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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Fürst Milosch und die Serben.
i.

Die serbische Revolution -- wenn man will, Restauration -- ist vollen¬
det, gegen den Willen Oestreichs, halb zur Zufriedenheit Frankreichs, ganz
nach dem Wunsch und Interesse Rußlands. Fürst Alexander hat seiner ovo
Volke beschlossenen Absetzung durch seine Abdankung das Siegel beigedruckt,
das Land geräumt und sich mit den ersparten Millionen nach Wien zurück¬
gezogen. Die Pforte hat nach einigem Zögern die Wahl seines Nachfolgers
gut geheißen. Die Großmächte werden nichts dawider haben, Oestreich wenig'
fleus nichts dawider thun.

Der ganze Vorgang war kurz charakterisiert folgender: Fürst Alexander,
schwach an Verstand, noch schwächer an Willen, in auswärtigen Fragen zur Ren'
tralität geneigt, inconsequent und überdies zu nachgiebig gegen die Ansprüche
seiner Verwandten auf gute Stellen, hatte sich allgemein unbeliebt gemacht. Ein?
Partei unter den Vornehmen strebte ihn zu entfernen, um den einen oder den
andern ihrer Führer, den alten echtserbischen Wutschitsch, den französisch g°'
sinntcn Garaschanin, den reichen Salzhändler Mischn Barlowetz, oder
tausig alle drei zusammen an seine Stelle zu bringen. Der Versuch mißlang
anfangs, er wurde wieder aufgenommen, und das Volk, der Bauer, soll^
dabei helfen. Er half und gab den Ausschlag, aber nicht nach dem Würfel)^
der Herren im Senat. Die Skupschtina kam zusammen, sie forderte, wie ^
im Senat gewünscht war, den Fürsten zur Abdankung auf und setzte ihn,
ersieh weigerte, sich zum Convent gestaltend, ab, aber sie gab ihm zum
Solger auf dem Fürstenstuhl weder Garaschanin, noch Wutschitsch, noch eine"
andern der Senatoren, sondern den alten, seit ziemlich zwei Jahrzehnten "
der Verbannung lebenden, einst von ihr selbst verstoßenen Milosch Ob>^
nowitsch.

Ein Blick auf das Leben des alten Herrn, namentlich auf die Jah'^
wo er den serbischen Fürstcnstuhl innehatte, scheint eher das Erstaunen lib^
diese Bevorzugung erhöhen zu müssen, als sie zu erklären.

Fürst Alexander hatte im Ganzen und so weit das überhaupt auf ^
bische Angelegenheiten Anwendung leidet, constitutionell regiert. Wutsch'w
war eine rein serbische Natur -- kann er, der Senator und Appellativ
gerichtspräsident, doch nicht einmal schreiben -- er hatte den Frciheitstan'^
angekämpft und sich verschiedene Verdienste erworben, die auch in den A"^
der Bauern schwer wiegen. Garaschanin hatte als Minister mancherlei s
Hebung des Landes gethan, er galt für sehr klug und' gewandt, er
sich des Wohlwollens und der Unterstützung des französischen Consuls. Arde


Fürst Milosch und die Serben.
i.

Die serbische Revolution — wenn man will, Restauration — ist vollen¬
det, gegen den Willen Oestreichs, halb zur Zufriedenheit Frankreichs, ganz
nach dem Wunsch und Interesse Rußlands. Fürst Alexander hat seiner ovo
Volke beschlossenen Absetzung durch seine Abdankung das Siegel beigedruckt,
das Land geräumt und sich mit den ersparten Millionen nach Wien zurück¬
gezogen. Die Pforte hat nach einigem Zögern die Wahl seines Nachfolgers
gut geheißen. Die Großmächte werden nichts dawider haben, Oestreich wenig'
fleus nichts dawider thun.

Der ganze Vorgang war kurz charakterisiert folgender: Fürst Alexander,
schwach an Verstand, noch schwächer an Willen, in auswärtigen Fragen zur Ren'
tralität geneigt, inconsequent und überdies zu nachgiebig gegen die Ansprüche
seiner Verwandten auf gute Stellen, hatte sich allgemein unbeliebt gemacht. Ein?
Partei unter den Vornehmen strebte ihn zu entfernen, um den einen oder den
andern ihrer Führer, den alten echtserbischen Wutschitsch, den französisch g°'
sinntcn Garaschanin, den reichen Salzhändler Mischn Barlowetz, oder
tausig alle drei zusammen an seine Stelle zu bringen. Der Versuch mißlang
anfangs, er wurde wieder aufgenommen, und das Volk, der Bauer, soll^
dabei helfen. Er half und gab den Ausschlag, aber nicht nach dem Würfel)^
der Herren im Senat. Die Skupschtina kam zusammen, sie forderte, wie ^
im Senat gewünscht war, den Fürsten zur Abdankung auf und setzte ihn,
ersieh weigerte, sich zum Convent gestaltend, ab, aber sie gab ihm zum
Solger auf dem Fürstenstuhl weder Garaschanin, noch Wutschitsch, noch eine"
andern der Senatoren, sondern den alten, seit ziemlich zwei Jahrzehnten »
der Verbannung lebenden, einst von ihr selbst verstoßenen Milosch Ob>^
nowitsch.

Ein Blick auf das Leben des alten Herrn, namentlich auf die Jah'^
wo er den serbischen Fürstcnstuhl innehatte, scheint eher das Erstaunen lib^
diese Bevorzugung erhöhen zu müssen, als sie zu erklären.

Fürst Alexander hatte im Ganzen und so weit das überhaupt auf ^
bische Angelegenheiten Anwendung leidet, constitutionell regiert. Wutsch'w
war eine rein serbische Natur — kann er, der Senator und Appellativ
gerichtspräsident, doch nicht einmal schreiben — er hatte den Frciheitstan'^
angekämpft und sich verschiedene Verdienste erworben, die auch in den A»^
der Bauern schwer wiegen. Garaschanin hatte als Minister mancherlei s
Hebung des Landes gethan, er galt für sehr klug und' gewandt, er
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[0200] Fürst Milosch und die Serben. i. Die serbische Revolution — wenn man will, Restauration — ist vollen¬ det, gegen den Willen Oestreichs, halb zur Zufriedenheit Frankreichs, ganz nach dem Wunsch und Interesse Rußlands. Fürst Alexander hat seiner ovo Volke beschlossenen Absetzung durch seine Abdankung das Siegel beigedruckt, das Land geräumt und sich mit den ersparten Millionen nach Wien zurück¬ gezogen. Die Pforte hat nach einigem Zögern die Wahl seines Nachfolgers gut geheißen. Die Großmächte werden nichts dawider haben, Oestreich wenig' fleus nichts dawider thun. Der ganze Vorgang war kurz charakterisiert folgender: Fürst Alexander, schwach an Verstand, noch schwächer an Willen, in auswärtigen Fragen zur Ren' tralität geneigt, inconsequent und überdies zu nachgiebig gegen die Ansprüche seiner Verwandten auf gute Stellen, hatte sich allgemein unbeliebt gemacht. Ein? Partei unter den Vornehmen strebte ihn zu entfernen, um den einen oder den andern ihrer Führer, den alten echtserbischen Wutschitsch, den französisch g°' sinntcn Garaschanin, den reichen Salzhändler Mischn Barlowetz, oder tausig alle drei zusammen an seine Stelle zu bringen. Der Versuch mißlang anfangs, er wurde wieder aufgenommen, und das Volk, der Bauer, soll^ dabei helfen. Er half und gab den Ausschlag, aber nicht nach dem Würfel)^ der Herren im Senat. Die Skupschtina kam zusammen, sie forderte, wie ^ im Senat gewünscht war, den Fürsten zur Abdankung auf und setzte ihn, ersieh weigerte, sich zum Convent gestaltend, ab, aber sie gab ihm zum Solger auf dem Fürstenstuhl weder Garaschanin, noch Wutschitsch, noch eine" andern der Senatoren, sondern den alten, seit ziemlich zwei Jahrzehnten » der Verbannung lebenden, einst von ihr selbst verstoßenen Milosch Ob>^ nowitsch. Ein Blick auf das Leben des alten Herrn, namentlich auf die Jah'^ wo er den serbischen Fürstcnstuhl innehatte, scheint eher das Erstaunen lib^ diese Bevorzugung erhöhen zu müssen, als sie zu erklären. Fürst Alexander hatte im Ganzen und so weit das überhaupt auf ^ bische Angelegenheiten Anwendung leidet, constitutionell regiert. Wutsch'w war eine rein serbische Natur — kann er, der Senator und Appellativ gerichtspräsident, doch nicht einmal schreiben — er hatte den Frciheitstan'^ angekämpft und sich verschiedene Verdienste erworben, die auch in den A»^ der Bauern schwer wiegen. Garaschanin hatte als Minister mancherlei s Hebung des Landes gethan, er galt für sehr klug und' gewandt, er sich des Wohlwollens und der Unterstützung des französischen Consuls. Arde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/200>, abgerufen am 24.07.2024.