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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Eine Nacht bei den Pyramiden.

Die Unreife hinauf nach Theben und den nubischen Höhlentcmpeln und
wieder stromab war vollendet, und unsre Dcchabie ankerte wieder im Angesicht
der Minarets von Kairo. Wir hatten uns in den letzten Wochen der Fahrt
ungeduldig nach den Genüssen der Civilisation zurückgesehnt. Das Heimweh
war von Tage zu Tage brennender, die Langeweile, welche das beinahe
wechsellose Einerlei der Niloase hervorruft, mit jedem Morgen unerträglicher
geworden. Widrige Winde, Sandbänke, die uns festhielten, unfreundliches
Wetter hatten ein Uebriges gethan, um die Stimmung der Gesellschaft auf
der Barke niederzudrücken und sie dem Tage, wo sie den Strom verlassen und
die enge Kajüte mit einem guten Gasthaus vertauschen sollte, als einem Tage
der Befreiung entgegenblicken zu lassen. Jetzt, wo es uns nur eine Nachen¬
fahrt quer über den Fluß kostete, um zu jenen Genüssen zu gelangen, war
die Sehnsucht nach ihnen erloschen. Wir fanden plötzlich, daß wir warten
könnten, daß der wunderliche kleine Hausstand, der sich in unserer Kajüte
herausgebildet, seine Reize habt, und daß es unverständig sein würde, den
Becher der Freuden, den wir uns eingeschenkt, als wir uns zu der Tour ver¬
einigt, nicht bis auf die Neige zu leeren. Unser Contract mit dem Besitzer
der Dcchabie lautete aus sechzig Tage. Achtundfünszig waren verflossen.
Keiner von uus hätte eine Woche vorher geglaubt, daß wir nach der Ankunft
vor Kairo auch nur eine Minute zweifelhaft sein könnten, ob es in der Stadt
angenehmer als auf dem Schiffe sei. Jetzt gestanden wir uns gegenseitig,
daß wir ungern von der guten alten Barke und ebenso ungern von dem
halbwilden Leben unsrer Streifzüge am Ufer schieden, und das Ergebniß der
hieraus sich entspinnenden Berathung war. daß dem Rheder nur der letzte
Tag unsres Vertrags geschenkt, der vorletzte aber zu einem Ausflug nach den
Pyramiden von Giseh verwendet werden sollte.

" Für meine beiden Gefährten war dies ein passender Schluß der Nilfahrt.
Ich hatte die Pyramiden bereits früher besucht und bestiegen. Indeß lassen
sie sich recht wohl zweimal sehen, und da ein romantisch gestimmtes Gemüth
unter uns den Vorschlag machte, des Nachts dahin aufzubrechen, um sie zuerst
im Mondschein zu haben und dann auf der Spitze der Chevpspymmide den
Aufgang der Sonne zu genießen, so war ich um so lieber von der Partie.

Gesagt, gethan. Unser Schiffsvolk machte zwar saure Gesichter, als ihnen
die Chowadschi die Aussicht eröffnen ließen, noch vierundzwanzig Stunden
vor den Schenken von Bulak und Masr Atika und vor der Thür ihrer Frauen


Grenzboten I. 1859. 13
Eine Nacht bei den Pyramiden.

Die Unreife hinauf nach Theben und den nubischen Höhlentcmpeln und
wieder stromab war vollendet, und unsre Dcchabie ankerte wieder im Angesicht
der Minarets von Kairo. Wir hatten uns in den letzten Wochen der Fahrt
ungeduldig nach den Genüssen der Civilisation zurückgesehnt. Das Heimweh
war von Tage zu Tage brennender, die Langeweile, welche das beinahe
wechsellose Einerlei der Niloase hervorruft, mit jedem Morgen unerträglicher
geworden. Widrige Winde, Sandbänke, die uns festhielten, unfreundliches
Wetter hatten ein Uebriges gethan, um die Stimmung der Gesellschaft auf
der Barke niederzudrücken und sie dem Tage, wo sie den Strom verlassen und
die enge Kajüte mit einem guten Gasthaus vertauschen sollte, als einem Tage
der Befreiung entgegenblicken zu lassen. Jetzt, wo es uns nur eine Nachen¬
fahrt quer über den Fluß kostete, um zu jenen Genüssen zu gelangen, war
die Sehnsucht nach ihnen erloschen. Wir fanden plötzlich, daß wir warten
könnten, daß der wunderliche kleine Hausstand, der sich in unserer Kajüte
herausgebildet, seine Reize habt, und daß es unverständig sein würde, den
Becher der Freuden, den wir uns eingeschenkt, als wir uns zu der Tour ver¬
einigt, nicht bis auf die Neige zu leeren. Unser Contract mit dem Besitzer
der Dcchabie lautete aus sechzig Tage. Achtundfünszig waren verflossen.
Keiner von uus hätte eine Woche vorher geglaubt, daß wir nach der Ankunft
vor Kairo auch nur eine Minute zweifelhaft sein könnten, ob es in der Stadt
angenehmer als auf dem Schiffe sei. Jetzt gestanden wir uns gegenseitig,
daß wir ungern von der guten alten Barke und ebenso ungern von dem
halbwilden Leben unsrer Streifzüge am Ufer schieden, und das Ergebniß der
hieraus sich entspinnenden Berathung war. daß dem Rheder nur der letzte
Tag unsres Vertrags geschenkt, der vorletzte aber zu einem Ausflug nach den
Pyramiden von Giseh verwendet werden sollte.

» Für meine beiden Gefährten war dies ein passender Schluß der Nilfahrt.
Ich hatte die Pyramiden bereits früher besucht und bestiegen. Indeß lassen
sie sich recht wohl zweimal sehen, und da ein romantisch gestimmtes Gemüth
unter uns den Vorschlag machte, des Nachts dahin aufzubrechen, um sie zuerst
im Mondschein zu haben und dann auf der Spitze der Chevpspymmide den
Aufgang der Sonne zu genießen, so war ich um so lieber von der Partie.

Gesagt, gethan. Unser Schiffsvolk machte zwar saure Gesichter, als ihnen
die Chowadschi die Aussicht eröffnen ließen, noch vierundzwanzig Stunden
vor den Schenken von Bulak und Masr Atika und vor der Thür ihrer Frauen


Grenzboten I. 1859. 13
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[0107] Eine Nacht bei den Pyramiden. Die Unreife hinauf nach Theben und den nubischen Höhlentcmpeln und wieder stromab war vollendet, und unsre Dcchabie ankerte wieder im Angesicht der Minarets von Kairo. Wir hatten uns in den letzten Wochen der Fahrt ungeduldig nach den Genüssen der Civilisation zurückgesehnt. Das Heimweh war von Tage zu Tage brennender, die Langeweile, welche das beinahe wechsellose Einerlei der Niloase hervorruft, mit jedem Morgen unerträglicher geworden. Widrige Winde, Sandbänke, die uns festhielten, unfreundliches Wetter hatten ein Uebriges gethan, um die Stimmung der Gesellschaft auf der Barke niederzudrücken und sie dem Tage, wo sie den Strom verlassen und die enge Kajüte mit einem guten Gasthaus vertauschen sollte, als einem Tage der Befreiung entgegenblicken zu lassen. Jetzt, wo es uns nur eine Nachen¬ fahrt quer über den Fluß kostete, um zu jenen Genüssen zu gelangen, war die Sehnsucht nach ihnen erloschen. Wir fanden plötzlich, daß wir warten könnten, daß der wunderliche kleine Hausstand, der sich in unserer Kajüte herausgebildet, seine Reize habt, und daß es unverständig sein würde, den Becher der Freuden, den wir uns eingeschenkt, als wir uns zu der Tour ver¬ einigt, nicht bis auf die Neige zu leeren. Unser Contract mit dem Besitzer der Dcchabie lautete aus sechzig Tage. Achtundfünszig waren verflossen. Keiner von uus hätte eine Woche vorher geglaubt, daß wir nach der Ankunft vor Kairo auch nur eine Minute zweifelhaft sein könnten, ob es in der Stadt angenehmer als auf dem Schiffe sei. Jetzt gestanden wir uns gegenseitig, daß wir ungern von der guten alten Barke und ebenso ungern von dem halbwilden Leben unsrer Streifzüge am Ufer schieden, und das Ergebniß der hieraus sich entspinnenden Berathung war. daß dem Rheder nur der letzte Tag unsres Vertrags geschenkt, der vorletzte aber zu einem Ausflug nach den Pyramiden von Giseh verwendet werden sollte. » Für meine beiden Gefährten war dies ein passender Schluß der Nilfahrt. Ich hatte die Pyramiden bereits früher besucht und bestiegen. Indeß lassen sie sich recht wohl zweimal sehen, und da ein romantisch gestimmtes Gemüth unter uns den Vorschlag machte, des Nachts dahin aufzubrechen, um sie zuerst im Mondschein zu haben und dann auf der Spitze der Chevpspymmide den Aufgang der Sonne zu genießen, so war ich um so lieber von der Partie. Gesagt, gethan. Unser Schiffsvolk machte zwar saure Gesichter, als ihnen die Chowadschi die Aussicht eröffnen ließen, noch vierundzwanzig Stunden vor den Schenken von Bulak und Masr Atika und vor der Thür ihrer Frauen Grenzboten I. 1859. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/107>, abgerufen am 24.07.2024.