt zu
finden."

Endlich fand sich doch eine Stelle: den 17. März 1764 ging er nach
Kopenhagen ab, als Secretär eines Grafen Holstein, um auf diesem Wege
allmälig in den dänischen Staatsdienst überzutreten. Aber bald fühlte er
sich durch hochfahrendes Wesen im Hause verletzt, gab ohne andere Aussicht
den Posten auf. und schon im August 17os finden wir ihn wieder in Rein-
feld. wo er drei Jahre bleibt. Diese Jahre waren sür seine innere Entwick'
lung sehr wichtig. Vom März 1764 bis 1766 lebte als Hauslehrer auf cinco
Gut in der Nähe von Neiufeld, Schönborn, ein junger Mann (geb. im
Stolbergschen 1737), in dessen starker Seele sich der Sturm und Drang jeu^
Periode in ungewöhnlicher Wärme regte, ohne daß er eigentlich poetisch pr^
ductiv gewesen wäre. Durch ihn wurde Claudius in die Mysterien der Mi^
Poesie eingeweiht, mit Homer. Klopstock und Shakespeare bekannt gemacht-
In Kopenhagen, wo er mit dem neuen Freunde in beständigem Briefwechsel
blieb., lernte er Gerstenberg und durch ihn Klopstock persönlich kennen. Ge»
stenberg hatte die Periode seiner „Tändeleien" überwunden, sein „Gedicht
eines Scalden" 1766 führte die nordische Götterlehre in die deutsche Poesie
ein, in seinen „Briefen über Merkwürdigkeiten der Literatur" machte er M
Shakespeare, Cervantes und die englischen Volkslieder, für Klopstock und H"'
manu Propaganda, und erklärte der französischen Regelmäßigkeit den Krieg-
Claudius nahm eifrig an dem Eislauf Theil, der von der Schule Klopsto^
wie ein Cultus getrieben wurde; er machte Studien im Englischen. In Ko'
penhagen war damals ein deutscher Kreis versammelt, der die gesellschaftliches
Schranken durchbrach und die verschiedenen Stände und Berufsarten anco'
ander mischte; in diesen Kreis trat Claudius als Ebenbürtiger ein. In Rei^
seid scheint er sich wieder eifriger mit der Bibel beschäftigt zu haben, die ilM
auf der Universität ziemlich fremd geworden war; außerdem lerute er eine
Menge neuer Sprachen.

In einen neuen Kreis wurde er eingeführt, als er im Herbst 1768 als
Redacteur der „Adreßcomptoirnachrichten" nach Hamburg ging. Hamburg nahF
damals in der Literatur eine sehr ansehnliche Stelle ein; namentlich seitdem
Lessing sich mit dem kühn aufstrebenden Nationaltheater verbündete. ^
allen Gebildeten der Stadt schloß sich auch Claudius um Lessing an. D"^
gehörte der aufgeklärte Pastor Alberti. der jüngere Reimarus und se>^
Schwester Elisa. Professor Busch. der Buchhändler Bode. dessen ahmten^
liebes Freimaurerleben zu den interessantesten Episoden jener Zeit geh^'
Diesen „Gebildeten" gegenüber beherrschte der orthodoxe Zelot Götze d'^
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/344>, abgerufen am 24.07.2024.