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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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welcher Lexikon und Grammatik sowol der jüdisch-deutschen Sprache, als
des Rotwelsch enthalten soll, verspricht nach der häusig sichtbaren Dialekt'
kenntniß des Verfassers der Haupttheil des Werkes zu werden, er wird, zweck¬
mäßig angeordnet, unsrer Sprachwissenschaft eine nicht selten fühlbare Lücke
ausfüllen.

Für den Zweck dieser Blätter war der erste Theil. Geschichte und Literatur,
der ausgiebigste. Der Verfasser hatte nicht die Absicht, die frühern Jahr¬
hunderte und ihre Literatur ausführlich zu behandeln, und dankbar für das.
was er gegeben, wird der Leser schwerlich mit ihm darüber rechten, daß er
einiges übergangen oder daß ihm nicht alles Findbare bekannt war. Hier
sollen einige Bemerkungen folgen, welche zur Ergänzung seiner Mittheilungen
dienen können.

Unzweifelhaft ist eine zunstmäßigc Verbindung der Gauner mit bestimmten
Erkennungszeichen und Eigenthümlichkeiten der Sprache so alt. als die Staaten
des Mittelalters. Möglich, daß schon die Römer den Fahrenden und Gehren¬
den eine Erbschaft von Kunstgcheimnissen und stillen Bräuchen hinterlasszn
haben. Seit dem neunten Jahrhundert sind die ehr- und rechtlosen Kinder
des Elends über das ganze bekehrte Deutschland verbreitet, eine bunte, wilde
Genossenschaft, vom lustigen Spielmann und seiner Dirne bis zum unge¬
selligen Räuber der Landstraße, vielfach mit seßhaften Menschen verbunden,
von denen einzelne Classen. Hausirer. Roßtäuscher. Reisige, sogar unheilige
Pilger und räuberische Edelleute, später Bettelmönche. fahrende Schüler und
Lohnsoldaten manches aus ihrer Sprache und Sitte angenommen haben.
Am frühesten aber und innigsten war ihre Verbindung mit den Juden, den
vielgcplcigten Hehlern des gestohlenen Gutes, denn jüdische Worte bilden von
je einen Hauptbestandtheil ihres Jargons. Dagegen ist die Verbindung der
deutschen Gauner mit den Zigeunern, so weit sich aus der Sprache schließen
läßt, wenigstens vor dem dreißigjährigen Kriege nicht so innig gewesen, als
man im siebzehnten Jahrhundert glaubte. Denn die Zigeuner waren in der
Minorität und haben mehr aus der Gaunersprache aufgenommen, als die
Landfahrer aus dem indischen Dialekt der Zigeuner.

Die Zigeuner nun sind nicht, wie der Verfasser annimmt, erst im Anfang
des fünfzehnten Jahrhunderts nach Deutschland gekommen/) Die sprachlichen
Untersuchungen von Pott haben ergeben, daß sie ein Stamm des nördlichen
Vorderindiens sind, der Heimath und Zusammenhang mit seinen indischen
Stammverwandten erst zu eiuer Zeit verloren hat. wo die Umbildung des
Sanskrit in die jüngern Völkersprachen bereits erfolgt war. und ferner, daß



') In den Grenzboten Jahrgang 1852 Ur, 11 eine Charakteristik ihrer Sprache und
Ur, 13, eine Zusammenstellung der ältesten Nachrichten über sie und ein kurzer Abriß ihrer
Geschichte.

welcher Lexikon und Grammatik sowol der jüdisch-deutschen Sprache, als
des Rotwelsch enthalten soll, verspricht nach der häusig sichtbaren Dialekt'
kenntniß des Verfassers der Haupttheil des Werkes zu werden, er wird, zweck¬
mäßig angeordnet, unsrer Sprachwissenschaft eine nicht selten fühlbare Lücke
ausfüllen.

Für den Zweck dieser Blätter war der erste Theil. Geschichte und Literatur,
der ausgiebigste. Der Verfasser hatte nicht die Absicht, die frühern Jahr¬
hunderte und ihre Literatur ausführlich zu behandeln, und dankbar für das.
was er gegeben, wird der Leser schwerlich mit ihm darüber rechten, daß er
einiges übergangen oder daß ihm nicht alles Findbare bekannt war. Hier
sollen einige Bemerkungen folgen, welche zur Ergänzung seiner Mittheilungen
dienen können.

Unzweifelhaft ist eine zunstmäßigc Verbindung der Gauner mit bestimmten
Erkennungszeichen und Eigenthümlichkeiten der Sprache so alt. als die Staaten
des Mittelalters. Möglich, daß schon die Römer den Fahrenden und Gehren¬
den eine Erbschaft von Kunstgcheimnissen und stillen Bräuchen hinterlasszn
haben. Seit dem neunten Jahrhundert sind die ehr- und rechtlosen Kinder
des Elends über das ganze bekehrte Deutschland verbreitet, eine bunte, wilde
Genossenschaft, vom lustigen Spielmann und seiner Dirne bis zum unge¬
selligen Räuber der Landstraße, vielfach mit seßhaften Menschen verbunden,
von denen einzelne Classen. Hausirer. Roßtäuscher. Reisige, sogar unheilige
Pilger und räuberische Edelleute, später Bettelmönche. fahrende Schüler und
Lohnsoldaten manches aus ihrer Sprache und Sitte angenommen haben.
Am frühesten aber und innigsten war ihre Verbindung mit den Juden, den
vielgcplcigten Hehlern des gestohlenen Gutes, denn jüdische Worte bilden von
je einen Hauptbestandtheil ihres Jargons. Dagegen ist die Verbindung der
deutschen Gauner mit den Zigeunern, so weit sich aus der Sprache schließen
läßt, wenigstens vor dem dreißigjährigen Kriege nicht so innig gewesen, als
man im siebzehnten Jahrhundert glaubte. Denn die Zigeuner waren in der
Minorität und haben mehr aus der Gaunersprache aufgenommen, als die
Landfahrer aus dem indischen Dialekt der Zigeuner.

Die Zigeuner nun sind nicht, wie der Verfasser annimmt, erst im Anfang
des fünfzehnten Jahrhunderts nach Deutschland gekommen/) Die sprachlichen
Untersuchungen von Pott haben ergeben, daß sie ein Stamm des nördlichen
Vorderindiens sind, der Heimath und Zusammenhang mit seinen indischen
Stammverwandten erst zu eiuer Zeit verloren hat. wo die Umbildung des
Sanskrit in die jüngern Völkersprachen bereits erfolgt war. und ferner, daß



') In den Grenzboten Jahrgang 1852 Ur, 11 eine Charakteristik ihrer Sprache und
Ur, 13, eine Zusammenstellung der ältesten Nachrichten über sie und ein kurzer Abriß ihrer
Geschichte.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/103>, abgerufen am 24.07.2024.