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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Talent, der aber nie von seiner Insel hinweggekommen war und nichts, was ihn
fördern konnte, gesehen hatte, mit allerlei sinnreichen Holz- und Metallarbeiten
beschäftigte. Die Einsiedelei in dem Thurme, dessen unteres Stockwerk er be¬
wohnte, sagte dem Humor des originellen Kauzes vortrefflich zu. Die Frem¬
den, welche ihn besuchten, wurden nicht nur durch den Wunsch, die innere
Einrichtung eines Leuchtthurms kennen zu lernen, herbeigeführt, fordernder
alte Lampcnwürter selber, der eine heitere Laune und eine nicht geringere
natürliche Beredsamkeit mit einer feinen Beobachtungsgabe und einer sehr ge¬
nauen Kenntniß der Insel verband, übte auf sie eine unverkennbare Anziehungs¬
kraft, und jedermann, den er auf seinen Thurm führte, pries ihn als vor¬
trefflichen Cicerone. Eines Abens, als ich mit ihm auf der Gallerie seines
Thurmes stand, kam, wie schon oft zuvor, die Rede auf das Seeleben, und
der Kleine sprach: "Ein rechtes Münnergeschlecht, diese Schiffer! Ihren Berus,
so gefährlich er auch sein mag, lieben sie über alles. Sogar die Weiber
werde" in der Seeluft zu Männern. Sehen Sie da unten das schwarze Kuff-
schiff, das eben seine Segel zum Trocknen aufspannt? Zwei Schifferburschen
hängen in seinen Raaen. Die Kuss führt den Namen Eintracht, wie am
Stern in goldener Schrift zu lesen steht. Der Schiffer, dem sie gehört, ist
Hinrich Schmers aus Brake, und die zwei Bursche in den Raaen sind
-- seine Töchter. Ja, sehen Sie mich nur mit großen Augen an. Seine
Töchter, sag' ich Ihnen. Voriges Jahr verlor Schmers die beiden Söhne,
welche auf der Ueberfahrt von Alexen nach Bremer Hafen mit einem Boot
umschlugen und in der Weser ertranken. Schmers Haar wurde in einer Nacht
schneeweiß vor Schreck und Gram. ""Meine zwei Arme sind mir abgeschlagen
sagte er; ich bin ein völlig zu Grunde gerichteter Mann."" Da traten seine
zwei Töchter zu ihm und sprachen; ""Vater, wir sind groß und stark und
wohl im Stande, Mannesarbeit zu thun. Du weißt auch, Schisferhanthierung
war unsere Lust von Klein auf. Laß uns an die Stelle der Brüder treten.""
"Anfangs schüttelte der Alte den Kopf zu dem Vorschlage, dann aber ließ er
sich auf eine Probe ein. Die Mädchen legten Schisserkleidung an und erlern¬
ten mit Fleiß alles, was zum Geschäft gehört. Jetzt sind sie ganz so tüchtig,
wie ihre Brüder waren, und Hinrich Schwers findet in allen Häfen der Nord-
uud Ostsee dasselbe Vertrauen wie zur Zeit, da seine Söhne noch lebten.
Schade nur, dyß es mit seinem Schiff auf die Neige geht. Aber der Großherzog,
der ihn und die beiden Mädchen neulich zu Brake gesehen hat, will ihm
Mit ein paar hundert Pistolen unter die Arme greifen, und nun läßt sich
Schwers, wie ich höre, eine neue Küff bauen." Als der Lampenwärtcr diese
Worte gesprochen hatte, schlüpfte er auf seinen weichen Pantoffeln aus Sahl-
leiste hinweg, und kam gleich darauf mit einem großen Fernrohr wieder.
"Schauen Sie durch das Ding da die zwei fixen Dirnen an, sagte er. Sie


Talent, der aber nie von seiner Insel hinweggekommen war und nichts, was ihn
fördern konnte, gesehen hatte, mit allerlei sinnreichen Holz- und Metallarbeiten
beschäftigte. Die Einsiedelei in dem Thurme, dessen unteres Stockwerk er be¬
wohnte, sagte dem Humor des originellen Kauzes vortrefflich zu. Die Frem¬
den, welche ihn besuchten, wurden nicht nur durch den Wunsch, die innere
Einrichtung eines Leuchtthurms kennen zu lernen, herbeigeführt, fordernder
alte Lampcnwürter selber, der eine heitere Laune und eine nicht geringere
natürliche Beredsamkeit mit einer feinen Beobachtungsgabe und einer sehr ge¬
nauen Kenntniß der Insel verband, übte auf sie eine unverkennbare Anziehungs¬
kraft, und jedermann, den er auf seinen Thurm führte, pries ihn als vor¬
trefflichen Cicerone. Eines Abens, als ich mit ihm auf der Gallerie seines
Thurmes stand, kam, wie schon oft zuvor, die Rede auf das Seeleben, und
der Kleine sprach: „Ein rechtes Münnergeschlecht, diese Schiffer! Ihren Berus,
so gefährlich er auch sein mag, lieben sie über alles. Sogar die Weiber
werde» in der Seeluft zu Männern. Sehen Sie da unten das schwarze Kuff-
schiff, das eben seine Segel zum Trocknen aufspannt? Zwei Schifferburschen
hängen in seinen Raaen. Die Kuss führt den Namen Eintracht, wie am
Stern in goldener Schrift zu lesen steht. Der Schiffer, dem sie gehört, ist
Hinrich Schmers aus Brake, und die zwei Bursche in den Raaen sind
— seine Töchter. Ja, sehen Sie mich nur mit großen Augen an. Seine
Töchter, sag' ich Ihnen. Voriges Jahr verlor Schmers die beiden Söhne,
welche auf der Ueberfahrt von Alexen nach Bremer Hafen mit einem Boot
umschlugen und in der Weser ertranken. Schmers Haar wurde in einer Nacht
schneeweiß vor Schreck und Gram. „„Meine zwei Arme sind mir abgeschlagen
sagte er; ich bin ein völlig zu Grunde gerichteter Mann."" Da traten seine
zwei Töchter zu ihm und sprachen; „„Vater, wir sind groß und stark und
wohl im Stande, Mannesarbeit zu thun. Du weißt auch, Schisferhanthierung
war unsere Lust von Klein auf. Laß uns an die Stelle der Brüder treten.""
„Anfangs schüttelte der Alte den Kopf zu dem Vorschlage, dann aber ließ er
sich auf eine Probe ein. Die Mädchen legten Schisserkleidung an und erlern¬
ten mit Fleiß alles, was zum Geschäft gehört. Jetzt sind sie ganz so tüchtig,
wie ihre Brüder waren, und Hinrich Schwers findet in allen Häfen der Nord-
uud Ostsee dasselbe Vertrauen wie zur Zeit, da seine Söhne noch lebten.
Schade nur, dyß es mit seinem Schiff auf die Neige geht. Aber der Großherzog,
der ihn und die beiden Mädchen neulich zu Brake gesehen hat, will ihm
Mit ein paar hundert Pistolen unter die Arme greifen, und nun läßt sich
Schwers, wie ich höre, eine neue Küff bauen." Als der Lampenwärtcr diese
Worte gesprochen hatte, schlüpfte er auf seinen weichen Pantoffeln aus Sahl-
leiste hinweg, und kam gleich darauf mit einem großen Fernrohr wieder.
„Schauen Sie durch das Ding da die zwei fixen Dirnen an, sagte er. Sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/124>, abgerufen am 25.08.2024.