Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Anhänger einer herrschenden Partei den conservativen Sinn des Bauerstandes,
die feste Treue des Heeres rühmten. Die Treue und Loyalität des preu¬
ßischen Heeres beruht aus der Treue und Loyalität einer starken Majorität
preußischer Staatsbürger, ohne das volle Vertrauen zur eigenen Kraft
und zu der Tüchtigkeit seiner Sache vermag der Soldat wol bei seiner
Fahne zu sterben, aber nicht zu siegen; die gute Stimmung der Landbe¬
wohner aber, so weit ihr Hervorheben nicht eine Lüge war, drohte bei
jeder der schwebenden Streitfragen um Steuern, Domanialrechte, Polizei-
Willkür in das wilde Gegentheil umzuschlagen. Und kam solche iplötzliche
politische Springflut, welche die größte Klugheit nicht immer vorhersehen,
noch weniger verhüten kann, welcher Damm war dem preußischen Volk
fest geblieben? Alles locker, alles durchrüttelt, fast kein Kreis von Pflichten und
Rechten, in dem eine schwankende Gesetzgebung und die rohe Willkür der Exe¬
cutive nicht Unsicherheit und Stoff zum berechtigten Mißbehagen allgemein
gemacht hätte. Ueberall war von dem guten Alten, worein sich zwei Genera¬
tionen eingelebt, verwüstet worden, den Communen, der Kirche, dem Handwerk,
sogar der Familie. Ueberall über dem Neuen, das sich eingedrängt, kleinliche
Bevormundung, polizeimäßiges Mißtrauen, stille Animosität gegen die Mehrheit
der Staatsbürger. So lange es schlechte Regierungen und Revolutionen gegeben
hat, war solche Lage und Stimmung der Anfang des Endes.

Wenn wir alle Ursache haben, die ersten Tage des November als Anfang
besserer Zeit zu feiern, die größte hat der preußische Adel. Denn ihn hat der
Sturz des nider Systems gerettet, freilich sehr wider seinen Willen. Seit alter
Zeit leidet dieser Stand an dem Verhängnis; aller Privilegien Classen, daß
eine in egoistischen Vorurtheilen und Sondcrinteressen beschränkte Faction durch
die Talente, Tugenden und Tüchtigkeit einzelner Persönlichkeiten in der öffent¬
lichen Achtung restituirt werden muß. Nie aber war der Adel in so gefahr¬
voller Stellung zur Nation, als in den letzten Jahren.

Das Junkerthuin, die alte leidige Verkümmerung norddeutschen Adels,
überwucherte alle Felder der Regierung; die politischen Intelligenzen des Land¬
adels standen als eine sehr kleine Minderzahl in erbittertem Kampfe gegen die
Forderungen der eignen Verwandten, Nachbarn, Kameraden. Je ärmer an Capa-
citäten die große Familie der Junker war, desto turbulenter, übermüthiger und
anspruchsvoller wurde ihr Auftreten; daß sie durch einzelne Renegaten des Bür-
gerthums ihre Reihen verstärkte, trug nur dazu bei, dem Volke recht deutlich
zu macheu, daß der Kern der Verbindung ein factiöses Adelswesen war, un¬
verträglich mit der bürgerlichen Bildung unseres Jahrhunderts, mit bürger¬
lichem Selbstgefühl, mit dem Leben eines Culturstaates. Zu dem heimlichen
Haß, mit welchem der Bürger ihr Treiben betrachtete, hatte sich eine schlim¬
mere Empfindung gesellt, die Verachtung. Die Partei begann dem Volke


Anhänger einer herrschenden Partei den conservativen Sinn des Bauerstandes,
die feste Treue des Heeres rühmten. Die Treue und Loyalität des preu¬
ßischen Heeres beruht aus der Treue und Loyalität einer starken Majorität
preußischer Staatsbürger, ohne das volle Vertrauen zur eigenen Kraft
und zu der Tüchtigkeit seiner Sache vermag der Soldat wol bei seiner
Fahne zu sterben, aber nicht zu siegen; die gute Stimmung der Landbe¬
wohner aber, so weit ihr Hervorheben nicht eine Lüge war, drohte bei
jeder der schwebenden Streitfragen um Steuern, Domanialrechte, Polizei-
Willkür in das wilde Gegentheil umzuschlagen. Und kam solche iplötzliche
politische Springflut, welche die größte Klugheit nicht immer vorhersehen,
noch weniger verhüten kann, welcher Damm war dem preußischen Volk
fest geblieben? Alles locker, alles durchrüttelt, fast kein Kreis von Pflichten und
Rechten, in dem eine schwankende Gesetzgebung und die rohe Willkür der Exe¬
cutive nicht Unsicherheit und Stoff zum berechtigten Mißbehagen allgemein
gemacht hätte. Ueberall war von dem guten Alten, worein sich zwei Genera¬
tionen eingelebt, verwüstet worden, den Communen, der Kirche, dem Handwerk,
sogar der Familie. Ueberall über dem Neuen, das sich eingedrängt, kleinliche
Bevormundung, polizeimäßiges Mißtrauen, stille Animosität gegen die Mehrheit
der Staatsbürger. So lange es schlechte Regierungen und Revolutionen gegeben
hat, war solche Lage und Stimmung der Anfang des Endes.

Wenn wir alle Ursache haben, die ersten Tage des November als Anfang
besserer Zeit zu feiern, die größte hat der preußische Adel. Denn ihn hat der
Sturz des nider Systems gerettet, freilich sehr wider seinen Willen. Seit alter
Zeit leidet dieser Stand an dem Verhängnis; aller Privilegien Classen, daß
eine in egoistischen Vorurtheilen und Sondcrinteressen beschränkte Faction durch
die Talente, Tugenden und Tüchtigkeit einzelner Persönlichkeiten in der öffent¬
lichen Achtung restituirt werden muß. Nie aber war der Adel in so gefahr¬
voller Stellung zur Nation, als in den letzten Jahren.

Das Junkerthuin, die alte leidige Verkümmerung norddeutschen Adels,
überwucherte alle Felder der Regierung; die politischen Intelligenzen des Land¬
adels standen als eine sehr kleine Minderzahl in erbittertem Kampfe gegen die
Forderungen der eignen Verwandten, Nachbarn, Kameraden. Je ärmer an Capa-
citäten die große Familie der Junker war, desto turbulenter, übermüthiger und
anspruchsvoller wurde ihr Auftreten; daß sie durch einzelne Renegaten des Bür-
gerthums ihre Reihen verstärkte, trug nur dazu bei, dem Volke recht deutlich
zu macheu, daß der Kern der Verbindung ein factiöses Adelswesen war, un¬
verträglich mit der bürgerlichen Bildung unseres Jahrhunderts, mit bürger¬
lichem Selbstgefühl, mit dem Leben eines Culturstaates. Zu dem heimlichen
Haß, mit welchem der Bürger ihr Treiben betrachtete, hatte sich eine schlim¬
mere Empfindung gesellt, die Verachtung. Die Partei begann dem Volke


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0012" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186963"/>
          <p xml:id="ID_11" prev="#ID_10"> Anhänger einer herrschenden Partei den conservativen Sinn des Bauerstandes,<lb/>
die feste Treue des Heeres rühmten. Die Treue und Loyalität des preu¬<lb/>
ßischen Heeres beruht aus der Treue und Loyalität einer starken Majorität<lb/>
preußischer Staatsbürger, ohne das volle Vertrauen zur eigenen Kraft<lb/>
und zu der Tüchtigkeit seiner Sache vermag der Soldat wol bei seiner<lb/>
Fahne zu sterben, aber nicht zu siegen; die gute Stimmung der Landbe¬<lb/>
wohner aber, so weit ihr Hervorheben nicht eine Lüge war, drohte bei<lb/>
jeder der schwebenden Streitfragen um Steuern, Domanialrechte, Polizei-<lb/>
Willkür in das wilde Gegentheil umzuschlagen. Und kam solche iplötzliche<lb/>
politische Springflut, welche die größte Klugheit nicht immer vorhersehen,<lb/>
noch weniger verhüten kann, welcher Damm war dem preußischen Volk<lb/>
fest geblieben? Alles locker, alles durchrüttelt, fast kein Kreis von Pflichten und<lb/>
Rechten, in dem eine schwankende Gesetzgebung und die rohe Willkür der Exe¬<lb/>
cutive nicht Unsicherheit und Stoff zum berechtigten Mißbehagen allgemein<lb/>
gemacht hätte. Ueberall war von dem guten Alten, worein sich zwei Genera¬<lb/>
tionen eingelebt, verwüstet worden, den Communen, der Kirche, dem Handwerk,<lb/>
sogar der Familie. Ueberall über dem Neuen, das sich eingedrängt, kleinliche<lb/>
Bevormundung, polizeimäßiges Mißtrauen, stille Animosität gegen die Mehrheit<lb/>
der Staatsbürger. So lange es schlechte Regierungen und Revolutionen gegeben<lb/>
hat, war solche Lage und Stimmung der Anfang des Endes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_12"> Wenn wir alle Ursache haben, die ersten Tage des November als Anfang<lb/>
besserer Zeit zu feiern, die größte hat der preußische Adel. Denn ihn hat der<lb/>
Sturz des nider Systems gerettet, freilich sehr wider seinen Willen. Seit alter<lb/>
Zeit leidet dieser Stand an dem Verhängnis; aller Privilegien Classen, daß<lb/>
eine in egoistischen Vorurtheilen und Sondcrinteressen beschränkte Faction durch<lb/>
die Talente, Tugenden und Tüchtigkeit einzelner Persönlichkeiten in der öffent¬<lb/>
lichen Achtung restituirt werden muß. Nie aber war der Adel in so gefahr¬<lb/>
voller Stellung zur Nation, als in den letzten Jahren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_13" next="#ID_14"> Das Junkerthuin, die alte leidige Verkümmerung norddeutschen Adels,<lb/>
überwucherte alle Felder der Regierung; die politischen Intelligenzen des Land¬<lb/>
adels standen als eine sehr kleine Minderzahl in erbittertem Kampfe gegen die<lb/>
Forderungen der eignen Verwandten, Nachbarn, Kameraden. Je ärmer an Capa-<lb/>
citäten die große Familie der Junker war, desto turbulenter, übermüthiger und<lb/>
anspruchsvoller wurde ihr Auftreten; daß sie durch einzelne Renegaten des Bür-<lb/>
gerthums ihre Reihen verstärkte, trug nur dazu bei, dem Volke recht deutlich<lb/>
zu macheu, daß der Kern der Verbindung ein factiöses Adelswesen war, un¬<lb/>
verträglich mit der bürgerlichen Bildung unseres Jahrhunderts, mit bürger¬<lb/>
lichem Selbstgefühl, mit dem Leben eines Culturstaates. Zu dem heimlichen<lb/>
Haß, mit welchem der Bürger ihr Treiben betrachtete, hatte sich eine schlim¬<lb/>
mere Empfindung gesellt, die Verachtung.  Die Partei begann dem Volke</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0012] Anhänger einer herrschenden Partei den conservativen Sinn des Bauerstandes, die feste Treue des Heeres rühmten. Die Treue und Loyalität des preu¬ ßischen Heeres beruht aus der Treue und Loyalität einer starken Majorität preußischer Staatsbürger, ohne das volle Vertrauen zur eigenen Kraft und zu der Tüchtigkeit seiner Sache vermag der Soldat wol bei seiner Fahne zu sterben, aber nicht zu siegen; die gute Stimmung der Landbe¬ wohner aber, so weit ihr Hervorheben nicht eine Lüge war, drohte bei jeder der schwebenden Streitfragen um Steuern, Domanialrechte, Polizei- Willkür in das wilde Gegentheil umzuschlagen. Und kam solche iplötzliche politische Springflut, welche die größte Klugheit nicht immer vorhersehen, noch weniger verhüten kann, welcher Damm war dem preußischen Volk fest geblieben? Alles locker, alles durchrüttelt, fast kein Kreis von Pflichten und Rechten, in dem eine schwankende Gesetzgebung und die rohe Willkür der Exe¬ cutive nicht Unsicherheit und Stoff zum berechtigten Mißbehagen allgemein gemacht hätte. Ueberall war von dem guten Alten, worein sich zwei Genera¬ tionen eingelebt, verwüstet worden, den Communen, der Kirche, dem Handwerk, sogar der Familie. Ueberall über dem Neuen, das sich eingedrängt, kleinliche Bevormundung, polizeimäßiges Mißtrauen, stille Animosität gegen die Mehrheit der Staatsbürger. So lange es schlechte Regierungen und Revolutionen gegeben hat, war solche Lage und Stimmung der Anfang des Endes. Wenn wir alle Ursache haben, die ersten Tage des November als Anfang besserer Zeit zu feiern, die größte hat der preußische Adel. Denn ihn hat der Sturz des nider Systems gerettet, freilich sehr wider seinen Willen. Seit alter Zeit leidet dieser Stand an dem Verhängnis; aller Privilegien Classen, daß eine in egoistischen Vorurtheilen und Sondcrinteressen beschränkte Faction durch die Talente, Tugenden und Tüchtigkeit einzelner Persönlichkeiten in der öffent¬ lichen Achtung restituirt werden muß. Nie aber war der Adel in so gefahr¬ voller Stellung zur Nation, als in den letzten Jahren. Das Junkerthuin, die alte leidige Verkümmerung norddeutschen Adels, überwucherte alle Felder der Regierung; die politischen Intelligenzen des Land¬ adels standen als eine sehr kleine Minderzahl in erbittertem Kampfe gegen die Forderungen der eignen Verwandten, Nachbarn, Kameraden. Je ärmer an Capa- citäten die große Familie der Junker war, desto turbulenter, übermüthiger und anspruchsvoller wurde ihr Auftreten; daß sie durch einzelne Renegaten des Bür- gerthums ihre Reihen verstärkte, trug nur dazu bei, dem Volke recht deutlich zu macheu, daß der Kern der Verbindung ein factiöses Adelswesen war, un¬ verträglich mit der bürgerlichen Bildung unseres Jahrhunderts, mit bürger¬ lichem Selbstgefühl, mit dem Leben eines Culturstaates. Zu dem heimlichen Haß, mit welchem der Bürger ihr Treiben betrachtete, hatte sich eine schlim¬ mere Empfindung gesellt, die Verachtung. Die Partei begann dem Volke

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/12
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/12>, abgerufen am 24.07.2024.