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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Eindruck in enim peinlichen verwandelt. Denn es handelt sich um eine ganze
Klasse von Büchern, die an Umfang immer mehr gewinnt, und gegen die
endlich ein ernstes Wort gesagt werden muß. Indem der Verfasser sein Drama
"dem deutschen Volk, namentlich der deutschen Jugend" gewidmet, hat er selbst
die Aufmerksamkeit herausgefordert, und möge sich nicht wundern, wenn er
als der passendste Vertreter dieser Klasse hervorgehoben wird.

Als man vor zehn Jahren Goethes hundertjährigen Geburtstag feierte,
schrieb Gutzkow ein Fcststück, welches wir aus denselben Gründen zergliedern
zu müssen glaubten; aber gegen dies neue Werk gehalten, ist,das Flittergold
der Gutzkowschen Muse vollwichtiges Metall.

Wie das Liternturdrama überhaupt hat aufkommen können, ist begreiflich
genug. Wir sind in der Periode unserer classischen Dichtkunst fast mehr zu
Hause als in unserer eigenen; die Gestalten, das Costüm sind uns gegen¬
wärtig, wir verstehen die Verse unserer Dichter herzusagen und, wissen aus
ihren Briefen auch, wie sie sich in Prosa ausdrückten. Wenn also die Gelegen¬
heit eintritt, das Andenken irgend eines jener Heroen feierlich zu begehen, so
ist es uus ganz recht, wenn die bekannten Gestalten und Costüme uns sinnlich
vors Auge geführt werden. Auch wird man in den Ansprüchen an ein sol¬
ches Stück sich gern bescheiden, da ein echtes Kunstwerk doch unmöglich da¬
raus hervorgehn kann. Am besten ist es noch, wenn der Dichter die Hand¬
lung möglichst einfach gibt, sich ans Factische 'hält und, anstatt den Helden
hervortreten zu lassen, mehr den Eindruck schildert, den derselbe auf die an¬
dern macht. Versucht der moderne Dichter den alten Dichter als solchen zu
zeichnen, d. h. ihn durch selbsterfundene geistreiche und tiefe Gedanken als den,
der er ist, zu legitimiren, so wagt er sich auf ein Gebiet, dem er nicht ge¬
wachsen ist: denn er müßte alsdann der sein, den er schildert.

Das Gelindeste indeß, was man von einem solchen Festspiel erwarten
kann, ist, daß es wenigstens äußerlich sich an die Umrisse der wirklichen Be¬
gebenheit hält. Wird uns das Leben des Dichters im Allgemeinen treu vor¬
geführt, so können wir es als eine Reihe lebender Bilder betrachten und
werden es mit der Feinheit des Dialogs nicht genau nehmen. Sehen wir
nun wie der Verfasser der Geschichte seines Helden gerecht geworden ist.

Im vierten Act promenirt Schiller in der Gegend von Rudolstadt. Eine
ihm unbekannte junge Dame, die in einem Buche liest, gesellt sich zu ihm. Nach
den ersten Worten bemerkt Schiller: "Ihre Unbefangenheit thut mir wohl."
Die junge Dame ist in der That unbefangen genug : als zweite Guru erzählt
sie dem fremden Herrn ohne Umstände von den Albernheiten ihrer lieben
Mutter. Doch entspricht ihre ästhetische Bildung dem Fortschritt unserer Zeit-
Das Buch in dem sie liest, ist die Thalia, und das giebt ihr Gelegenheit
Schiller zu kritisiren. "Er steht über seiner Zeit; ihm genügt weder der


Eindruck in enim peinlichen verwandelt. Denn es handelt sich um eine ganze
Klasse von Büchern, die an Umfang immer mehr gewinnt, und gegen die
endlich ein ernstes Wort gesagt werden muß. Indem der Verfasser sein Drama
„dem deutschen Volk, namentlich der deutschen Jugend" gewidmet, hat er selbst
die Aufmerksamkeit herausgefordert, und möge sich nicht wundern, wenn er
als der passendste Vertreter dieser Klasse hervorgehoben wird.

Als man vor zehn Jahren Goethes hundertjährigen Geburtstag feierte,
schrieb Gutzkow ein Fcststück, welches wir aus denselben Gründen zergliedern
zu müssen glaubten; aber gegen dies neue Werk gehalten, ist,das Flittergold
der Gutzkowschen Muse vollwichtiges Metall.

Wie das Liternturdrama überhaupt hat aufkommen können, ist begreiflich
genug. Wir sind in der Periode unserer classischen Dichtkunst fast mehr zu
Hause als in unserer eigenen; die Gestalten, das Costüm sind uns gegen¬
wärtig, wir verstehen die Verse unserer Dichter herzusagen und, wissen aus
ihren Briefen auch, wie sie sich in Prosa ausdrückten. Wenn also die Gelegen¬
heit eintritt, das Andenken irgend eines jener Heroen feierlich zu begehen, so
ist es uus ganz recht, wenn die bekannten Gestalten und Costüme uns sinnlich
vors Auge geführt werden. Auch wird man in den Ansprüchen an ein sol¬
ches Stück sich gern bescheiden, da ein echtes Kunstwerk doch unmöglich da¬
raus hervorgehn kann. Am besten ist es noch, wenn der Dichter die Hand¬
lung möglichst einfach gibt, sich ans Factische 'hält und, anstatt den Helden
hervortreten zu lassen, mehr den Eindruck schildert, den derselbe auf die an¬
dern macht. Versucht der moderne Dichter den alten Dichter als solchen zu
zeichnen, d. h. ihn durch selbsterfundene geistreiche und tiefe Gedanken als den,
der er ist, zu legitimiren, so wagt er sich auf ein Gebiet, dem er nicht ge¬
wachsen ist: denn er müßte alsdann der sein, den er schildert.

Das Gelindeste indeß, was man von einem solchen Festspiel erwarten
kann, ist, daß es wenigstens äußerlich sich an die Umrisse der wirklichen Be¬
gebenheit hält. Wird uns das Leben des Dichters im Allgemeinen treu vor¬
geführt, so können wir es als eine Reihe lebender Bilder betrachten und
werden es mit der Feinheit des Dialogs nicht genau nehmen. Sehen wir
nun wie der Verfasser der Geschichte seines Helden gerecht geworden ist.

Im vierten Act promenirt Schiller in der Gegend von Rudolstadt. Eine
ihm unbekannte junge Dame, die in einem Buche liest, gesellt sich zu ihm. Nach
den ersten Worten bemerkt Schiller: „Ihre Unbefangenheit thut mir wohl."
Die junge Dame ist in der That unbefangen genug : als zweite Guru erzählt
sie dem fremden Herrn ohne Umstände von den Albernheiten ihrer lieben
Mutter. Doch entspricht ihre ästhetische Bildung dem Fortschritt unserer Zeit-
Das Buch in dem sie liest, ist die Thalia, und das giebt ihr Gelegenheit
Schiller zu kritisiren. „Er steht über seiner Zeit; ihm genügt weder der


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[0366] Eindruck in enim peinlichen verwandelt. Denn es handelt sich um eine ganze Klasse von Büchern, die an Umfang immer mehr gewinnt, und gegen die endlich ein ernstes Wort gesagt werden muß. Indem der Verfasser sein Drama „dem deutschen Volk, namentlich der deutschen Jugend" gewidmet, hat er selbst die Aufmerksamkeit herausgefordert, und möge sich nicht wundern, wenn er als der passendste Vertreter dieser Klasse hervorgehoben wird. Als man vor zehn Jahren Goethes hundertjährigen Geburtstag feierte, schrieb Gutzkow ein Fcststück, welches wir aus denselben Gründen zergliedern zu müssen glaubten; aber gegen dies neue Werk gehalten, ist,das Flittergold der Gutzkowschen Muse vollwichtiges Metall. Wie das Liternturdrama überhaupt hat aufkommen können, ist begreiflich genug. Wir sind in der Periode unserer classischen Dichtkunst fast mehr zu Hause als in unserer eigenen; die Gestalten, das Costüm sind uns gegen¬ wärtig, wir verstehen die Verse unserer Dichter herzusagen und, wissen aus ihren Briefen auch, wie sie sich in Prosa ausdrückten. Wenn also die Gelegen¬ heit eintritt, das Andenken irgend eines jener Heroen feierlich zu begehen, so ist es uus ganz recht, wenn die bekannten Gestalten und Costüme uns sinnlich vors Auge geführt werden. Auch wird man in den Ansprüchen an ein sol¬ ches Stück sich gern bescheiden, da ein echtes Kunstwerk doch unmöglich da¬ raus hervorgehn kann. Am besten ist es noch, wenn der Dichter die Hand¬ lung möglichst einfach gibt, sich ans Factische 'hält und, anstatt den Helden hervortreten zu lassen, mehr den Eindruck schildert, den derselbe auf die an¬ dern macht. Versucht der moderne Dichter den alten Dichter als solchen zu zeichnen, d. h. ihn durch selbsterfundene geistreiche und tiefe Gedanken als den, der er ist, zu legitimiren, so wagt er sich auf ein Gebiet, dem er nicht ge¬ wachsen ist: denn er müßte alsdann der sein, den er schildert. Das Gelindeste indeß, was man von einem solchen Festspiel erwarten kann, ist, daß es wenigstens äußerlich sich an die Umrisse der wirklichen Be¬ gebenheit hält. Wird uns das Leben des Dichters im Allgemeinen treu vor¬ geführt, so können wir es als eine Reihe lebender Bilder betrachten und werden es mit der Feinheit des Dialogs nicht genau nehmen. Sehen wir nun wie der Verfasser der Geschichte seines Helden gerecht geworden ist. Im vierten Act promenirt Schiller in der Gegend von Rudolstadt. Eine ihm unbekannte junge Dame, die in einem Buche liest, gesellt sich zu ihm. Nach den ersten Worten bemerkt Schiller: „Ihre Unbefangenheit thut mir wohl." Die junge Dame ist in der That unbefangen genug : als zweite Guru erzählt sie dem fremden Herrn ohne Umstände von den Albernheiten ihrer lieben Mutter. Doch entspricht ihre ästhetische Bildung dem Fortschritt unserer Zeit- Das Buch in dem sie liest, ist die Thalia, und das giebt ihr Gelegenheit Schiller zu kritisiren. „Er steht über seiner Zeit; ihm genügt weder der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/366>, abgerufen am 24.08.2024.