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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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weiter in das Thal eines Nebenflusses der Erymanthus hinab, und auch hier
war keine Seele zu erblicken. Es war auffallend schwül, und um die Gipfel
des Gebirges vor uns wälzten sich dunkelgraue Wolken. Es schien ein
schweres Wetter im Anzüge, indeß vertrauten wir unserm guten Glück, das
uns bisher die Wolken fern gehalten, und da der Magen gerechtfertigte An¬
sprüche auf ein Frühstück erhob und die Packthiere mit den Vorräthen zur
Hand waren, so wurde unter einer Steineiche am Flusse Halt gemacht und
das Mahl bereitet. Die Pferde wurden abgesattelt, und nach einer nahen
Wiese auf die Weide geschickt, die Maulthiere abgeladen und das Gepäck
unter den Baum geschichtet und mit wasserdichten Decken gegen etwaige Güsse
geschützt. Der Bach gab Wasser, die große Holzflasche unseres Führers den
gewohnten Harzwein, ein Nasenfleck, mit einer Serviette gedeckt, einen leid¬
lich bequemen Tisch, die Wurzeln der Eiche brauchbare Stühle. Wir waren
im besten Schmausen, als plötzlich ein gewaltiger Donnerschlag mit seinem
Widerhall die Berge erschütterte. Wir blickten auf. und sahen, wie der ganze
Höhenzug vor uns bis in die Hälfte seines Abhangs in schwarze Regenwolken
gehüllt war. Bald nachher quollen die wohlbekannten bleifarbenen Gewitter¬
dünste nach, der blaue Himmel zog sich über uns zu einem kleinen Fleck zu¬
sammen und verschwand endlich ganz. Die ersten Bliye zuckten, die ersten
schweren Tropfen schlugen durch das Wipfeldach aus die Decken, unter die
wir uns geflüchtet, und eine halbe Minute später war das Gewitter im
vollen Wüthen. Wie eine Sündflut strömte der wolkenbruchartige Regen
herab. Blitz auf Blitz fuhr, nach dem sofort aufkrachenden Donner zu ur¬
theilen, in unmittelbarer Nähe von uns in den Erdboden. Ein Donnerecho
drängte das andere. Wiederholt waren wir aus Augenblicke in rothen Glut-
schcin gehüllt, als ob der Strahl unsern Baum getroffen. Der Rasen
dampfte. Der Fluß stürzte, vom Regen gepeitscht, mit schmuzigen Schaum
bedeckt, gelbe Wellen schlagend, wie in rasender Angst an uns vorüber. Die
'Berge hielten das Wetter eingeklemmt, und fast zwei Stunden sahen wir,
bald näher, bald ferner die Blätter und Gräser die feurige Lohe wiederspie¬
geln. Anfangs waren uns Gedanken an die Regel aufgestoßen, welche bei
Gewittern sich von Bäumen zu entfernen gebietet, aber Ermüdung und Be¬
quemlichkeit ließen uns die Mahnung mißachten, und über den Rest von Skrupel
half mir der Fatalismus hinweg, der auf Reisen in gefährlichen Gegenden
zur andern Natur wird, vielleicht auch in der Luft des Orients liegt. Indeß
darf ich nicht verschweigen, daß ich mich an einem von unserem Führer ange¬
regten Gespräch über Unsterblichkeit mit größerer Lebhaftigkeit betheiligte, als
dies vermuthlich der Fall gewesen sein würde, wenn der Gegenstand bei hei¬
term Himmel zur Sprache gebracht worden wäre.

Der Regen ließ endlich nach, es hörte auf zu blitzen und durch die sich


weiter in das Thal eines Nebenflusses der Erymanthus hinab, und auch hier
war keine Seele zu erblicken. Es war auffallend schwül, und um die Gipfel
des Gebirges vor uns wälzten sich dunkelgraue Wolken. Es schien ein
schweres Wetter im Anzüge, indeß vertrauten wir unserm guten Glück, das
uns bisher die Wolken fern gehalten, und da der Magen gerechtfertigte An¬
sprüche auf ein Frühstück erhob und die Packthiere mit den Vorräthen zur
Hand waren, so wurde unter einer Steineiche am Flusse Halt gemacht und
das Mahl bereitet. Die Pferde wurden abgesattelt, und nach einer nahen
Wiese auf die Weide geschickt, die Maulthiere abgeladen und das Gepäck
unter den Baum geschichtet und mit wasserdichten Decken gegen etwaige Güsse
geschützt. Der Bach gab Wasser, die große Holzflasche unseres Führers den
gewohnten Harzwein, ein Nasenfleck, mit einer Serviette gedeckt, einen leid¬
lich bequemen Tisch, die Wurzeln der Eiche brauchbare Stühle. Wir waren
im besten Schmausen, als plötzlich ein gewaltiger Donnerschlag mit seinem
Widerhall die Berge erschütterte. Wir blickten auf. und sahen, wie der ganze
Höhenzug vor uns bis in die Hälfte seines Abhangs in schwarze Regenwolken
gehüllt war. Bald nachher quollen die wohlbekannten bleifarbenen Gewitter¬
dünste nach, der blaue Himmel zog sich über uns zu einem kleinen Fleck zu¬
sammen und verschwand endlich ganz. Die ersten Bliye zuckten, die ersten
schweren Tropfen schlugen durch das Wipfeldach aus die Decken, unter die
wir uns geflüchtet, und eine halbe Minute später war das Gewitter im
vollen Wüthen. Wie eine Sündflut strömte der wolkenbruchartige Regen
herab. Blitz auf Blitz fuhr, nach dem sofort aufkrachenden Donner zu ur¬
theilen, in unmittelbarer Nähe von uns in den Erdboden. Ein Donnerecho
drängte das andere. Wiederholt waren wir aus Augenblicke in rothen Glut-
schcin gehüllt, als ob der Strahl unsern Baum getroffen. Der Rasen
dampfte. Der Fluß stürzte, vom Regen gepeitscht, mit schmuzigen Schaum
bedeckt, gelbe Wellen schlagend, wie in rasender Angst an uns vorüber. Die
'Berge hielten das Wetter eingeklemmt, und fast zwei Stunden sahen wir,
bald näher, bald ferner die Blätter und Gräser die feurige Lohe wiederspie¬
geln. Anfangs waren uns Gedanken an die Regel aufgestoßen, welche bei
Gewittern sich von Bäumen zu entfernen gebietet, aber Ermüdung und Be¬
quemlichkeit ließen uns die Mahnung mißachten, und über den Rest von Skrupel
half mir der Fatalismus hinweg, der auf Reisen in gefährlichen Gegenden
zur andern Natur wird, vielleicht auch in der Luft des Orients liegt. Indeß
darf ich nicht verschweigen, daß ich mich an einem von unserem Führer ange¬
regten Gespräch über Unsterblichkeit mit größerer Lebhaftigkeit betheiligte, als
dies vermuthlich der Fall gewesen sein würde, wenn der Gegenstand bei hei¬
term Himmel zur Sprache gebracht worden wäre.

Der Regen ließ endlich nach, es hörte auf zu blitzen und durch die sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/32>, abgerufen am 24.07.2024.