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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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dem Waffendienst und den Kriegsopfern, gelichtet in ihren Reihen mehr durch
Strapazen und Seuchen, als durch Kämpfe, sehnsüchtig nach der Wiederord¬
nung ihrer verlassenen Häuslichkeit blickten, -- wahrend also diese Massen
dem Frieden zujubelten, war auch die kriegerische Nationalaristokratie keines¬
wegs mehr so einmüthig als früher in ihrem Kricgsdurst geblieben. Die
vielen Begünstigungen, welche die nichtadligen Classen erfahren hatten, so
wie sie sich um die Reichsfahnen reiheten. die moralischen Niederlagen, weiche
der allrussische Adel in vielen seiner Mitglieder bei der Verwaltung, die ma¬
teriellen, welche die Generale seines Stammes erlitten, waren nur geeignet
gewesen, die Hoffnung aufs tiefste niederzudrücken, daß der nationalaristokra¬
tische Einfluß den dereinstigen Frieden, beziehentlich den Kaiser beherrschen
werde. Im Gegentheil, je länger der Krieg dauerte, desto entschiedener hatte
sich die höchste Staatsgewalt von denjenigen Einflüssen emancipiren können
Und wirklich emancipirt, welche den Kaiser Nikolaus geleitet und bei dem
wilderen Kaiser Alexander II. noch leichteres Spiel zu haben geglaubt hatten.
Man hatte sich also darin getäuscht, dessen Formenmilde für Mangel an Ent¬
schluß und Kraft zu nehmen.

Die noch übrig gebliebene Kriegspartei war jetzt eigentlich blos eine
Partei der Furcht vor der Entscheidung. Sie wollte den Krieg forterhalten,
u>n für die drohenden Reformen kein Anfangsmomcnt entstehen zu lassen.
Gleichzeitig mit dem Friedensmanisest, wenige Tage nach dem 30. Mürz, trat
i^doch der Kaiser persönlich in ihren Conccntrationspunkt, in die Mitte des
Woskauer Adels. Bekannt mit dessen inneren Spaltungen, gestützt auf die
Sympathien der nicht bevorrechteten Massen, erschien er mit einem formulirten
^egierungsprogramm. Mit dürren Worten bezeichnete er seine Ziele gradezu
"is Gegensatz derjenigen des Kaisers Nikolaus. "Mein Vater hatte seine
Gründe so zu handeln, wie er handelte; doch durch den pariser Frieden wird
das Ziel erreicht, welches er anstrebte; ich ziehe dieses Mittel dem Kriege
^ . . . Ich stelle das reelle Wohlergehen - des Friedens über den eitlen
^tanz der Gefechte . . . Der .Krieg ist ein Ausnahmezustand und seine gro߬
en Erfolge wiegen kaum die Uebel auf, welche er mit sich führt u. s. w."
Den Schluß der Anrede bildete die befehlende Hoffnung des Kaisers, daß an
^n Friedensentwicklungen "sich jeder Adelige beteilige."

Damit war das Kaiserreich des Friedens, damit die Entwicklung der
^vductiven Kräfte, deren Schwerpunkt immer außerhalb der aristokratischen
Zemente gelegen ist, als Zukunft verkündet; damit bis zu einem gewissen
tunkte selbst ausgesprochen, daß die Sonderrechte und Ausnahmestellungen
Adels fürderhin dem allgemeinen Interesse sich unterordnen müssen.

Noch aber war der Moment nicht gekommen, auch die praktischen Cor-
^uenzen dieses Programmes zu ziehen. Das Volk stand noch in Waffen und


dem Waffendienst und den Kriegsopfern, gelichtet in ihren Reihen mehr durch
Strapazen und Seuchen, als durch Kämpfe, sehnsüchtig nach der Wiederord¬
nung ihrer verlassenen Häuslichkeit blickten, — wahrend also diese Massen
dem Frieden zujubelten, war auch die kriegerische Nationalaristokratie keines¬
wegs mehr so einmüthig als früher in ihrem Kricgsdurst geblieben. Die
vielen Begünstigungen, welche die nichtadligen Classen erfahren hatten, so
wie sie sich um die Reichsfahnen reiheten. die moralischen Niederlagen, weiche
der allrussische Adel in vielen seiner Mitglieder bei der Verwaltung, die ma¬
teriellen, welche die Generale seines Stammes erlitten, waren nur geeignet
gewesen, die Hoffnung aufs tiefste niederzudrücken, daß der nationalaristokra¬
tische Einfluß den dereinstigen Frieden, beziehentlich den Kaiser beherrschen
werde. Im Gegentheil, je länger der Krieg dauerte, desto entschiedener hatte
sich die höchste Staatsgewalt von denjenigen Einflüssen emancipiren können
Und wirklich emancipirt, welche den Kaiser Nikolaus geleitet und bei dem
wilderen Kaiser Alexander II. noch leichteres Spiel zu haben geglaubt hatten.
Man hatte sich also darin getäuscht, dessen Formenmilde für Mangel an Ent¬
schluß und Kraft zu nehmen.

Die noch übrig gebliebene Kriegspartei war jetzt eigentlich blos eine
Partei der Furcht vor der Entscheidung. Sie wollte den Krieg forterhalten,
u>n für die drohenden Reformen kein Anfangsmomcnt entstehen zu lassen.
Gleichzeitig mit dem Friedensmanisest, wenige Tage nach dem 30. Mürz, trat
i^doch der Kaiser persönlich in ihren Conccntrationspunkt, in die Mitte des
Woskauer Adels. Bekannt mit dessen inneren Spaltungen, gestützt auf die
Sympathien der nicht bevorrechteten Massen, erschien er mit einem formulirten
^egierungsprogramm. Mit dürren Worten bezeichnete er seine Ziele gradezu
"is Gegensatz derjenigen des Kaisers Nikolaus. „Mein Vater hatte seine
Gründe so zu handeln, wie er handelte; doch durch den pariser Frieden wird
das Ziel erreicht, welches er anstrebte; ich ziehe dieses Mittel dem Kriege
^ . . . Ich stelle das reelle Wohlergehen - des Friedens über den eitlen
^tanz der Gefechte . . . Der .Krieg ist ein Ausnahmezustand und seine gro߬
en Erfolge wiegen kaum die Uebel auf, welche er mit sich führt u. s. w."
Den Schluß der Anrede bildete die befehlende Hoffnung des Kaisers, daß an
^n Friedensentwicklungen „sich jeder Adelige beteilige."

Damit war das Kaiserreich des Friedens, damit die Entwicklung der
^vductiven Kräfte, deren Schwerpunkt immer außerhalb der aristokratischen
Zemente gelegen ist, als Zukunft verkündet; damit bis zu einem gewissen
tunkte selbst ausgesprochen, daß die Sonderrechte und Ausnahmestellungen
Adels fürderhin dem allgemeinen Interesse sich unterordnen müssen.

Noch aber war der Moment nicht gekommen, auch die praktischen Cor-
^uenzen dieses Programmes zu ziehen. Das Volk stand noch in Waffen und


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[0337] dem Waffendienst und den Kriegsopfern, gelichtet in ihren Reihen mehr durch Strapazen und Seuchen, als durch Kämpfe, sehnsüchtig nach der Wiederord¬ nung ihrer verlassenen Häuslichkeit blickten, — wahrend also diese Massen dem Frieden zujubelten, war auch die kriegerische Nationalaristokratie keines¬ wegs mehr so einmüthig als früher in ihrem Kricgsdurst geblieben. Die vielen Begünstigungen, welche die nichtadligen Classen erfahren hatten, so wie sie sich um die Reichsfahnen reiheten. die moralischen Niederlagen, weiche der allrussische Adel in vielen seiner Mitglieder bei der Verwaltung, die ma¬ teriellen, welche die Generale seines Stammes erlitten, waren nur geeignet gewesen, die Hoffnung aufs tiefste niederzudrücken, daß der nationalaristokra¬ tische Einfluß den dereinstigen Frieden, beziehentlich den Kaiser beherrschen werde. Im Gegentheil, je länger der Krieg dauerte, desto entschiedener hatte sich die höchste Staatsgewalt von denjenigen Einflüssen emancipiren können Und wirklich emancipirt, welche den Kaiser Nikolaus geleitet und bei dem wilderen Kaiser Alexander II. noch leichteres Spiel zu haben geglaubt hatten. Man hatte sich also darin getäuscht, dessen Formenmilde für Mangel an Ent¬ schluß und Kraft zu nehmen. Die noch übrig gebliebene Kriegspartei war jetzt eigentlich blos eine Partei der Furcht vor der Entscheidung. Sie wollte den Krieg forterhalten, u>n für die drohenden Reformen kein Anfangsmomcnt entstehen zu lassen. Gleichzeitig mit dem Friedensmanisest, wenige Tage nach dem 30. Mürz, trat i^doch der Kaiser persönlich in ihren Conccntrationspunkt, in die Mitte des Woskauer Adels. Bekannt mit dessen inneren Spaltungen, gestützt auf die Sympathien der nicht bevorrechteten Massen, erschien er mit einem formulirten ^egierungsprogramm. Mit dürren Worten bezeichnete er seine Ziele gradezu "is Gegensatz derjenigen des Kaisers Nikolaus. „Mein Vater hatte seine Gründe so zu handeln, wie er handelte; doch durch den pariser Frieden wird das Ziel erreicht, welches er anstrebte; ich ziehe dieses Mittel dem Kriege ^ . . . Ich stelle das reelle Wohlergehen - des Friedens über den eitlen ^tanz der Gefechte . . . Der .Krieg ist ein Ausnahmezustand und seine gro߬ en Erfolge wiegen kaum die Uebel auf, welche er mit sich führt u. s. w." Den Schluß der Anrede bildete die befehlende Hoffnung des Kaisers, daß an ^n Friedensentwicklungen „sich jeder Adelige beteilige." Damit war das Kaiserreich des Friedens, damit die Entwicklung der ^vductiven Kräfte, deren Schwerpunkt immer außerhalb der aristokratischen Zemente gelegen ist, als Zukunft verkündet; damit bis zu einem gewissen tunkte selbst ausgesprochen, daß die Sonderrechte und Ausnahmestellungen Adels fürderhin dem allgemeinen Interesse sich unterordnen müssen. Noch aber war der Moment nicht gekommen, auch die praktischen Cor- ^uenzen dieses Programmes zu ziehen. Das Volk stand noch in Waffen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/337>, abgerufen am 24.07.2024.