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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Protestanten künftig Ingenieure, Architekten, Mediciner u. s. w. werden
können.

Kurz dmauf kam der König ganz von den Vorurtheilen zurück, welche
man ihm bislang gegen die Bewohner der Thäler einzuflößen bemüht ge¬
wesen war, und erlaubte ihnen, ihren Gottesdienst wieder in der im I. 1807
erbauten und 1814 geschlossenen Kirche zu Se. Jean zu halten.

Eine 1816 angestellte Volkszählung in den Thälern ergab, daß in den¬
selben 10,"75 Protestanten und 4075 Katholiken lebten.

An den politischen Ereignissen des Jahres 1821, welche die Abdankung
Victor Emanuels des Vierten zu Gunsten seines Bruders Karl Felix herbei¬
führten, nahmen die Waldenser nicht Theil. Sie sandten an den neuen Kö¬
nig indeß eine Deputation, die aber nicht zur Audienz gelangte. Karl Felix
sprach: "Man sage ihnen, daß ihnen weiter nichts fehlt, als daß sie nicht
katholisch sind!"

So konnten die Unterdrückungsmaßregeln gegen die Protestanten, die nun
erfolgten, nicht Wunder nehmen. Die in Pignerol ansässigen Waldenser em¬
pfingen den Befehl, das Land binnen vierundzwanzig Stunden zu verlassen,
und nur auf Verwendung Preußens und Englands wurde ihnen der fer¬
nere Ausenthalt gestattet. Jedoch wurde ihnen nicht erlaubt, in Turin eine
Schule zu errichten, und wenn ein Waldenser außerhalb der Thäler gestorben
war. mußten seine Erben fünfhundert Franken bezahlen, um seinen Leichnam
der Schmach eines unehrlichen Begräbnisses zu entziehen.

Im I. 1828 empfingen die Notare der Provinzen Saluzzo und Pignerol
eine vertrauliche Mittheilung, durch welche es ihnen untersagt wurde, irgend
einen Act vorzunehmen, durch welchen ein Waldenser ein Eigenthum außer¬
halb der alten Grenzen erwerbe. Auch die Mischehen und die Ehen zwischen
solchen, welche in dem von der römischen Kirche (was ging die Waldenser
diese an?) verbotenen Grade verwandt waren, wurden aufs neue streng unter¬
sagt; kurz der Papismus gewann wieder die Obergewalt und die Vergangen--
heit hatte für den Augenblick die Neuzeit völlig zurückgedrängt.

Im Jahre 1833 verbot man bei zwei- bis fünfjähriger Gcfüngnißstrafe
das Einbringen von Büchern u. s. w., welche gegen die Principien der ka¬
tholischen Religion, der Moral oder des monarchischen Princips verstießen.
(Also durften die Protestanten auch keine für sie geschriebenen Religions- und
Unterrichtsbücher mehr von auswärts einführen und im Lande durften keine
gedruckt werden.) Außerdem empfing der Statthalter von Pignerol eine ge¬
heime Instruction, die freien Tendenzen der Thalbewohner zu überwachen.

Dieser Statthalter war aber der bekannte Schriftsteller. Alberto Notta,
welchem der König von Preußen für die humane Behandlung der Waldenser
den rothen Adlerorden ertheilte, und dieser Mann leistete der Negierung durch


Grenzboten IV. 1L59. 2

Protestanten künftig Ingenieure, Architekten, Mediciner u. s. w. werden
können.

Kurz dmauf kam der König ganz von den Vorurtheilen zurück, welche
man ihm bislang gegen die Bewohner der Thäler einzuflößen bemüht ge¬
wesen war, und erlaubte ihnen, ihren Gottesdienst wieder in der im I. 1807
erbauten und 1814 geschlossenen Kirche zu Se. Jean zu halten.

Eine 1816 angestellte Volkszählung in den Thälern ergab, daß in den¬
selben 10,»75 Protestanten und 4075 Katholiken lebten.

An den politischen Ereignissen des Jahres 1821, welche die Abdankung
Victor Emanuels des Vierten zu Gunsten seines Bruders Karl Felix herbei¬
führten, nahmen die Waldenser nicht Theil. Sie sandten an den neuen Kö¬
nig indeß eine Deputation, die aber nicht zur Audienz gelangte. Karl Felix
sprach: „Man sage ihnen, daß ihnen weiter nichts fehlt, als daß sie nicht
katholisch sind!"

So konnten die Unterdrückungsmaßregeln gegen die Protestanten, die nun
erfolgten, nicht Wunder nehmen. Die in Pignerol ansässigen Waldenser em¬
pfingen den Befehl, das Land binnen vierundzwanzig Stunden zu verlassen,
und nur auf Verwendung Preußens und Englands wurde ihnen der fer¬
nere Ausenthalt gestattet. Jedoch wurde ihnen nicht erlaubt, in Turin eine
Schule zu errichten, und wenn ein Waldenser außerhalb der Thäler gestorben
war. mußten seine Erben fünfhundert Franken bezahlen, um seinen Leichnam
der Schmach eines unehrlichen Begräbnisses zu entziehen.

Im I. 1828 empfingen die Notare der Provinzen Saluzzo und Pignerol
eine vertrauliche Mittheilung, durch welche es ihnen untersagt wurde, irgend
einen Act vorzunehmen, durch welchen ein Waldenser ein Eigenthum außer¬
halb der alten Grenzen erwerbe. Auch die Mischehen und die Ehen zwischen
solchen, welche in dem von der römischen Kirche (was ging die Waldenser
diese an?) verbotenen Grade verwandt waren, wurden aufs neue streng unter¬
sagt; kurz der Papismus gewann wieder die Obergewalt und die Vergangen--
heit hatte für den Augenblick die Neuzeit völlig zurückgedrängt.

Im Jahre 1833 verbot man bei zwei- bis fünfjähriger Gcfüngnißstrafe
das Einbringen von Büchern u. s. w., welche gegen die Principien der ka¬
tholischen Religion, der Moral oder des monarchischen Princips verstießen.
(Also durften die Protestanten auch keine für sie geschriebenen Religions- und
Unterrichtsbücher mehr von auswärts einführen und im Lande durften keine
gedruckt werden.) Außerdem empfing der Statthalter von Pignerol eine ge¬
heime Instruction, die freien Tendenzen der Thalbewohner zu überwachen.

Dieser Statthalter war aber der bekannte Schriftsteller. Alberto Notta,
welchem der König von Preußen für die humane Behandlung der Waldenser
den rothen Adlerorden ertheilte, und dieser Mann leistete der Negierung durch


Grenzboten IV. 1L59. 2
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[0021] Protestanten künftig Ingenieure, Architekten, Mediciner u. s. w. werden können. Kurz dmauf kam der König ganz von den Vorurtheilen zurück, welche man ihm bislang gegen die Bewohner der Thäler einzuflößen bemüht ge¬ wesen war, und erlaubte ihnen, ihren Gottesdienst wieder in der im I. 1807 erbauten und 1814 geschlossenen Kirche zu Se. Jean zu halten. Eine 1816 angestellte Volkszählung in den Thälern ergab, daß in den¬ selben 10,»75 Protestanten und 4075 Katholiken lebten. An den politischen Ereignissen des Jahres 1821, welche die Abdankung Victor Emanuels des Vierten zu Gunsten seines Bruders Karl Felix herbei¬ führten, nahmen die Waldenser nicht Theil. Sie sandten an den neuen Kö¬ nig indeß eine Deputation, die aber nicht zur Audienz gelangte. Karl Felix sprach: „Man sage ihnen, daß ihnen weiter nichts fehlt, als daß sie nicht katholisch sind!" So konnten die Unterdrückungsmaßregeln gegen die Protestanten, die nun erfolgten, nicht Wunder nehmen. Die in Pignerol ansässigen Waldenser em¬ pfingen den Befehl, das Land binnen vierundzwanzig Stunden zu verlassen, und nur auf Verwendung Preußens und Englands wurde ihnen der fer¬ nere Ausenthalt gestattet. Jedoch wurde ihnen nicht erlaubt, in Turin eine Schule zu errichten, und wenn ein Waldenser außerhalb der Thäler gestorben war. mußten seine Erben fünfhundert Franken bezahlen, um seinen Leichnam der Schmach eines unehrlichen Begräbnisses zu entziehen. Im I. 1828 empfingen die Notare der Provinzen Saluzzo und Pignerol eine vertrauliche Mittheilung, durch welche es ihnen untersagt wurde, irgend einen Act vorzunehmen, durch welchen ein Waldenser ein Eigenthum außer¬ halb der alten Grenzen erwerbe. Auch die Mischehen und die Ehen zwischen solchen, welche in dem von der römischen Kirche (was ging die Waldenser diese an?) verbotenen Grade verwandt waren, wurden aufs neue streng unter¬ sagt; kurz der Papismus gewann wieder die Obergewalt und die Vergangen-- heit hatte für den Augenblick die Neuzeit völlig zurückgedrängt. Im Jahre 1833 verbot man bei zwei- bis fünfjähriger Gcfüngnißstrafe das Einbringen von Büchern u. s. w., welche gegen die Principien der ka¬ tholischen Religion, der Moral oder des monarchischen Princips verstießen. (Also durften die Protestanten auch keine für sie geschriebenen Religions- und Unterrichtsbücher mehr von auswärts einführen und im Lande durften keine gedruckt werden.) Außerdem empfing der Statthalter von Pignerol eine ge¬ heime Instruction, die freien Tendenzen der Thalbewohner zu überwachen. Dieser Statthalter war aber der bekannte Schriftsteller. Alberto Notta, welchem der König von Preußen für die humane Behandlung der Waldenser den rothen Adlerorden ertheilte, und dieser Mann leistete der Negierung durch Grenzboten IV. 1L59. 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/21>, abgerufen am 29.06.2024.