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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Sturz der türkischen Herrschaft zu vollenden, die sämmtlichen Donauländer
und mit ihnen sich eine Stellung zu gewinnen, in welcher dem Kaiserstaat
jener Nang zugefallen wäre, den Rußland jetzt in der Reihe europäischer Staa¬
ten einnimmt. Weder Polen, noch Rußland, noch die Seemächte, noch
endlich Frankreich hätten damals Oestreich gehindert, dem Erzfeind der Christen¬
heit diese Provinzen, die außerdem großentheils früher der Krone Ungarn
geHort hatten, abzunehmen; keine Westnmchte würden wegen der Integrität
des osmanischen Reiches einen Krieg begonnen haben. Karl VI. ließ diese
günstige, nie wiederkehrende Gelegenheit vorübergehn; am Ende seiner Re¬
gierung unternahm er zwar einen .Krieg gegen die Türken, aber ohne die er-
forderliche Energie, und so endigte dieser mit dem Verlust Belgrads und der
kleinen Walachei. Unter Maria Theresia wäre es noch möglich, wiewol schon
viel schwieriger gewesen, diesen Projekten nachzugehen; die Beute hätte jetzt
schon mit Nußland getheilt werden müssen, und die übrigen europäischen
Mächte würden einer solchen Störung des Gleichgewichtes auch nicht ganz
ruhig zugesehen haben. Maria Theresia zog es jedoch vor, wegen Schlesien
einen siebenjährigen Krieg zu führen, der zwischen den zwei deutschen Groß'
Staaten eine Spannung erzeugte, die noch nicht verschwunden ist. Joseph II. hatte,
wie mit seinen andern Unternehmungen auch mit seinem Türkenkrieg wenig Glück.
Die französischen Revolutionskriege und die Kämpfe gegen Napoleon zogen
Oestreich von dieser Richtung ganz ab, und in unserm Jahrhundert ist es zu
spät, im Osten erobernd auftreten zu wollen. Ebenso sehr fast wie durch
Deutschland wurde Oestreich durch Italien von der ihm durch die Natur vor¬
geschriebenen Bahn abgelenkt. Wir sehen es zum ersten Mal in die Schicksale
der Halbinsel entscheidend eingreifen, als infolge des Aussterbens der Habs'
burgischen Linie in Spanien der größere Theil Italiens der östreichischen
Linie zufiel. Der Besitz Neapels, Toscanas und Mailands sicherte dem Ein¬
fluß Oestreichs in Italien das entschiedene Uebergewicht, das weder von de>n
Papst, noch von der Republik Venedig angefochten werden konnte; selbst gegen
einen Angriff von außen konnte man Italien vertheidigen, ohne die
der andern Provinzen in Anspruch zu nehmen. Das Land, von Gouver¬
neuren regiert, wie es noch unter der spanischen Oberhoheit der Fall gewesen
war, empfand keinen Widerwillen dagegen, von einem Fürsten beherrscht
werden, der in Wien residirte. Es befand sich in einem ruhigen, wiew^
etwas erschlafften Zustand, und man kann behaupten, der Besitz Italien^
verlieh damals Oestreich einen wirtlichen Zuwachs an Macht. Diese günstig
Machtstellung, gab Karl VI. freiwillig auf. Man könnte es billigen, wen"
er einen Theil seiner Länder aufgeopfert hätte, um im Uebrigen stark zu si'l",
das Erbtheil seiner Tochter zu sichern und im Osten sich zu befestigen u"d
auszubreiten. Ttatt dessen sehn wir ihn bemüht, seinen Einfluß in Deutsch'


Sturz der türkischen Herrschaft zu vollenden, die sämmtlichen Donauländer
und mit ihnen sich eine Stellung zu gewinnen, in welcher dem Kaiserstaat
jener Nang zugefallen wäre, den Rußland jetzt in der Reihe europäischer Staa¬
ten einnimmt. Weder Polen, noch Rußland, noch die Seemächte, noch
endlich Frankreich hätten damals Oestreich gehindert, dem Erzfeind der Christen¬
heit diese Provinzen, die außerdem großentheils früher der Krone Ungarn
geHort hatten, abzunehmen; keine Westnmchte würden wegen der Integrität
des osmanischen Reiches einen Krieg begonnen haben. Karl VI. ließ diese
günstige, nie wiederkehrende Gelegenheit vorübergehn; am Ende seiner Re¬
gierung unternahm er zwar einen .Krieg gegen die Türken, aber ohne die er-
forderliche Energie, und so endigte dieser mit dem Verlust Belgrads und der
kleinen Walachei. Unter Maria Theresia wäre es noch möglich, wiewol schon
viel schwieriger gewesen, diesen Projekten nachzugehen; die Beute hätte jetzt
schon mit Nußland getheilt werden müssen, und die übrigen europäischen
Mächte würden einer solchen Störung des Gleichgewichtes auch nicht ganz
ruhig zugesehen haben. Maria Theresia zog es jedoch vor, wegen Schlesien
einen siebenjährigen Krieg zu führen, der zwischen den zwei deutschen Groß'
Staaten eine Spannung erzeugte, die noch nicht verschwunden ist. Joseph II. hatte,
wie mit seinen andern Unternehmungen auch mit seinem Türkenkrieg wenig Glück.
Die französischen Revolutionskriege und die Kämpfe gegen Napoleon zogen
Oestreich von dieser Richtung ganz ab, und in unserm Jahrhundert ist es zu
spät, im Osten erobernd auftreten zu wollen. Ebenso sehr fast wie durch
Deutschland wurde Oestreich durch Italien von der ihm durch die Natur vor¬
geschriebenen Bahn abgelenkt. Wir sehen es zum ersten Mal in die Schicksale
der Halbinsel entscheidend eingreifen, als infolge des Aussterbens der Habs'
burgischen Linie in Spanien der größere Theil Italiens der östreichischen
Linie zufiel. Der Besitz Neapels, Toscanas und Mailands sicherte dem Ein¬
fluß Oestreichs in Italien das entschiedene Uebergewicht, das weder von de>n
Papst, noch von der Republik Venedig angefochten werden konnte; selbst gegen
einen Angriff von außen konnte man Italien vertheidigen, ohne die
der andern Provinzen in Anspruch zu nehmen. Das Land, von Gouver¬
neuren regiert, wie es noch unter der spanischen Oberhoheit der Fall gewesen
war, empfand keinen Widerwillen dagegen, von einem Fürsten beherrscht
werden, der in Wien residirte. Es befand sich in einem ruhigen, wiew^
etwas erschlafften Zustand, und man kann behaupten, der Besitz Italien^
verlieh damals Oestreich einen wirtlichen Zuwachs an Macht. Diese günstig
Machtstellung, gab Karl VI. freiwillig auf. Man könnte es billigen, wen»
er einen Theil seiner Länder aufgeopfert hätte, um im Uebrigen stark zu si'l»,
das Erbtheil seiner Tochter zu sichern und im Osten sich zu befestigen u»d
auszubreiten. Ttatt dessen sehn wir ihn bemüht, seinen Einfluß in Deutsch'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/146>, abgerufen am 28.08.2024.