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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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wirklich zur Religion gehöre und was nicht. Wenn nun die rechtgläubigen
Gegner des Rationalismus aus dieser Behauptung die letzte Consequenz zogen,
daß unter diesen Umständen die Offenbarung überhaupt etwas Ueberflüssiges
sei, so zuckte Kant die Achseln und hatte nichts dagegen einzuwenden.

Die größte Schwierigkeit bei dieser wohlmeinenden Auslegung, welche die
Identität der Vernunft durch die Uebereinstimmung der Bibel mit dem gegen¬
wärtigen gebildeten Bewußtsein nachweisen wollte, machten die zahlreichen
Wunder. Hier kam den Rationalisten der Umstand zu Hilfe, daß Christus
selbst auf die Wunder kein großes Gewicht legte, daß er vielmehr die Leute
tadelte, wenn sie nicht glaubten ohne Zeichen und Wunder zu sehen. In
der Zurückführung der Wunder aus Naturereignisse hat Paulus das Mögliche
geleistet, der z. B. das Wandeln Jesu auf dem Meer als ein Wandeln am
Meer interpretirte. Wenn Lavater diese Auslegung als dumm und frech be¬
zeichnete, so kann man ihm. von seinem Standpunkt aus. nicht Unrecht ge¬
ben. Andre gingen nicht so weit; sie betrachteten die damals geschehenen
Wunder als eine Accommodation an den Zeitgeist, gleichsam als einen Hokus¬
pokus, der dem rohen Volk der Hebräer vorgemacht werden mußte, um den
höhern Wahrheiten der Offenbarung Eingang zu verschaffen. Uns gegenüber,
setzten sie im Stillen hinzu, hätte Gott dergleichen nicht nöthig gehabt. Ueber¬
haupt mußte man bald zu der Untersuchung geführt werden, welche Beweiskraft
denn eigentlich in einem Wunder liegen kann? Wenn mal> uns vor unsern
Augen Holz in Eisen verwandelt oder einem Menschen den abgeschlagenen
Kopf wieder ansetzt, so wird man uns zwar dadurch, vorausgesetzt, daß keine
Taschenspielcrei obwaltet, überführen, daß unsre bisherige Auffassung des
Naturgesetzes auf schwachen Füßen steht; wenn man aber weiter gehn und uns
dadurch beweisen will, daß unsre Rechtsbegriffe irrig sind, daß was wir bisher für
böse gehalten gut sei oder umgekehrt, so werden wir diese Logik nicht gelten
lassen. Und dieser Nachweis ist doch bei einer Offenbarung die Hauptsache-
Nimmt man doch neben den göttlichen Wundern auch englische und teuflische an,
"von welchen aber, setzt Kant hinzu, die letztem eigentlich nur in Nachfrage kom¬
men, weil die guten Engel (ich weiß nicht warum) wenig oder gar nichts von
sich zu reden geben." ..Es mag sein, fährt er fort, daß die Person des Lehrers
der alleinigen für alle Welten giltigen Religion ein Geheimniß, daß seine
Erscheinung auf Erden so wie seine Entrückung von derselben, daß sein thatcn-
volles Leben und Leiden lauter Wunder, ja gar. daß die Geschichte, welche
die Erzählung aller jener Wunder beglaubigen soll, selbst auch ein Wunder (über¬
natürliche Offenbarung) sei. so können wir sie insgesammt auf ihrem Werth
beruhen lassen, ja auch die Hülle noch ehren, welche gedient hat. eine Lehre,
die unauslöschlich in jeder Ceele aufbehalten ist und keiner Wunder bedarf,
öffentlich in Gang zu bringen; wenn wir nur. den Gebrauch dieser historische"


wirklich zur Religion gehöre und was nicht. Wenn nun die rechtgläubigen
Gegner des Rationalismus aus dieser Behauptung die letzte Consequenz zogen,
daß unter diesen Umständen die Offenbarung überhaupt etwas Ueberflüssiges
sei, so zuckte Kant die Achseln und hatte nichts dagegen einzuwenden.

Die größte Schwierigkeit bei dieser wohlmeinenden Auslegung, welche die
Identität der Vernunft durch die Uebereinstimmung der Bibel mit dem gegen¬
wärtigen gebildeten Bewußtsein nachweisen wollte, machten die zahlreichen
Wunder. Hier kam den Rationalisten der Umstand zu Hilfe, daß Christus
selbst auf die Wunder kein großes Gewicht legte, daß er vielmehr die Leute
tadelte, wenn sie nicht glaubten ohne Zeichen und Wunder zu sehen. In
der Zurückführung der Wunder aus Naturereignisse hat Paulus das Mögliche
geleistet, der z. B. das Wandeln Jesu auf dem Meer als ein Wandeln am
Meer interpretirte. Wenn Lavater diese Auslegung als dumm und frech be¬
zeichnete, so kann man ihm. von seinem Standpunkt aus. nicht Unrecht ge¬
ben. Andre gingen nicht so weit; sie betrachteten die damals geschehenen
Wunder als eine Accommodation an den Zeitgeist, gleichsam als einen Hokus¬
pokus, der dem rohen Volk der Hebräer vorgemacht werden mußte, um den
höhern Wahrheiten der Offenbarung Eingang zu verschaffen. Uns gegenüber,
setzten sie im Stillen hinzu, hätte Gott dergleichen nicht nöthig gehabt. Ueber¬
haupt mußte man bald zu der Untersuchung geführt werden, welche Beweiskraft
denn eigentlich in einem Wunder liegen kann? Wenn mal> uns vor unsern
Augen Holz in Eisen verwandelt oder einem Menschen den abgeschlagenen
Kopf wieder ansetzt, so wird man uns zwar dadurch, vorausgesetzt, daß keine
Taschenspielcrei obwaltet, überführen, daß unsre bisherige Auffassung des
Naturgesetzes auf schwachen Füßen steht; wenn man aber weiter gehn und uns
dadurch beweisen will, daß unsre Rechtsbegriffe irrig sind, daß was wir bisher für
böse gehalten gut sei oder umgekehrt, so werden wir diese Logik nicht gelten
lassen. Und dieser Nachweis ist doch bei einer Offenbarung die Hauptsache-
Nimmt man doch neben den göttlichen Wundern auch englische und teuflische an,
„von welchen aber, setzt Kant hinzu, die letztem eigentlich nur in Nachfrage kom¬
men, weil die guten Engel (ich weiß nicht warum) wenig oder gar nichts von
sich zu reden geben." ..Es mag sein, fährt er fort, daß die Person des Lehrers
der alleinigen für alle Welten giltigen Religion ein Geheimniß, daß seine
Erscheinung auf Erden so wie seine Entrückung von derselben, daß sein thatcn-
volles Leben und Leiden lauter Wunder, ja gar. daß die Geschichte, welche
die Erzählung aller jener Wunder beglaubigen soll, selbst auch ein Wunder (über¬
natürliche Offenbarung) sei. so können wir sie insgesammt auf ihrem Werth
beruhen lassen, ja auch die Hülle noch ehren, welche gedient hat. eine Lehre,
die unauslöschlich in jeder Ceele aufbehalten ist und keiner Wunder bedarf,
öffentlich in Gang zu bringen; wenn wir nur. den Gebrauch dieser historische"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/140>, abgerufen am 25.08.2024.