Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

weisen hat, wie die südlichen Meere. Leere Schalen, sehnte genannt, liegen
auf dem Watt in solcher Menge, daß ganze Schiffsladungen davon hinweg
gebracht werden, um Kalk daraus zu brennen. So ist z. B. der Kalk, der
in der Stadt Oldenburg beim Bauen verwandt wird, in der Regel aus solchen
Muscheln bereitet. Zur Zeit der Ebbe wird auf der Schillbank, d. h. auf
der Stelle des Watts, wo die Muscheln aufgehäuft liegen, eine Waschung
derselben vermittelst der Schillgabel und des Schillkorbs vorgenommen. Der
Austern hab ich schon oben gedacht; sie werden mit einem Netz, dessen Beutel
und Bügel von Eisen sind, zur Ebbezeit von der Austerbank losgerissen und
gehören, unmittelbar aus dem Meer auf den Tisch gelangend, zu den Lecker¬
bissen der Insel. Auch die Scheidemuschel oder Messerscheide, die sich mit
ihrem kegelförmigen Fuß bei der Annäherung eines Feindes schnell in den
Sand gräbt, und die violette bärtige Miesmuschel, auch Blaubart genannt,
sind eßbar. Die anderthalb Zoll lange Entenmuschel hat ein Gehäuse von
fünf Schalen; man findet sie massenweise an schwimmenden Holzstücken,
Schiffen und andern festen Gegenständen, an welche sie sich mit ihrem langen
häutigen Stiele heftet. Oeffnet das Thier, welches eine Lieblingskost der
wilden Enten ist, die Schalen, so zeigen sich zehn Paar federbuschähnliche
Arme. Strahlenthiere von bekannter Gestalt sind die Seesterne und Seeigel.
Ein drittes Thier dieser Gattung, das hier getroffen wird, ist die Seeanemone,
aus der Familie der Seenesseln. Es verdankt seinen Namen den die Mund¬
öffnung umgebenden Fühlfäden, welche sich bei schönem Wetter blumcnartig
ausbreiten. Uebrigens besitzt dies Geschöpf, das sich rutschend langsam fort¬
bewegt, eine außerordentliche Lebenskraft; es kann, ohne Schaden zu nehmen,
einfrieren und lebt zerschnitten in einzelnen Theilen weiter, indem jedes Stück
ein neues Thier bildet. Wcmger-Oge hat drei Arten von Medusen oder
Quallen. Diese seltsamen Thiere sehen auf den ersten Blick wie ein Haufen
Gallerte aus; betrachtet man aber die zitternde Masse, welche, ans Land ge¬
bracht, schnell dahinstirbt und, so scheint es, in bloßes Wasser zerfließt, auf¬
merksamer: so gewahrt man eine bestimmte Form und zahlreiche Organe; man
hat einen schönen, kunstvollen, wenn gleich sehr hinfälligen Bau vor sich.
Auf einem Spaziergang am Strande sah ich Quallen von der Größe eines
Menschenkopff. kreisrund, oben schwachgewölbt wie eine Käseglocke, unten
etwas ausgehöhlt, durchsichtig wie farbloses Glas, mit bräunlichen, röthlichen
oder himmelblauen Streifen wunderbar gesäumt. Der Rand dieser Medusen
ist mit unzähligen Fühlfäden besetzt, die, so lange das Thier lebt, in bestän¬
diger Bewegung sind und bei der Berührung ein brennendes Jucken erregen,
daher sie den Badenden beschwerlich fallen. Doch wird man erst im Spät¬
sommer von ihnen belästigt. Die größten Quallen, die am Strande der Insel


Grenzboten IV. 1Lo9. 8

weisen hat, wie die südlichen Meere. Leere Schalen, sehnte genannt, liegen
auf dem Watt in solcher Menge, daß ganze Schiffsladungen davon hinweg
gebracht werden, um Kalk daraus zu brennen. So ist z. B. der Kalk, der
in der Stadt Oldenburg beim Bauen verwandt wird, in der Regel aus solchen
Muscheln bereitet. Zur Zeit der Ebbe wird auf der Schillbank, d. h. auf
der Stelle des Watts, wo die Muscheln aufgehäuft liegen, eine Waschung
derselben vermittelst der Schillgabel und des Schillkorbs vorgenommen. Der
Austern hab ich schon oben gedacht; sie werden mit einem Netz, dessen Beutel
und Bügel von Eisen sind, zur Ebbezeit von der Austerbank losgerissen und
gehören, unmittelbar aus dem Meer auf den Tisch gelangend, zu den Lecker¬
bissen der Insel. Auch die Scheidemuschel oder Messerscheide, die sich mit
ihrem kegelförmigen Fuß bei der Annäherung eines Feindes schnell in den
Sand gräbt, und die violette bärtige Miesmuschel, auch Blaubart genannt,
sind eßbar. Die anderthalb Zoll lange Entenmuschel hat ein Gehäuse von
fünf Schalen; man findet sie massenweise an schwimmenden Holzstücken,
Schiffen und andern festen Gegenständen, an welche sie sich mit ihrem langen
häutigen Stiele heftet. Oeffnet das Thier, welches eine Lieblingskost der
wilden Enten ist, die Schalen, so zeigen sich zehn Paar federbuschähnliche
Arme. Strahlenthiere von bekannter Gestalt sind die Seesterne und Seeigel.
Ein drittes Thier dieser Gattung, das hier getroffen wird, ist die Seeanemone,
aus der Familie der Seenesseln. Es verdankt seinen Namen den die Mund¬
öffnung umgebenden Fühlfäden, welche sich bei schönem Wetter blumcnartig
ausbreiten. Uebrigens besitzt dies Geschöpf, das sich rutschend langsam fort¬
bewegt, eine außerordentliche Lebenskraft; es kann, ohne Schaden zu nehmen,
einfrieren und lebt zerschnitten in einzelnen Theilen weiter, indem jedes Stück
ein neues Thier bildet. Wcmger-Oge hat drei Arten von Medusen oder
Quallen. Diese seltsamen Thiere sehen auf den ersten Blick wie ein Haufen
Gallerte aus; betrachtet man aber die zitternde Masse, welche, ans Land ge¬
bracht, schnell dahinstirbt und, so scheint es, in bloßes Wasser zerfließt, auf¬
merksamer: so gewahrt man eine bestimmte Form und zahlreiche Organe; man
hat einen schönen, kunstvollen, wenn gleich sehr hinfälligen Bau vor sich.
Auf einem Spaziergang am Strande sah ich Quallen von der Größe eines
Menschenkopff. kreisrund, oben schwachgewölbt wie eine Käseglocke, unten
etwas ausgehöhlt, durchsichtig wie farbloses Glas, mit bräunlichen, röthlichen
oder himmelblauen Streifen wunderbar gesäumt. Der Rand dieser Medusen
ist mit unzähligen Fühlfäden besetzt, die, so lange das Thier lebt, in bestän¬
diger Bewegung sind und bei der Berührung ein brennendes Jucken erregen,
daher sie den Badenden beschwerlich fallen. Doch wird man erst im Spät¬
sommer von ihnen belästigt. Die größten Quallen, die am Strande der Insel


Grenzboten IV. 1Lo9. 8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0069" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108199"/>
            <p xml:id="ID_229" prev="#ID_228" next="#ID_230"> weisen hat, wie die südlichen Meere.  Leere Schalen, sehnte genannt, liegen<lb/>
auf dem Watt in solcher Menge, daß ganze Schiffsladungen davon hinweg<lb/>
gebracht werden, um Kalk daraus zu brennen.  So ist z. B. der Kalk, der<lb/>
in der Stadt Oldenburg beim Bauen verwandt wird, in der Regel aus solchen<lb/>
Muscheln bereitet.  Zur Zeit der Ebbe wird auf der Schillbank, d. h. auf<lb/>
der Stelle des Watts, wo die Muscheln aufgehäuft liegen, eine Waschung<lb/>
derselben vermittelst der Schillgabel und des Schillkorbs vorgenommen. Der<lb/>
Austern hab ich schon oben gedacht; sie werden mit einem Netz, dessen Beutel<lb/>
und Bügel von Eisen sind, zur Ebbezeit von der Austerbank losgerissen und<lb/>
gehören, unmittelbar aus dem Meer auf den Tisch gelangend, zu den Lecker¬<lb/>
bissen der Insel.  Auch die Scheidemuschel oder Messerscheide, die sich mit<lb/>
ihrem kegelförmigen Fuß bei der Annäherung eines Feindes schnell in den<lb/>
Sand gräbt, und die violette bärtige Miesmuschel, auch Blaubart genannt,<lb/>
sind eßbar.  Die anderthalb Zoll lange Entenmuschel hat ein Gehäuse von<lb/>
fünf Schalen; man findet sie massenweise an schwimmenden Holzstücken,<lb/>
Schiffen und andern festen Gegenständen, an welche sie sich mit ihrem langen<lb/>
häutigen Stiele heftet.  Oeffnet das Thier, welches eine Lieblingskost der<lb/>
wilden Enten ist, die Schalen, so zeigen sich zehn Paar federbuschähnliche<lb/>
Arme.  Strahlenthiere von bekannter Gestalt sind die Seesterne und Seeigel.<lb/>
Ein drittes Thier dieser Gattung, das hier getroffen wird, ist die Seeanemone,<lb/>
aus der Familie der Seenesseln.  Es verdankt seinen Namen den die Mund¬<lb/>
öffnung umgebenden Fühlfäden, welche sich bei schönem Wetter blumcnartig<lb/>
ausbreiten.  Uebrigens besitzt dies Geschöpf, das sich rutschend langsam fort¬<lb/>
bewegt, eine außerordentliche Lebenskraft; es kann, ohne Schaden zu nehmen,<lb/>
einfrieren und lebt zerschnitten in einzelnen Theilen weiter, indem jedes Stück<lb/>
ein neues Thier bildet.  Wcmger-Oge hat drei Arten von Medusen oder<lb/>
Quallen.  Diese seltsamen Thiere sehen auf den ersten Blick wie ein Haufen<lb/>
Gallerte aus; betrachtet man aber die zitternde Masse, welche, ans Land ge¬<lb/>
bracht, schnell dahinstirbt und, so scheint es, in bloßes Wasser zerfließt, auf¬<lb/>
merksamer: so gewahrt man eine bestimmte Form und zahlreiche Organe; man<lb/>
hat einen schönen, kunstvollen, wenn gleich sehr hinfälligen Bau vor sich.<lb/>
Auf einem Spaziergang am Strande sah ich Quallen von der Größe eines<lb/>
Menschenkopff. kreisrund, oben schwachgewölbt wie eine Käseglocke, unten<lb/>
etwas ausgehöhlt, durchsichtig wie farbloses Glas, mit bräunlichen, röthlichen<lb/>
oder himmelblauen Streifen wunderbar gesäumt.  Der Rand dieser Medusen<lb/>
ist mit unzähligen Fühlfäden besetzt, die, so lange das Thier lebt, in bestän¬<lb/>
diger Bewegung sind und bei der Berührung ein brennendes Jucken erregen,<lb/>
daher sie den Badenden beschwerlich fallen.  Doch wird man erst im Spät¬<lb/>
sommer von ihnen belästigt.  Die größten Quallen, die am Strande der Insel</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1Lo9. 8</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0069] weisen hat, wie die südlichen Meere. Leere Schalen, sehnte genannt, liegen auf dem Watt in solcher Menge, daß ganze Schiffsladungen davon hinweg gebracht werden, um Kalk daraus zu brennen. So ist z. B. der Kalk, der in der Stadt Oldenburg beim Bauen verwandt wird, in der Regel aus solchen Muscheln bereitet. Zur Zeit der Ebbe wird auf der Schillbank, d. h. auf der Stelle des Watts, wo die Muscheln aufgehäuft liegen, eine Waschung derselben vermittelst der Schillgabel und des Schillkorbs vorgenommen. Der Austern hab ich schon oben gedacht; sie werden mit einem Netz, dessen Beutel und Bügel von Eisen sind, zur Ebbezeit von der Austerbank losgerissen und gehören, unmittelbar aus dem Meer auf den Tisch gelangend, zu den Lecker¬ bissen der Insel. Auch die Scheidemuschel oder Messerscheide, die sich mit ihrem kegelförmigen Fuß bei der Annäherung eines Feindes schnell in den Sand gräbt, und die violette bärtige Miesmuschel, auch Blaubart genannt, sind eßbar. Die anderthalb Zoll lange Entenmuschel hat ein Gehäuse von fünf Schalen; man findet sie massenweise an schwimmenden Holzstücken, Schiffen und andern festen Gegenständen, an welche sie sich mit ihrem langen häutigen Stiele heftet. Oeffnet das Thier, welches eine Lieblingskost der wilden Enten ist, die Schalen, so zeigen sich zehn Paar federbuschähnliche Arme. Strahlenthiere von bekannter Gestalt sind die Seesterne und Seeigel. Ein drittes Thier dieser Gattung, das hier getroffen wird, ist die Seeanemone, aus der Familie der Seenesseln. Es verdankt seinen Namen den die Mund¬ öffnung umgebenden Fühlfäden, welche sich bei schönem Wetter blumcnartig ausbreiten. Uebrigens besitzt dies Geschöpf, das sich rutschend langsam fort¬ bewegt, eine außerordentliche Lebenskraft; es kann, ohne Schaden zu nehmen, einfrieren und lebt zerschnitten in einzelnen Theilen weiter, indem jedes Stück ein neues Thier bildet. Wcmger-Oge hat drei Arten von Medusen oder Quallen. Diese seltsamen Thiere sehen auf den ersten Blick wie ein Haufen Gallerte aus; betrachtet man aber die zitternde Masse, welche, ans Land ge¬ bracht, schnell dahinstirbt und, so scheint es, in bloßes Wasser zerfließt, auf¬ merksamer: so gewahrt man eine bestimmte Form und zahlreiche Organe; man hat einen schönen, kunstvollen, wenn gleich sehr hinfälligen Bau vor sich. Auf einem Spaziergang am Strande sah ich Quallen von der Größe eines Menschenkopff. kreisrund, oben schwachgewölbt wie eine Käseglocke, unten etwas ausgehöhlt, durchsichtig wie farbloses Glas, mit bräunlichen, röthlichen oder himmelblauen Streifen wunderbar gesäumt. Der Rand dieser Medusen ist mit unzähligen Fühlfäden besetzt, die, so lange das Thier lebt, in bestän¬ diger Bewegung sind und bei der Berührung ein brennendes Jucken erregen, daher sie den Badenden beschwerlich fallen. Doch wird man erst im Spät¬ sommer von ihnen belästigt. Die größten Quallen, die am Strande der Insel Grenzboten IV. 1Lo9. 8

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/69
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/69>, abgerufen am 22.07.2024.