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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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schließt, liegt ebenso im französischen wie im östreichischen Interesse; es han¬
delt sich nur darum, welche von den beiden Mächten über diesen Staaten-
complex die Hegemonie führen soll. Die Bildung eines mächtigen, freien und
einheitlichen Staats, zunächst in Ober- und Mittelitalien, um dann für alle
cmiservative Elemente Italiens das Centrum zu bilden, ist Frankreich ebenso
unbequem als Oestreich, gleichviel ob in Frankreich die Bourbons, die Jakobiner
oder die Bonapartes herrschen. Das weiß Oestreich jetzt sehr gut. und daher
seine sonst völlig unbegreifliche Gleichmütigkeit dem Unwetter gegenüber,
das sich immer näher und drohender von allen Seiten zusammenzieht.

Allein es könnte sich doch verrechnet haben. Es liegt in dem Charakter
des französischen Kaisers etwas, das sich dem gemeinen Maß entzieht. Na¬
poleon III. wird unter Umständen eine That, die ihm und der französischen
Armee Ruhm bringt, ausführen, auch ohne einen unmittelbaren Nutzen davon
in haben; er wird ferner, sobald er einen Zweck will, auch mit großer Ent-
schiedenheit die angemessenen Mittel wollen. Es kann sein, daß der Ruhm
eines siegreichen Feldzugs gegen Oestreich ihm wichtiger ist, als ein unmittel¬
barer Ländergewinn; will er aber in Italien etwas erreichen, so muß er ein¬
sehn, daß dies nur im Bunde mit Sardinien geschehn kann. Der Entschluß
würde ihm erleichtert, wenn Sardinien sich zur Abtretung von Savoyen ver-
stände.

Mit Recht hebt man an ihm seine Verschlossenheit hervor; aber zugleich
versteht er es sehr geschickt, auf die kommenden Ereignisse durch dunkle Ge¬
richte vorzubereiten. Daß im December 1851 ein Staatsstreich bevorstand,
war mehre Monate voraus angezeigt; Napoleon selbst stellte es freilich in
Abrede, und niemand wollte es glauben. Jetzt hört man von allen Seiten,
daß in den Monaten März und Mai ein Feldzug gegen Oestreich vorbereitet
wird; der Kaiser sagt bei einer Festlichkeit, wo man es am wenigsten erwar¬
tn sollte, dem östreichischen Botschafter unangenehme Dinge, und läßt es
"Ach' sonst an Demonstrationen nicht fehlen. Eine Absicht hat das gewiß,
welche, das ist freilich schwer zu bestimmen, aber möglicherweise ist der Zweck,
^ne passende Gelegenheit zu einem Bruch zu finden. Die Entschlüsse des Kai¬
sers werden schnell ins Wert gesetzt und Oestreich hat alle Ursache auf der
Hut zu sein. Unter den Großmächten hat es keine, auf dre es mit Be¬
stimmtheit rechnen könnte, auch England nicht, wie das schon die Verhand¬
lungen über die Donaufürstenthümer gezeigt haben. Kein englisches Ministerium
wird es wagen, in einem Unabhängigkeitskampf der Italiener, namentlich
wenn Frankreich auf jeden directen Gewinn verzichtet. Partei für Oestreich zu
nehmen. Nußland steht entschieden auf Seiten Frankreichs und Sardiniens,
und so bleibt nur noch Preußen übrig, der natürliche Verbündete Oestreichs.
^ sehr sich Frankreich zu allen Zeiten bemüht, durch ein Bündniß mit


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schließt, liegt ebenso im französischen wie im östreichischen Interesse; es han¬
delt sich nur darum, welche von den beiden Mächten über diesen Staaten-
complex die Hegemonie führen soll. Die Bildung eines mächtigen, freien und
einheitlichen Staats, zunächst in Ober- und Mittelitalien, um dann für alle
cmiservative Elemente Italiens das Centrum zu bilden, ist Frankreich ebenso
unbequem als Oestreich, gleichviel ob in Frankreich die Bourbons, die Jakobiner
oder die Bonapartes herrschen. Das weiß Oestreich jetzt sehr gut. und daher
seine sonst völlig unbegreifliche Gleichmütigkeit dem Unwetter gegenüber,
das sich immer näher und drohender von allen Seiten zusammenzieht.

Allein es könnte sich doch verrechnet haben. Es liegt in dem Charakter
des französischen Kaisers etwas, das sich dem gemeinen Maß entzieht. Na¬
poleon III. wird unter Umständen eine That, die ihm und der französischen
Armee Ruhm bringt, ausführen, auch ohne einen unmittelbaren Nutzen davon
in haben; er wird ferner, sobald er einen Zweck will, auch mit großer Ent-
schiedenheit die angemessenen Mittel wollen. Es kann sein, daß der Ruhm
eines siegreichen Feldzugs gegen Oestreich ihm wichtiger ist, als ein unmittel¬
barer Ländergewinn; will er aber in Italien etwas erreichen, so muß er ein¬
sehn, daß dies nur im Bunde mit Sardinien geschehn kann. Der Entschluß
würde ihm erleichtert, wenn Sardinien sich zur Abtretung von Savoyen ver-
stände.

Mit Recht hebt man an ihm seine Verschlossenheit hervor; aber zugleich
versteht er es sehr geschickt, auf die kommenden Ereignisse durch dunkle Ge¬
richte vorzubereiten. Daß im December 1851 ein Staatsstreich bevorstand,
war mehre Monate voraus angezeigt; Napoleon selbst stellte es freilich in
Abrede, und niemand wollte es glauben. Jetzt hört man von allen Seiten,
daß in den Monaten März und Mai ein Feldzug gegen Oestreich vorbereitet
wird; der Kaiser sagt bei einer Festlichkeit, wo man es am wenigsten erwar¬
tn sollte, dem östreichischen Botschafter unangenehme Dinge, und läßt es
"Ach' sonst an Demonstrationen nicht fehlen. Eine Absicht hat das gewiß,
welche, das ist freilich schwer zu bestimmen, aber möglicherweise ist der Zweck,
^ne passende Gelegenheit zu einem Bruch zu finden. Die Entschlüsse des Kai¬
sers werden schnell ins Wert gesetzt und Oestreich hat alle Ursache auf der
Hut zu sein. Unter den Großmächten hat es keine, auf dre es mit Be¬
stimmtheit rechnen könnte, auch England nicht, wie das schon die Verhand¬
lungen über die Donaufürstenthümer gezeigt haben. Kein englisches Ministerium
wird es wagen, in einem Unabhängigkeitskampf der Italiener, namentlich
wenn Frankreich auf jeden directen Gewinn verzichtet. Partei für Oestreich zu
nehmen. Nußland steht entschieden auf Seiten Frankreichs und Sardiniens,
und so bleibt nur noch Preußen übrig, der natürliche Verbündete Oestreichs.
^ sehr sich Frankreich zu allen Zeiten bemüht, durch ein Bündniß mit


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[0101] schließt, liegt ebenso im französischen wie im östreichischen Interesse; es han¬ delt sich nur darum, welche von den beiden Mächten über diesen Staaten- complex die Hegemonie führen soll. Die Bildung eines mächtigen, freien und einheitlichen Staats, zunächst in Ober- und Mittelitalien, um dann für alle cmiservative Elemente Italiens das Centrum zu bilden, ist Frankreich ebenso unbequem als Oestreich, gleichviel ob in Frankreich die Bourbons, die Jakobiner oder die Bonapartes herrschen. Das weiß Oestreich jetzt sehr gut. und daher seine sonst völlig unbegreifliche Gleichmütigkeit dem Unwetter gegenüber, das sich immer näher und drohender von allen Seiten zusammenzieht. Allein es könnte sich doch verrechnet haben. Es liegt in dem Charakter des französischen Kaisers etwas, das sich dem gemeinen Maß entzieht. Na¬ poleon III. wird unter Umständen eine That, die ihm und der französischen Armee Ruhm bringt, ausführen, auch ohne einen unmittelbaren Nutzen davon in haben; er wird ferner, sobald er einen Zweck will, auch mit großer Ent- schiedenheit die angemessenen Mittel wollen. Es kann sein, daß der Ruhm eines siegreichen Feldzugs gegen Oestreich ihm wichtiger ist, als ein unmittel¬ barer Ländergewinn; will er aber in Italien etwas erreichen, so muß er ein¬ sehn, daß dies nur im Bunde mit Sardinien geschehn kann. Der Entschluß würde ihm erleichtert, wenn Sardinien sich zur Abtretung von Savoyen ver- stände. Mit Recht hebt man an ihm seine Verschlossenheit hervor; aber zugleich versteht er es sehr geschickt, auf die kommenden Ereignisse durch dunkle Ge¬ richte vorzubereiten. Daß im December 1851 ein Staatsstreich bevorstand, war mehre Monate voraus angezeigt; Napoleon selbst stellte es freilich in Abrede, und niemand wollte es glauben. Jetzt hört man von allen Seiten, daß in den Monaten März und Mai ein Feldzug gegen Oestreich vorbereitet wird; der Kaiser sagt bei einer Festlichkeit, wo man es am wenigsten erwar¬ tn sollte, dem östreichischen Botschafter unangenehme Dinge, und läßt es "Ach' sonst an Demonstrationen nicht fehlen. Eine Absicht hat das gewiß, welche, das ist freilich schwer zu bestimmen, aber möglicherweise ist der Zweck, ^ne passende Gelegenheit zu einem Bruch zu finden. Die Entschlüsse des Kai¬ sers werden schnell ins Wert gesetzt und Oestreich hat alle Ursache auf der Hut zu sein. Unter den Großmächten hat es keine, auf dre es mit Be¬ stimmtheit rechnen könnte, auch England nicht, wie das schon die Verhand¬ lungen über die Donaufürstenthümer gezeigt haben. Kein englisches Ministerium wird es wagen, in einem Unabhängigkeitskampf der Italiener, namentlich wenn Frankreich auf jeden directen Gewinn verzichtet. Partei für Oestreich zu nehmen. Nußland steht entschieden auf Seiten Frankreichs und Sardiniens, und so bleibt nur noch Preußen übrig, der natürliche Verbündete Oestreichs. ^ sehr sich Frankreich zu allen Zeiten bemüht, durch ein Bündniß mit 12"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/101>, abgerufen am 24.07.2024.