Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

lien ein kostspieliger, blutiger und doch gewinnloser Krieg nicht populär sein,
und mächtiger als alle liberalen Sympathien waren die Antipathien der kle¬
rikalen Partei, welche Italien in seiner gegenwärtigen Läge als ihren verletz¬
lichsten Punkt betrachtet. Die größte Schwierigkeit aber blieb, den Krieg zu
localisiren und Europa der Niederlage Oestreichs, auf die es vol allem an¬
kam, ruhig zusehen zu lassen. Es lag keine Verletzung des Völkerrechts vor,
wie 1853 der Einmarsch der Russen in die Donaufürstenthümer, an die sich
eine Vertheidigung des Gleichgewichts hätte knüpfen lassen, die Aufgabe war
also zunächst, eine Bewegung hervorzurufen,!, welche Oestreich verleitete, sich for
nett ins Unrecht zu setzen. Man weiß, wie verhängnißvoll dies gelang; das-
Ultimatum befreite den Kaiser aus der peinlichsten Lage, der officielle Vor¬
wand zum Krieg war gefunden, die Proclamation vom 3. Mai ward er¬
lassen, die Befreiung Italiens verkündigt, nacheinander schlossen sich Tos-
cana, Parma, Modena und die Legationen der Bewegung an, siegreich dran¬
gen die Verbündeten bis zum Mincio vor. )!""'

In welcher Lage befand sich Napoleon nach der Schlacht von Solferino?
Er hatte die Oestreicher geschlagen, aber mit großen Opfern und in einer
Weise, daß eine Niederlage für ihn keineswegs in das Gebiet der Unmög¬
lichkeiten gehörte. Sein Heer hatte stark von Krankheiten gelitten, in der
heißesten Jahreszeit sollte es eine Belagerung in den Sümpfen Mantuas be¬
ginnen, dazu mußten nothwendig noch Truppen aus Frankreich gezogen wer¬
den und der Essectivbestand der Rheinarmee selbst war nur 90,000 Mann.
Es hätte also eine starke Aushebung stattfinden müssen, welche gr"ße Unzu¬
friedenheit erregt haben würde. In demselben Augenblick hatte Preußen seine
Mobilmachung vollendet, forderte den Oberbefehl über ein Observations-
corps im Westen und der Kaiser konnte sich nicht darüber täuschen, daß der
Fortgang des Krieges die deutschen Heere unvermeidlich gegen ihn gewandt
hätte; dem doppelten Kampf in Italien und am Rhein war er nicht ge¬
wachsen, die Nothwendigkeit dieses doppelten Krieges und das Unvermögen
ihn aufzunehmen hat er selbst in seiner Rede und im Moniteurartikel vom
9. September offen zugegeben. Die ungarischen Revolutionäre drängten und
forderten Erfüllung der gegebenen Zusagen; ließ Napoleon ihnen freies Spiel,
so konnte Oestreich in Stücke gehen, aber die losgelassenen Wasser konnten
auch den Mann des Staatsstreiches mit wegschwemmen. Endlich steigerten sich
die Schwierigkeiten mit Rom täglich, die französischen Waffen mußten dort
beschützen, was sie wenige Meilen nördlich vernichten halfen. Wie wenn sich
die Ereignisse von Perugia in Rom wiederholten, sollte der General Goyos>
die Rolle des Obersten Schmidt spielen? Napoleons scharfer Blick übersah
alles dies vollkommen, nur ein plötzlicher Friede konnte aus diesem Labyrinth
führen, die Schwierigkeit war, den Kaiser von Oestreich dazu zu vermögen.


lien ein kostspieliger, blutiger und doch gewinnloser Krieg nicht populär sein,
und mächtiger als alle liberalen Sympathien waren die Antipathien der kle¬
rikalen Partei, welche Italien in seiner gegenwärtigen Läge als ihren verletz¬
lichsten Punkt betrachtet. Die größte Schwierigkeit aber blieb, den Krieg zu
localisiren und Europa der Niederlage Oestreichs, auf die es vol allem an¬
kam, ruhig zusehen zu lassen. Es lag keine Verletzung des Völkerrechts vor,
wie 1853 der Einmarsch der Russen in die Donaufürstenthümer, an die sich
eine Vertheidigung des Gleichgewichts hätte knüpfen lassen, die Aufgabe war
also zunächst, eine Bewegung hervorzurufen,!, welche Oestreich verleitete, sich for
nett ins Unrecht zu setzen. Man weiß, wie verhängnißvoll dies gelang; das-
Ultimatum befreite den Kaiser aus der peinlichsten Lage, der officielle Vor¬
wand zum Krieg war gefunden, die Proclamation vom 3. Mai ward er¬
lassen, die Befreiung Italiens verkündigt, nacheinander schlossen sich Tos-
cana, Parma, Modena und die Legationen der Bewegung an, siegreich dran¬
gen die Verbündeten bis zum Mincio vor. )!""'

In welcher Lage befand sich Napoleon nach der Schlacht von Solferino?
Er hatte die Oestreicher geschlagen, aber mit großen Opfern und in einer
Weise, daß eine Niederlage für ihn keineswegs in das Gebiet der Unmög¬
lichkeiten gehörte. Sein Heer hatte stark von Krankheiten gelitten, in der
heißesten Jahreszeit sollte es eine Belagerung in den Sümpfen Mantuas be¬
ginnen, dazu mußten nothwendig noch Truppen aus Frankreich gezogen wer¬
den und der Essectivbestand der Rheinarmee selbst war nur 90,000 Mann.
Es hätte also eine starke Aushebung stattfinden müssen, welche gr»ße Unzu¬
friedenheit erregt haben würde. In demselben Augenblick hatte Preußen seine
Mobilmachung vollendet, forderte den Oberbefehl über ein Observations-
corps im Westen und der Kaiser konnte sich nicht darüber täuschen, daß der
Fortgang des Krieges die deutschen Heere unvermeidlich gegen ihn gewandt
hätte; dem doppelten Kampf in Italien und am Rhein war er nicht ge¬
wachsen, die Nothwendigkeit dieses doppelten Krieges und das Unvermögen
ihn aufzunehmen hat er selbst in seiner Rede und im Moniteurartikel vom
9. September offen zugegeben. Die ungarischen Revolutionäre drängten und
forderten Erfüllung der gegebenen Zusagen; ließ Napoleon ihnen freies Spiel,
so konnte Oestreich in Stücke gehen, aber die losgelassenen Wasser konnten
auch den Mann des Staatsstreiches mit wegschwemmen. Endlich steigerten sich
die Schwierigkeiten mit Rom täglich, die französischen Waffen mußten dort
beschützen, was sie wenige Meilen nördlich vernichten halfen. Wie wenn sich
die Ereignisse von Perugia in Rom wiederholten, sollte der General Goyos>
die Rolle des Obersten Schmidt spielen? Napoleons scharfer Blick übersah
alles dies vollkommen, nur ein plötzlicher Friede konnte aus diesem Labyrinth
führen, die Schwierigkeit war, den Kaiser von Oestreich dazu zu vermögen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0152" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108282"/>
          <p xml:id="ID_552" prev="#ID_551"> lien ein kostspieliger, blutiger und doch gewinnloser Krieg nicht populär sein,<lb/>
und mächtiger als alle liberalen Sympathien waren die Antipathien der kle¬<lb/>
rikalen Partei, welche Italien in seiner gegenwärtigen Läge als ihren verletz¬<lb/>
lichsten Punkt betrachtet. Die größte Schwierigkeit aber blieb, den Krieg zu<lb/>
localisiren und Europa der Niederlage Oestreichs, auf die es vol allem an¬<lb/>
kam, ruhig zusehen zu lassen. Es lag keine Verletzung des Völkerrechts vor,<lb/>
wie 1853 der Einmarsch der Russen in die Donaufürstenthümer, an die sich<lb/>
eine Vertheidigung des Gleichgewichts hätte knüpfen lassen, die Aufgabe war<lb/>
also zunächst, eine Bewegung hervorzurufen,!, welche Oestreich verleitete, sich for<lb/>
nett ins Unrecht zu setzen. Man weiß, wie verhängnißvoll dies gelang; das-<lb/>
Ultimatum befreite den Kaiser aus der peinlichsten Lage, der officielle Vor¬<lb/>
wand zum Krieg war gefunden, die Proclamation vom 3. Mai ward er¬<lb/>
lassen, die Befreiung Italiens verkündigt, nacheinander schlossen sich Tos-<lb/>
cana, Parma, Modena und die Legationen der Bewegung an, siegreich dran¬<lb/>
gen die Verbündeten bis zum Mincio vor. )!""'</p><lb/>
          <p xml:id="ID_553" next="#ID_554"> In welcher Lage befand sich Napoleon nach der Schlacht von Solferino?<lb/>
Er hatte die Oestreicher geschlagen, aber mit großen Opfern und in einer<lb/>
Weise, daß eine Niederlage für ihn keineswegs in das Gebiet der Unmög¬<lb/>
lichkeiten gehörte. Sein Heer hatte stark von Krankheiten gelitten, in der<lb/>
heißesten Jahreszeit sollte es eine Belagerung in den Sümpfen Mantuas be¬<lb/>
ginnen, dazu mußten nothwendig noch Truppen aus Frankreich gezogen wer¬<lb/>
den und der Essectivbestand der Rheinarmee selbst war nur 90,000 Mann.<lb/>
Es hätte also eine starke Aushebung stattfinden müssen, welche gr»ße Unzu¬<lb/>
friedenheit erregt haben würde. In demselben Augenblick hatte Preußen seine<lb/>
Mobilmachung vollendet, forderte den Oberbefehl über ein Observations-<lb/>
corps im Westen und der Kaiser konnte sich nicht darüber täuschen, daß der<lb/>
Fortgang des Krieges die deutschen Heere unvermeidlich gegen ihn gewandt<lb/>
hätte; dem doppelten Kampf in Italien und am Rhein war er nicht ge¬<lb/>
wachsen, die Nothwendigkeit dieses doppelten Krieges und das Unvermögen<lb/>
ihn aufzunehmen hat er selbst in seiner Rede und im Moniteurartikel vom<lb/>
9. September offen zugegeben. Die ungarischen Revolutionäre drängten und<lb/>
forderten Erfüllung der gegebenen Zusagen; ließ Napoleon ihnen freies Spiel,<lb/>
so konnte Oestreich in Stücke gehen, aber die losgelassenen Wasser konnten<lb/>
auch den Mann des Staatsstreiches mit wegschwemmen. Endlich steigerten sich<lb/>
die Schwierigkeiten mit Rom täglich, die französischen Waffen mußten dort<lb/>
beschützen, was sie wenige Meilen nördlich vernichten halfen. Wie wenn sich<lb/>
die Ereignisse von Perugia in Rom wiederholten, sollte der General Goyos&gt;<lb/>
die Rolle des Obersten Schmidt spielen? Napoleons scharfer Blick übersah<lb/>
alles dies vollkommen, nur ein plötzlicher Friede konnte aus diesem Labyrinth<lb/>
führen, die Schwierigkeit war, den Kaiser von Oestreich dazu zu vermögen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0152] lien ein kostspieliger, blutiger und doch gewinnloser Krieg nicht populär sein, und mächtiger als alle liberalen Sympathien waren die Antipathien der kle¬ rikalen Partei, welche Italien in seiner gegenwärtigen Läge als ihren verletz¬ lichsten Punkt betrachtet. Die größte Schwierigkeit aber blieb, den Krieg zu localisiren und Europa der Niederlage Oestreichs, auf die es vol allem an¬ kam, ruhig zusehen zu lassen. Es lag keine Verletzung des Völkerrechts vor, wie 1853 der Einmarsch der Russen in die Donaufürstenthümer, an die sich eine Vertheidigung des Gleichgewichts hätte knüpfen lassen, die Aufgabe war also zunächst, eine Bewegung hervorzurufen,!, welche Oestreich verleitete, sich for nett ins Unrecht zu setzen. Man weiß, wie verhängnißvoll dies gelang; das- Ultimatum befreite den Kaiser aus der peinlichsten Lage, der officielle Vor¬ wand zum Krieg war gefunden, die Proclamation vom 3. Mai ward er¬ lassen, die Befreiung Italiens verkündigt, nacheinander schlossen sich Tos- cana, Parma, Modena und die Legationen der Bewegung an, siegreich dran¬ gen die Verbündeten bis zum Mincio vor. )!""' In welcher Lage befand sich Napoleon nach der Schlacht von Solferino? Er hatte die Oestreicher geschlagen, aber mit großen Opfern und in einer Weise, daß eine Niederlage für ihn keineswegs in das Gebiet der Unmög¬ lichkeiten gehörte. Sein Heer hatte stark von Krankheiten gelitten, in der heißesten Jahreszeit sollte es eine Belagerung in den Sümpfen Mantuas be¬ ginnen, dazu mußten nothwendig noch Truppen aus Frankreich gezogen wer¬ den und der Essectivbestand der Rheinarmee selbst war nur 90,000 Mann. Es hätte also eine starke Aushebung stattfinden müssen, welche gr»ße Unzu¬ friedenheit erregt haben würde. In demselben Augenblick hatte Preußen seine Mobilmachung vollendet, forderte den Oberbefehl über ein Observations- corps im Westen und der Kaiser konnte sich nicht darüber täuschen, daß der Fortgang des Krieges die deutschen Heere unvermeidlich gegen ihn gewandt hätte; dem doppelten Kampf in Italien und am Rhein war er nicht ge¬ wachsen, die Nothwendigkeit dieses doppelten Krieges und das Unvermögen ihn aufzunehmen hat er selbst in seiner Rede und im Moniteurartikel vom 9. September offen zugegeben. Die ungarischen Revolutionäre drängten und forderten Erfüllung der gegebenen Zusagen; ließ Napoleon ihnen freies Spiel, so konnte Oestreich in Stücke gehen, aber die losgelassenen Wasser konnten auch den Mann des Staatsstreiches mit wegschwemmen. Endlich steigerten sich die Schwierigkeiten mit Rom täglich, die französischen Waffen mußten dort beschützen, was sie wenige Meilen nördlich vernichten halfen. Wie wenn sich die Ereignisse von Perugia in Rom wiederholten, sollte der General Goyos> die Rolle des Obersten Schmidt spielen? Napoleons scharfer Blick übersah alles dies vollkommen, nur ein plötzlicher Friede konnte aus diesem Labyrinth führen, die Schwierigkeit war, den Kaiser von Oestreich dazu zu vermögen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/152
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/152>, abgerufen am 26.08.2024.