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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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den vierten Theil bevorstehe, und dadurch verführt mögen acht wenige Gläu¬
bige viermal so viel Actien genommen haben, als sie ursprünglich beabsich¬
tigten. Jetzt aber ergibt sich, daß trotz dieser unvorsichtigen Hast kaum das
erforderliche Capital, und auch dieses natürlich größtentheils nur auf dem Pa¬
pier zusammengekommen ist. England und der Norden von Deutschland haben
sich, wie es scheint, so gut wie gar nicht betheiligt, Oestreich, von wo man
eine Zeit lang beträchtliche Beiträge erwarten durfte, mit einem verhältni߬
mäßig sehr bescheidnen Capital, und so fällt die Hauptsumme der Zeichnungen
aus Frankreich, an dessen Börsen infolge jener Ueberladung der Einzelnen mit
Actien letztere bereits mit 26 Procent Verlust ausgeboten werden.

Daß die Trübung des politischen Himmels dazu beigetragen hat, die
Hoffnungen auf den Erfolg des Unternehmens herabzustimmen, kann zugestan¬
den werden. Der eigentliche letzte Grund des Mißlingens aber liegt tiefer.
Er liegt darin, daß alle Voraussetzungen, auf die der Lesscpssche Plan gebaut
war, sich bei näherer Betrachtung als mehr oder minder unhaltbar bewiesen.
Man hatte die Vortheile, die das Unternehmen bringen sollte, zu hoch, die
Hindernisse, die sich der Ausführung und noch mehr der Erhaltung des Kanals
entgegenstellen, zu gering angeschlagen, und man hatte endlich die politischen
Bedenken, die sich für einen der hauptsächlich betheiligten Staaten bei dem
Project erheben mußten, nicht in ihrer ganzen Stärke gewürdigt, oder sich
gestellt, als ob man sie nicht anerkenne, als ob sie wenigstens leicht zu be¬
seitigen wären. Jetzt erfuhr man, daß die außerfranzösische Handelswelt, be¬
sonnener als man sie geglaubt, jene Vortheile und jene Hindernisse sehr wohl
abzumessen und jene Bedenken sich vollkommen deutlich zu machen verstan¬
den habe.

Die Hauptpunkte, die in Frage kommen, sind: i) die wahre Bedeutung
der Verkehrsströmung zwischen Europa und Ostasien; 2) die Möglichkeit der
technischen Ausführung des Kanals und das Verhältniß zwischen den Kohle"
und seiner Erhaltung und dem Ertrag seiner Benutzung; damit in Verbindung
3) das Maß, in welchem die Durchstechung der Landenge von Suez die Fah^
von unsern Häfen nach den indischen, chinesischen und australischen abkürzen
würde; endlich 4) die Beziehung des Unternehmens zur englischen Politik
und der Politik der Mittelmeerstaaten, namentlich Frankreichs.

Die Vertheidiger des Projects wiesen zunächst auf die große gewerbliche
Productionskraft Europas hin, die eine entsprechende Consumtionskraft n"
außereuropäischen Nohproducten erzeuge, und nahmen dann an, daß Indien
der beste Markt sei, aus dem diese Kräfte sich ausglichen. Der Verkehr zu"'
sehen den Ländern des Indus und Ganges und den Hafen- und Fabrikplätzen
Europas umfasse die ungeheure Summe von ziemlich zwei Millionen Tonnen
Last -- eine Güterströmung von Osten nach Westen, die auf Erden ihres Gleiche"


den vierten Theil bevorstehe, und dadurch verführt mögen acht wenige Gläu¬
bige viermal so viel Actien genommen haben, als sie ursprünglich beabsich¬
tigten. Jetzt aber ergibt sich, daß trotz dieser unvorsichtigen Hast kaum das
erforderliche Capital, und auch dieses natürlich größtentheils nur auf dem Pa¬
pier zusammengekommen ist. England und der Norden von Deutschland haben
sich, wie es scheint, so gut wie gar nicht betheiligt, Oestreich, von wo man
eine Zeit lang beträchtliche Beiträge erwarten durfte, mit einem verhältni߬
mäßig sehr bescheidnen Capital, und so fällt die Hauptsumme der Zeichnungen
aus Frankreich, an dessen Börsen infolge jener Ueberladung der Einzelnen mit
Actien letztere bereits mit 26 Procent Verlust ausgeboten werden.

Daß die Trübung des politischen Himmels dazu beigetragen hat, die
Hoffnungen auf den Erfolg des Unternehmens herabzustimmen, kann zugestan¬
den werden. Der eigentliche letzte Grund des Mißlingens aber liegt tiefer.
Er liegt darin, daß alle Voraussetzungen, auf die der Lesscpssche Plan gebaut
war, sich bei näherer Betrachtung als mehr oder minder unhaltbar bewiesen.
Man hatte die Vortheile, die das Unternehmen bringen sollte, zu hoch, die
Hindernisse, die sich der Ausführung und noch mehr der Erhaltung des Kanals
entgegenstellen, zu gering angeschlagen, und man hatte endlich die politischen
Bedenken, die sich für einen der hauptsächlich betheiligten Staaten bei dem
Project erheben mußten, nicht in ihrer ganzen Stärke gewürdigt, oder sich
gestellt, als ob man sie nicht anerkenne, als ob sie wenigstens leicht zu be¬
seitigen wären. Jetzt erfuhr man, daß die außerfranzösische Handelswelt, be¬
sonnener als man sie geglaubt, jene Vortheile und jene Hindernisse sehr wohl
abzumessen und jene Bedenken sich vollkommen deutlich zu machen verstan¬
den habe.

Die Hauptpunkte, die in Frage kommen, sind: i) die wahre Bedeutung
der Verkehrsströmung zwischen Europa und Ostasien; 2) die Möglichkeit der
technischen Ausführung des Kanals und das Verhältniß zwischen den Kohle"
und seiner Erhaltung und dem Ertrag seiner Benutzung; damit in Verbindung
3) das Maß, in welchem die Durchstechung der Landenge von Suez die Fah^
von unsern Häfen nach den indischen, chinesischen und australischen abkürzen
würde; endlich 4) die Beziehung des Unternehmens zur englischen Politik
und der Politik der Mittelmeerstaaten, namentlich Frankreichs.

Die Vertheidiger des Projects wiesen zunächst auf die große gewerbliche
Productionskraft Europas hin, die eine entsprechende Consumtionskraft n»
außereuropäischen Nohproducten erzeuge, und nahmen dann an, daß Indien
der beste Markt sei, aus dem diese Kräfte sich ausglichen. Der Verkehr zu"'
sehen den Ländern des Indus und Ganges und den Hafen- und Fabrikplätzen
Europas umfasse die ungeheure Summe von ziemlich zwei Millionen Tonnen
Last — eine Güterströmung von Osten nach Westen, die auf Erden ihres Gleiche"


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[0292] den vierten Theil bevorstehe, und dadurch verführt mögen acht wenige Gläu¬ bige viermal so viel Actien genommen haben, als sie ursprünglich beabsich¬ tigten. Jetzt aber ergibt sich, daß trotz dieser unvorsichtigen Hast kaum das erforderliche Capital, und auch dieses natürlich größtentheils nur auf dem Pa¬ pier zusammengekommen ist. England und der Norden von Deutschland haben sich, wie es scheint, so gut wie gar nicht betheiligt, Oestreich, von wo man eine Zeit lang beträchtliche Beiträge erwarten durfte, mit einem verhältni߬ mäßig sehr bescheidnen Capital, und so fällt die Hauptsumme der Zeichnungen aus Frankreich, an dessen Börsen infolge jener Ueberladung der Einzelnen mit Actien letztere bereits mit 26 Procent Verlust ausgeboten werden. Daß die Trübung des politischen Himmels dazu beigetragen hat, die Hoffnungen auf den Erfolg des Unternehmens herabzustimmen, kann zugestan¬ den werden. Der eigentliche letzte Grund des Mißlingens aber liegt tiefer. Er liegt darin, daß alle Voraussetzungen, auf die der Lesscpssche Plan gebaut war, sich bei näherer Betrachtung als mehr oder minder unhaltbar bewiesen. Man hatte die Vortheile, die das Unternehmen bringen sollte, zu hoch, die Hindernisse, die sich der Ausführung und noch mehr der Erhaltung des Kanals entgegenstellen, zu gering angeschlagen, und man hatte endlich die politischen Bedenken, die sich für einen der hauptsächlich betheiligten Staaten bei dem Project erheben mußten, nicht in ihrer ganzen Stärke gewürdigt, oder sich gestellt, als ob man sie nicht anerkenne, als ob sie wenigstens leicht zu be¬ seitigen wären. Jetzt erfuhr man, daß die außerfranzösische Handelswelt, be¬ sonnener als man sie geglaubt, jene Vortheile und jene Hindernisse sehr wohl abzumessen und jene Bedenken sich vollkommen deutlich zu machen verstan¬ den habe. Die Hauptpunkte, die in Frage kommen, sind: i) die wahre Bedeutung der Verkehrsströmung zwischen Europa und Ostasien; 2) die Möglichkeit der technischen Ausführung des Kanals und das Verhältniß zwischen den Kohle" und seiner Erhaltung und dem Ertrag seiner Benutzung; damit in Verbindung 3) das Maß, in welchem die Durchstechung der Landenge von Suez die Fah^ von unsern Häfen nach den indischen, chinesischen und australischen abkürzen würde; endlich 4) die Beziehung des Unternehmens zur englischen Politik und der Politik der Mittelmeerstaaten, namentlich Frankreichs. Die Vertheidiger des Projects wiesen zunächst auf die große gewerbliche Productionskraft Europas hin, die eine entsprechende Consumtionskraft n» außereuropäischen Nohproducten erzeuge, und nahmen dann an, daß Indien der beste Markt sei, aus dem diese Kräfte sich ausglichen. Der Verkehr zu"' sehen den Ländern des Indus und Ganges und den Hafen- und Fabrikplätzen Europas umfasse die ungeheure Summe von ziemlich zwei Millionen Tonnen Last — eine Güterströmung von Osten nach Westen, die auf Erden ihres Gleiche"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/292>, abgerufen am 24.07.2024.