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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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um einen kleinern sich streiten, und wenn einer seinen Mitbruder verschlungen
hat, sieht er gar nicht aus, als ob er Gewissensbisse darüber empfände. Diese
Thiere fressen auch gern Austern; da sie aber nicht die Kraft besitzen, die
Muschel, welche sich vor dem Angriff des Feindes verschließt, aufzubrechen:
so fassen sie ein Steinchen mit der Schere, schieben es geschickt zwischen die
Thür der Frau Auster, bevor dieselbe zugegangen, und gelangen so ohne
Schwierigkeit ins Haus. Unter den Krabben wäre Wundarzneikunde ein
sehr unnöthiges Studium, denn sie haben eine wunderbare Kraft sich wieder
herzustellen. Wird ihnen ein Bein gequetscht oder nur festgehalten, so brechen sie
es unbedenklich in dem darüber befindlichen Glied -- wie der Tischler einen be¬
schädigten Stuhlsuß -- ab, und in sechs Wochen ist ein neues nachgewachsen.
Ebenso machen sie es mit den Scheren. Ein sonderbarer Gesell ist auch der Ein¬
siedler- oder Bernhardkrebs, ein langgestrecktes Thierchen, etwa drei Zoll groß,
dessen rechte Schere weit ausgebildeter ist als die linke. Um den Hintertheil
seines Körpers, der ohne Panzer ist, zu schützen, sucht der Diogenes -- denn
auch diesen dritten Namen sührt er -- in Schneckenhäusern seine Zuflucht.
Er frißt die Schnecke und nimmt von der angemaßten Wohnung so festen
Besitz, daß er sich lieber zerreißen läßt, als daß er daraus wiche. Eine
glühende Kohle, aus den Wirbel des Schneckenhauses gelegt, vermag ihn allein
zu vertreiben.

Von den Fischen, welche das Meer bei Wanger-Oge hegt, nenne ich
zunächst den Dornhai, einen Vetter des Haifisches, der aber nur drei Fuß
lang wird; den winzigen Sandaal -- so genannt, weil er sich in den Sand
einzugraben pflegt -- ein Thierchen, das die Fischer als Köder zu gebrauchen
Pflegen; die zwei Fuß lange und kaum fingersdicke Meernadel, auf Wanger-
Oge Windspier*) geheißen, und die Meerspinnc, eine Art Tintenfisch, von
dem die Sepia und das weiße Fischbein gewonnen werden. Die trauben-
förmigen Wohnungen der Brut werden oft, eine Faust groß, an den Strand
der Jusel getrieben.

Von eßbaren Fischen erwähne ich den Stör, der eine Länge von acht¬
zehn Fuß und ein Gewicht von zweihundert Pfund erreicht. Er hat den zu¬
gespitzten Kopf eines Windhundes und ist mit fünf Reihen harter Knochen-
schilder versehen. Von dem Maul hängen ihm wurmühnlichc Bartfasern
herab, womit er die kleinern Fische, die ihm zum Fraße dienen: den Hering,
den Schellfisch und die Makrele, ködert. Bekanntlich werden die Eier des
Störs als Kaviar verspeist. Aus seiner Blase, die sehr groß ist, wird die
Hausenblase, das englische Pflaster und der Mündlein gewonnen. Dieses
gwße Thier gewahrt also den mannigfaltigsten Nutzen. Eßbare Fische sind



, *) d, h, Windspcer. Getrocknet und an einem Faden in horizontaler Richtung auf¬
gespannt dreht sich nämlich dieser Fisch nach dem M,lde,*
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um einen kleinern sich streiten, und wenn einer seinen Mitbruder verschlungen
hat, sieht er gar nicht aus, als ob er Gewissensbisse darüber empfände. Diese
Thiere fressen auch gern Austern; da sie aber nicht die Kraft besitzen, die
Muschel, welche sich vor dem Angriff des Feindes verschließt, aufzubrechen:
so fassen sie ein Steinchen mit der Schere, schieben es geschickt zwischen die
Thür der Frau Auster, bevor dieselbe zugegangen, und gelangen so ohne
Schwierigkeit ins Haus. Unter den Krabben wäre Wundarzneikunde ein
sehr unnöthiges Studium, denn sie haben eine wunderbare Kraft sich wieder
herzustellen. Wird ihnen ein Bein gequetscht oder nur festgehalten, so brechen sie
es unbedenklich in dem darüber befindlichen Glied — wie der Tischler einen be¬
schädigten Stuhlsuß — ab, und in sechs Wochen ist ein neues nachgewachsen.
Ebenso machen sie es mit den Scheren. Ein sonderbarer Gesell ist auch der Ein¬
siedler- oder Bernhardkrebs, ein langgestrecktes Thierchen, etwa drei Zoll groß,
dessen rechte Schere weit ausgebildeter ist als die linke. Um den Hintertheil
seines Körpers, der ohne Panzer ist, zu schützen, sucht der Diogenes — denn
auch diesen dritten Namen sührt er — in Schneckenhäusern seine Zuflucht.
Er frißt die Schnecke und nimmt von der angemaßten Wohnung so festen
Besitz, daß er sich lieber zerreißen läßt, als daß er daraus wiche. Eine
glühende Kohle, aus den Wirbel des Schneckenhauses gelegt, vermag ihn allein
zu vertreiben.

Von den Fischen, welche das Meer bei Wanger-Oge hegt, nenne ich
zunächst den Dornhai, einen Vetter des Haifisches, der aber nur drei Fuß
lang wird; den winzigen Sandaal — so genannt, weil er sich in den Sand
einzugraben pflegt — ein Thierchen, das die Fischer als Köder zu gebrauchen
Pflegen; die zwei Fuß lange und kaum fingersdicke Meernadel, auf Wanger-
Oge Windspier*) geheißen, und die Meerspinnc, eine Art Tintenfisch, von
dem die Sepia und das weiße Fischbein gewonnen werden. Die trauben-
förmigen Wohnungen der Brut werden oft, eine Faust groß, an den Strand
der Jusel getrieben.

Von eßbaren Fischen erwähne ich den Stör, der eine Länge von acht¬
zehn Fuß und ein Gewicht von zweihundert Pfund erreicht. Er hat den zu¬
gespitzten Kopf eines Windhundes und ist mit fünf Reihen harter Knochen-
schilder versehen. Von dem Maul hängen ihm wurmühnlichc Bartfasern
herab, womit er die kleinern Fische, die ihm zum Fraße dienen: den Hering,
den Schellfisch und die Makrele, ködert. Bekanntlich werden die Eier des
Störs als Kaviar verspeist. Aus seiner Blase, die sehr groß ist, wird die
Hausenblase, das englische Pflaster und der Mündlein gewonnen. Dieses
gwße Thier gewahrt also den mannigfaltigsten Nutzen. Eßbare Fische sind



, *) d, h, Windspcer. Getrocknet und an einem Faden in horizontaler Richtung auf¬
gespannt dreht sich nämlich dieser Fisch nach dem M,lde,*
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[0071] um einen kleinern sich streiten, und wenn einer seinen Mitbruder verschlungen hat, sieht er gar nicht aus, als ob er Gewissensbisse darüber empfände. Diese Thiere fressen auch gern Austern; da sie aber nicht die Kraft besitzen, die Muschel, welche sich vor dem Angriff des Feindes verschließt, aufzubrechen: so fassen sie ein Steinchen mit der Schere, schieben es geschickt zwischen die Thür der Frau Auster, bevor dieselbe zugegangen, und gelangen so ohne Schwierigkeit ins Haus. Unter den Krabben wäre Wundarzneikunde ein sehr unnöthiges Studium, denn sie haben eine wunderbare Kraft sich wieder herzustellen. Wird ihnen ein Bein gequetscht oder nur festgehalten, so brechen sie es unbedenklich in dem darüber befindlichen Glied — wie der Tischler einen be¬ schädigten Stuhlsuß — ab, und in sechs Wochen ist ein neues nachgewachsen. Ebenso machen sie es mit den Scheren. Ein sonderbarer Gesell ist auch der Ein¬ siedler- oder Bernhardkrebs, ein langgestrecktes Thierchen, etwa drei Zoll groß, dessen rechte Schere weit ausgebildeter ist als die linke. Um den Hintertheil seines Körpers, der ohne Panzer ist, zu schützen, sucht der Diogenes — denn auch diesen dritten Namen sührt er — in Schneckenhäusern seine Zuflucht. Er frißt die Schnecke und nimmt von der angemaßten Wohnung so festen Besitz, daß er sich lieber zerreißen läßt, als daß er daraus wiche. Eine glühende Kohle, aus den Wirbel des Schneckenhauses gelegt, vermag ihn allein zu vertreiben. Von den Fischen, welche das Meer bei Wanger-Oge hegt, nenne ich zunächst den Dornhai, einen Vetter des Haifisches, der aber nur drei Fuß lang wird; den winzigen Sandaal — so genannt, weil er sich in den Sand einzugraben pflegt — ein Thierchen, das die Fischer als Köder zu gebrauchen Pflegen; die zwei Fuß lange und kaum fingersdicke Meernadel, auf Wanger- Oge Windspier*) geheißen, und die Meerspinnc, eine Art Tintenfisch, von dem die Sepia und das weiße Fischbein gewonnen werden. Die trauben- förmigen Wohnungen der Brut werden oft, eine Faust groß, an den Strand der Jusel getrieben. Von eßbaren Fischen erwähne ich den Stör, der eine Länge von acht¬ zehn Fuß und ein Gewicht von zweihundert Pfund erreicht. Er hat den zu¬ gespitzten Kopf eines Windhundes und ist mit fünf Reihen harter Knochen- schilder versehen. Von dem Maul hängen ihm wurmühnlichc Bartfasern herab, womit er die kleinern Fische, die ihm zum Fraße dienen: den Hering, den Schellfisch und die Makrele, ködert. Bekanntlich werden die Eier des Störs als Kaviar verspeist. Aus seiner Blase, die sehr groß ist, wird die Hausenblase, das englische Pflaster und der Mündlein gewonnen. Dieses gwße Thier gewahrt also den mannigfaltigsten Nutzen. Eßbare Fische sind , *) d, h, Windspcer. Getrocknet und an einem Faden in horizontaler Richtung auf¬ gespannt dreht sich nämlich dieser Fisch nach dem M,lde,* 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/71>, abgerufen am 22.07.2024.