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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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sobald der Rationalismus den dünnen Schleier wegzog, den die ältere Theo¬
logie über den, im Grunde nüchternen.Cultus ausgebreitet hatte.

Diese Entdeckung mußte namentlich in einer Zeit Anstoß geben, wo die
Phantasie nach einer freiern Bewegung strebte, wo die bildende Kunst auf¬
blühte und mit ihr im Bunde das dichterische Vermögen auf plastische Gestal¬
ten ausging. In der Musik hatte das protestantische Bewußtsein sich einen
ebenbürtigen Ausdruck gegeben, Sebastian Bach und Händel hatten das Ge¬
fühl in seinen Tiefen ausgewühlt; mit dem Wort wollte es nicht gelingen, und
so sehr sich Klopstock bemühte, die alte rechtgläubige Dogmatik zu Ehren zu
Gingen, er war doch zu rationalistisch gebildet, um das Göttliche in wirklichen
Gestalten auszuprägen. Die erste feurige Kriegserklärung gegen den bestehen¬
den Cultus war Winckelmanns Kunstgeschichte. Goethe hat sehr richtig bemerkt,
dnß Winckelmann nur darum.Katholik werden konnte, weil er eigentlich ein
Heide war, es war der heidnische Sinn für plastische Schönheit, der an den
Zackten Wänden und der erbaulichen Predigt Anstoß nahm. In diesem Zu¬
sammenhang betrachtet erscheinen Schillers Götter Grichenlcmds nicht mehr
^le ein vereinzelter Stoßseufzer; die Phantasie verlangte nach Nahrung und
suchte sie vergebens bei der Lutherischen Orthodoxie, vergebens beim Natio¬
nalismus. In derselben Zeit beginnt die Reihe der Wunderthäter und Mag-
Netiseurs; man war es müde, die geheimnißvolle Zauberwelt in der abge¬
schlossenen Vergangenheit zu suchen, man wollte sie im Leben gegenwärtig
^aben. Lavater durchstöberte das gesammte Leben nach Zeichen und Wundern,
alten Mystiker, namentlich Jacob Böhme, wurden wieder vorgesucht, wer
^Mittel besaß, pilgerte nach Italien, und wenn man mit der Antike fertig
^ar, so kamen die Madonnen an die Reihe.

Schillers vorübergehender Einfall, der aber, wie wir gezeigt, aus einem
^gemeinen Bedürfniß der Zeit entsprang, wurde durch Friedrich Schlegel zu
°wer Doctrin abgerundet: die Dichtkunst oder die Kunst im Allgemeinen könne
^'se dann wieder aufblühn, wenn die> Religion wieder mit einer umfäng¬
lichen Mythologie und Symbolik ausgestattet werde. Wie man nun diese
Ethologie zu Stande bringen könne, darüber waren die Meinungen getheilt;
^ge traten zum Katholicismus über, namentlich unter den Malern, der
)"en eine ausgedehnte, wenn auch nicht sehr plastische Mythologie darbot;
^dre suchten Hilfe beim transscendentalen Idealismus oder bei der Mystik.
schaffen wurde auf diese Weise nichts, aber durch die Ausdauer und den
^Usaminenhang in dem Ausdruck der Ideen entstand ein vollständiger Um-
det?""? " ^ öffentlichen Meinung, und wer sich zu den wahrhaft Gebil-
zählen wollte, mußte den Nationalismus als eine ganz prosaische, much-
^ und unbefriedigende Glaubensform beachten.

Die Nachwirkungen dieser Stimmung bestehen noch heute fort, obgleich wir


Grenzliotm IV. 1LL9. 18

sobald der Rationalismus den dünnen Schleier wegzog, den die ältere Theo¬
logie über den, im Grunde nüchternen.Cultus ausgebreitet hatte.

Diese Entdeckung mußte namentlich in einer Zeit Anstoß geben, wo die
Phantasie nach einer freiern Bewegung strebte, wo die bildende Kunst auf¬
blühte und mit ihr im Bunde das dichterische Vermögen auf plastische Gestal¬
ten ausging. In der Musik hatte das protestantische Bewußtsein sich einen
ebenbürtigen Ausdruck gegeben, Sebastian Bach und Händel hatten das Ge¬
fühl in seinen Tiefen ausgewühlt; mit dem Wort wollte es nicht gelingen, und
so sehr sich Klopstock bemühte, die alte rechtgläubige Dogmatik zu Ehren zu
Gingen, er war doch zu rationalistisch gebildet, um das Göttliche in wirklichen
Gestalten auszuprägen. Die erste feurige Kriegserklärung gegen den bestehen¬
den Cultus war Winckelmanns Kunstgeschichte. Goethe hat sehr richtig bemerkt,
dnß Winckelmann nur darum.Katholik werden konnte, weil er eigentlich ein
Heide war, es war der heidnische Sinn für plastische Schönheit, der an den
Zackten Wänden und der erbaulichen Predigt Anstoß nahm. In diesem Zu¬
sammenhang betrachtet erscheinen Schillers Götter Grichenlcmds nicht mehr
^le ein vereinzelter Stoßseufzer; die Phantasie verlangte nach Nahrung und
suchte sie vergebens bei der Lutherischen Orthodoxie, vergebens beim Natio¬
nalismus. In derselben Zeit beginnt die Reihe der Wunderthäter und Mag-
Netiseurs; man war es müde, die geheimnißvolle Zauberwelt in der abge¬
schlossenen Vergangenheit zu suchen, man wollte sie im Leben gegenwärtig
^aben. Lavater durchstöberte das gesammte Leben nach Zeichen und Wundern,
alten Mystiker, namentlich Jacob Böhme, wurden wieder vorgesucht, wer
^Mittel besaß, pilgerte nach Italien, und wenn man mit der Antike fertig
^ar, so kamen die Madonnen an die Reihe.

Schillers vorübergehender Einfall, der aber, wie wir gezeigt, aus einem
^gemeinen Bedürfniß der Zeit entsprang, wurde durch Friedrich Schlegel zu
°wer Doctrin abgerundet: die Dichtkunst oder die Kunst im Allgemeinen könne
^'se dann wieder aufblühn, wenn die> Religion wieder mit einer umfäng¬
lichen Mythologie und Symbolik ausgestattet werde. Wie man nun diese
Ethologie zu Stande bringen könne, darüber waren die Meinungen getheilt;
^ge traten zum Katholicismus über, namentlich unter den Malern, der
)"en eine ausgedehnte, wenn auch nicht sehr plastische Mythologie darbot;
^dre suchten Hilfe beim transscendentalen Idealismus oder bei der Mystik.
schaffen wurde auf diese Weise nichts, aber durch die Ausdauer und den
^Usaminenhang in dem Ausdruck der Ideen entstand ein vollständiger Um-
det?""? " ^ öffentlichen Meinung, und wer sich zu den wahrhaft Gebil-
zählen wollte, mußte den Nationalismus als eine ganz prosaische, much-
^ und unbefriedigende Glaubensform beachten.

Die Nachwirkungen dieser Stimmung bestehen noch heute fort, obgleich wir


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[0149] sobald der Rationalismus den dünnen Schleier wegzog, den die ältere Theo¬ logie über den, im Grunde nüchternen.Cultus ausgebreitet hatte. Diese Entdeckung mußte namentlich in einer Zeit Anstoß geben, wo die Phantasie nach einer freiern Bewegung strebte, wo die bildende Kunst auf¬ blühte und mit ihr im Bunde das dichterische Vermögen auf plastische Gestal¬ ten ausging. In der Musik hatte das protestantische Bewußtsein sich einen ebenbürtigen Ausdruck gegeben, Sebastian Bach und Händel hatten das Ge¬ fühl in seinen Tiefen ausgewühlt; mit dem Wort wollte es nicht gelingen, und so sehr sich Klopstock bemühte, die alte rechtgläubige Dogmatik zu Ehren zu Gingen, er war doch zu rationalistisch gebildet, um das Göttliche in wirklichen Gestalten auszuprägen. Die erste feurige Kriegserklärung gegen den bestehen¬ den Cultus war Winckelmanns Kunstgeschichte. Goethe hat sehr richtig bemerkt, dnß Winckelmann nur darum.Katholik werden konnte, weil er eigentlich ein Heide war, es war der heidnische Sinn für plastische Schönheit, der an den Zackten Wänden und der erbaulichen Predigt Anstoß nahm. In diesem Zu¬ sammenhang betrachtet erscheinen Schillers Götter Grichenlcmds nicht mehr ^le ein vereinzelter Stoßseufzer; die Phantasie verlangte nach Nahrung und suchte sie vergebens bei der Lutherischen Orthodoxie, vergebens beim Natio¬ nalismus. In derselben Zeit beginnt die Reihe der Wunderthäter und Mag- Netiseurs; man war es müde, die geheimnißvolle Zauberwelt in der abge¬ schlossenen Vergangenheit zu suchen, man wollte sie im Leben gegenwärtig ^aben. Lavater durchstöberte das gesammte Leben nach Zeichen und Wundern, alten Mystiker, namentlich Jacob Böhme, wurden wieder vorgesucht, wer ^Mittel besaß, pilgerte nach Italien, und wenn man mit der Antike fertig ^ar, so kamen die Madonnen an die Reihe. Schillers vorübergehender Einfall, der aber, wie wir gezeigt, aus einem ^gemeinen Bedürfniß der Zeit entsprang, wurde durch Friedrich Schlegel zu °wer Doctrin abgerundet: die Dichtkunst oder die Kunst im Allgemeinen könne ^'se dann wieder aufblühn, wenn die> Religion wieder mit einer umfäng¬ lichen Mythologie und Symbolik ausgestattet werde. Wie man nun diese Ethologie zu Stande bringen könne, darüber waren die Meinungen getheilt; ^ge traten zum Katholicismus über, namentlich unter den Malern, der )"en eine ausgedehnte, wenn auch nicht sehr plastische Mythologie darbot; ^dre suchten Hilfe beim transscendentalen Idealismus oder bei der Mystik. schaffen wurde auf diese Weise nichts, aber durch die Ausdauer und den ^Usaminenhang in dem Ausdruck der Ideen entstand ein vollständiger Um- det?""? " ^ öffentlichen Meinung, und wer sich zu den wahrhaft Gebil- zählen wollte, mußte den Nationalismus als eine ganz prosaische, much- ^ und unbefriedigende Glaubensform beachten. Die Nachwirkungen dieser Stimmung bestehen noch heute fort, obgleich wir Grenzliotm IV. 1LL9. 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/149>, abgerufen am 26.08.2024.