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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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lauf seiner Darstellung, einen Blick auf die Entwicklung des Kaiserstaates zu
einer europäischen Großmacht, so sehen wir. daß nebst der Erlangung der
deutschen Kaiserkrone hauptsächlich die Enterbung Ungarns den Grund zur
Machtstellung des Hauses Habsburg legte l denn der Besitz des großen König¬
reichs verlieh dem östreichischen Staat jenen materiellen Zuwachs an Land und
Leuten, der im Beginn allerdings von nicht sehr großer Bedeutung schien, in
der Folge aber, als die deutsche Krone sich immer mehr als eine bloße Würde erwies
und endlich,^ganz abgelegt werden mußte, Oestreich seine Stellurg als Staat ersten
Ranges im europäischen Staatencomplcx sicherte. Mau braucht siedet nur aus die
Anstrengungen hinzuweisen, welche Oestreich unter Maria Theresia und später
gegen Napoleon machte und zu denen es nur durch die beinahe unerschöps"
liehen Hilfsquellen befähigt wurde, die es in seinen östlichen Besitzungen sand.
Das Reich war zwar aus den heterogensten Elementen zusammengesetzt, erstellt
sich aber trotzdem, wie die letzten Jahrhunderte bewiesen haben, eines ziemlich
hohen Grades von Lebensfähigkeit, Es stand Ferdinand I. nach Erwerbung
Ungarns frei, den Schwerpunkt Oestreichs nach diesem eben gewonnenen, großen,
halbcivilisirten Lande zu verlegen oder seine Größe in der Behauptung der deutsche"
Kaiserwürde zu suchen. Er hatte ein Königreich gewonnen, dessen Besitz zwar wie
der der deutschen Krone nicht vollkommen erblich, noch vollkommen sicher war,
welcher aber seine übrigen Erbländer an Ausdehnung nahezu um das Doppelte
übertraf und Oestreich die entscheidende Rotte im Osten Europas zuwies.
Hätte Ferdinand die Idee aufgefaßt, Ungarn als sein Hauptland zu betrachten,
so wäre seine Aufgabe gewesen, die Factionen im Lande und die Türken, die
sich damals nach der unglücklichen Schlacht von Mohacs in Ungarn auszU"
breiten anfingen, mit Hilfe seines im Zenith seiner Macht befindlichen Bru¬
ders zu bekämpfen, niederzuschlagen lind die Größe Oestreichs dort zu be¬
gründen, wohin es ja schon sein Name wies. Der deutschen Kaiserwürde,
der Suprematie in Deutschland hätten die Nachkommen Ferdinands nllerdin^
entsagen und diese Rolle einer anderen Macht überlassen müssen. Ferdinand,
welchem der Besitz Ungarns nur als ein zweifelhafter erschien, zog es vor, das'
selbe nur als einen secundciren Theil seiner Hausmacht zu betrachten und ciA
Anstrengungen auf die Behauptung und Bcrmehruug des Einflusses seines
Hauses in Deutschland zu verwenden. Die größere Hälfte des Landes, selbst die
Hauptstadt fällt in die Hände der Türken, fünfundzwanzig Meilen von Wie"
sind türkische Grenzfestungen; Wien wird zweimal belagert; Oestreich selbst
steht in größter Gefahr in ein Paschalik verwandelt zu werden; und der
Kaiser von Deutschland und König von Ungarn zahlt einen Tribut nach K""'
stantinopel um Frieden zu erhalten, und mit Muße wegen einer Grenzfestung e>n
Rhein oder wegen des Hoheitsrechtes über irgend eine entfernte Besitzung
lange und blutige Kriege zu führen, oder diejenigen Deutschen zu unterdrücken,


lauf seiner Darstellung, einen Blick auf die Entwicklung des Kaiserstaates zu
einer europäischen Großmacht, so sehen wir. daß nebst der Erlangung der
deutschen Kaiserkrone hauptsächlich die Enterbung Ungarns den Grund zur
Machtstellung des Hauses Habsburg legte l denn der Besitz des großen König¬
reichs verlieh dem östreichischen Staat jenen materiellen Zuwachs an Land und
Leuten, der im Beginn allerdings von nicht sehr großer Bedeutung schien, in
der Folge aber, als die deutsche Krone sich immer mehr als eine bloße Würde erwies
und endlich,^ganz abgelegt werden mußte, Oestreich seine Stellurg als Staat ersten
Ranges im europäischen Staatencomplcx sicherte. Mau braucht siedet nur aus die
Anstrengungen hinzuweisen, welche Oestreich unter Maria Theresia und später
gegen Napoleon machte und zu denen es nur durch die beinahe unerschöps"
liehen Hilfsquellen befähigt wurde, die es in seinen östlichen Besitzungen sand.
Das Reich war zwar aus den heterogensten Elementen zusammengesetzt, erstellt
sich aber trotzdem, wie die letzten Jahrhunderte bewiesen haben, eines ziemlich
hohen Grades von Lebensfähigkeit, Es stand Ferdinand I. nach Erwerbung
Ungarns frei, den Schwerpunkt Oestreichs nach diesem eben gewonnenen, großen,
halbcivilisirten Lande zu verlegen oder seine Größe in der Behauptung der deutsche»
Kaiserwürde zu suchen. Er hatte ein Königreich gewonnen, dessen Besitz zwar wie
der der deutschen Krone nicht vollkommen erblich, noch vollkommen sicher war,
welcher aber seine übrigen Erbländer an Ausdehnung nahezu um das Doppelte
übertraf und Oestreich die entscheidende Rotte im Osten Europas zuwies.
Hätte Ferdinand die Idee aufgefaßt, Ungarn als sein Hauptland zu betrachten,
so wäre seine Aufgabe gewesen, die Factionen im Lande und die Türken, die
sich damals nach der unglücklichen Schlacht von Mohacs in Ungarn auszU"
breiten anfingen, mit Hilfe seines im Zenith seiner Macht befindlichen Bru¬
ders zu bekämpfen, niederzuschlagen lind die Größe Oestreichs dort zu be¬
gründen, wohin es ja schon sein Name wies. Der deutschen Kaiserwürde,
der Suprematie in Deutschland hätten die Nachkommen Ferdinands nllerdin^
entsagen und diese Rolle einer anderen Macht überlassen müssen. Ferdinand,
welchem der Besitz Ungarns nur als ein zweifelhafter erschien, zog es vor, das'
selbe nur als einen secundciren Theil seiner Hausmacht zu betrachten und ciA
Anstrengungen auf die Behauptung und Bcrmehruug des Einflusses seines
Hauses in Deutschland zu verwenden. Die größere Hälfte des Landes, selbst die
Hauptstadt fällt in die Hände der Türken, fünfundzwanzig Meilen von Wie»
sind türkische Grenzfestungen; Wien wird zweimal belagert; Oestreich selbst
steht in größter Gefahr in ein Paschalik verwandelt zu werden; und der
Kaiser von Deutschland und König von Ungarn zahlt einen Tribut nach K"»'
stantinopel um Frieden zu erhalten, und mit Muße wegen einer Grenzfestung e>n
Rhein oder wegen des Hoheitsrechtes über irgend eine entfernte Besitzung
lange und blutige Kriege zu führen, oder diejenigen Deutschen zu unterdrücken,


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[0144] lauf seiner Darstellung, einen Blick auf die Entwicklung des Kaiserstaates zu einer europäischen Großmacht, so sehen wir. daß nebst der Erlangung der deutschen Kaiserkrone hauptsächlich die Enterbung Ungarns den Grund zur Machtstellung des Hauses Habsburg legte l denn der Besitz des großen König¬ reichs verlieh dem östreichischen Staat jenen materiellen Zuwachs an Land und Leuten, der im Beginn allerdings von nicht sehr großer Bedeutung schien, in der Folge aber, als die deutsche Krone sich immer mehr als eine bloße Würde erwies und endlich,^ganz abgelegt werden mußte, Oestreich seine Stellurg als Staat ersten Ranges im europäischen Staatencomplcx sicherte. Mau braucht siedet nur aus die Anstrengungen hinzuweisen, welche Oestreich unter Maria Theresia und später gegen Napoleon machte und zu denen es nur durch die beinahe unerschöps" liehen Hilfsquellen befähigt wurde, die es in seinen östlichen Besitzungen sand. Das Reich war zwar aus den heterogensten Elementen zusammengesetzt, erstellt sich aber trotzdem, wie die letzten Jahrhunderte bewiesen haben, eines ziemlich hohen Grades von Lebensfähigkeit, Es stand Ferdinand I. nach Erwerbung Ungarns frei, den Schwerpunkt Oestreichs nach diesem eben gewonnenen, großen, halbcivilisirten Lande zu verlegen oder seine Größe in der Behauptung der deutsche» Kaiserwürde zu suchen. Er hatte ein Königreich gewonnen, dessen Besitz zwar wie der der deutschen Krone nicht vollkommen erblich, noch vollkommen sicher war, welcher aber seine übrigen Erbländer an Ausdehnung nahezu um das Doppelte übertraf und Oestreich die entscheidende Rotte im Osten Europas zuwies. Hätte Ferdinand die Idee aufgefaßt, Ungarn als sein Hauptland zu betrachten, so wäre seine Aufgabe gewesen, die Factionen im Lande und die Türken, die sich damals nach der unglücklichen Schlacht von Mohacs in Ungarn auszU" breiten anfingen, mit Hilfe seines im Zenith seiner Macht befindlichen Bru¬ ders zu bekämpfen, niederzuschlagen lind die Größe Oestreichs dort zu be¬ gründen, wohin es ja schon sein Name wies. Der deutschen Kaiserwürde, der Suprematie in Deutschland hätten die Nachkommen Ferdinands nllerdin^ entsagen und diese Rolle einer anderen Macht überlassen müssen. Ferdinand, welchem der Besitz Ungarns nur als ein zweifelhafter erschien, zog es vor, das' selbe nur als einen secundciren Theil seiner Hausmacht zu betrachten und ciA Anstrengungen auf die Behauptung und Bcrmehruug des Einflusses seines Hauses in Deutschland zu verwenden. Die größere Hälfte des Landes, selbst die Hauptstadt fällt in die Hände der Türken, fünfundzwanzig Meilen von Wie» sind türkische Grenzfestungen; Wien wird zweimal belagert; Oestreich selbst steht in größter Gefahr in ein Paschalik verwandelt zu werden; und der Kaiser von Deutschland und König von Ungarn zahlt einen Tribut nach K"»' stantinopel um Frieden zu erhalten, und mit Muße wegen einer Grenzfestung e>n Rhein oder wegen des Hoheitsrechtes über irgend eine entfernte Besitzung lange und blutige Kriege zu führen, oder diejenigen Deutschen zu unterdrücken,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/144>, abgerufen am 24.07.2024.