Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.die Gemeinden unsres Thales gleichsam als viertes Glied in ihre Eidgenossen¬ Nun brachte es die Reformation bald als eine ihrer durchgreifendsten die Gemeinden unsres Thales gleichsam als viertes Glied in ihre Eidgenossen¬ Nun brachte es die Reformation bald als eine ihrer durchgreifendsten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0098" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107684"/> <p xml:id="ID_300" prev="#ID_299"> die Gemeinden unsres Thales gleichsam als viertes Glied in ihre Eidgenossen¬<lb/> schaft auf. ein Verhältniß, das sich freilich bald wesentlich zum Nachtheil der<lb/> Neuhinzugetretenen ändern sollte. Zunächst wurde von Franz dem Ersten von<lb/> Frankreich in dem ewigen Frieden von Freiburg (1516) die Lostrcnnung des<lb/> Veltlin vom Herzogthum Mailand feierlich anerkannt; die nachfolgenden In¬<lb/> haber des letzteren bedurften aber ebenso wie jener die Gunst der Schweizer<lb/> und Graubündtner viel zu sehr, um auf eine Rückgabe des Thales zu dringen,<lb/> wenn gleich die Hoffnung darauf nur hinausgeschoben, nicht aufgegeben wurde.<lb/> In den zwanziger Jahren machte der kühne Freibeuter Giciniacomo von Me¬<lb/> dici (damals weit bekannt als „der Castellan von Musso"), welchen der von Karl<lb/> dem Fünften in Mailand eingesetzte Francesco Sforza mit dem Castell Musso<lb/> am westlichen Ufer des Comcrsees belehnt hatte, mit oder ohne Auftrag von<lb/> Mailand verschiedene Versuche, das Thal zu gewinnen, und seine Pläne gingen<lb/> wol so weit, daß er daran dachte, aus dem Veltlin und den anliegenden Land¬<lb/> schaften sich eine eigne Herrschaft von Mailand unabhängig zu gründen. Aber<lb/> die Bündner waren wol auf ihrer Hut und ließen jeden Versuch scheitern,<lb/> zugleich sorgte man auch in Mailand dafür, daß der gefährliche Abenteurer<lb/> von einem Posten entfernt wurde, wo er nach beiden Seiten hin viel Schaden<lb/> anrichten konnte. Gianincomo trat dann in die Dienste Karls des Fünften,<lb/> in dessen Kriegen er weiterhin eine bedeutende und blutige Rolle gespielt hat,<lb/> den er aber zu einem ernstlichen Unternehmen gegen das Veltlin immer ver¬<lb/> gebens zu bereden suchte.</p><lb/> <p xml:id="ID_301" next="#ID_302"> Nun brachte es die Reformation bald als eine ihrer durchgreifendsten<lb/> Folgen mit sich, daß die religiösen Differenzen allenthalben Anlaß zu neuen<lb/> politischen Complicationen gaben, welche aus dem Streite der Bekenntnisse<lb/> theils wirklich hervorgingen, theils ihren Vorwand davon hernahmen. In<lb/> Graubündten hatte die Reformation Zwinglis von Zürich aus schon in den<lb/> ersten Jahren Eingang gefunden, besonders in dem Zehngerichtenbund und<lb/> im Gotteshausbund; in den Gegenden, wo die romanische Sprache vorherrschte,<lb/> machte es lange Schwierigkeit, daß diese bisher zu literarischem Gebrauch<lb/> noch gar nicht verwendet worden war und daher die schriftliche Verbreitung<lb/> der neuen Lehren hier erst sehr allmälig vor sich gehn konnte; im Jahre 1552<lb/> erst erschien in Poschiavo eine Uebersetzung von Comanders deutschem Kate¬<lb/> chismus — das erste Buch, das in rhaetischer Sprache gedruckt ward. „Bei<lb/> feinden Anblick." schreibt >um Zeitgenosse, „standen die Graubündner erstarrt vor<lb/> Verwunderung wie die alten Israeliten beim Anblick des Manna." Man<lb/> hatte bis dahin geweint, daß sich in dieser Sprache gar nichts schreiben ließe.<lb/> Begreiflich nun, daß auch im Veltlin die reformirten Lehren schnellen Ein¬<lb/> gang fanden ; man weiß, wie diese selbst in Italien eine Zeit lang aller Or¬<lb/> ten offne und heimliche Anhänger zählten; die meisten von ihnen, wenn sie der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0098]
die Gemeinden unsres Thales gleichsam als viertes Glied in ihre Eidgenossen¬
schaft auf. ein Verhältniß, das sich freilich bald wesentlich zum Nachtheil der
Neuhinzugetretenen ändern sollte. Zunächst wurde von Franz dem Ersten von
Frankreich in dem ewigen Frieden von Freiburg (1516) die Lostrcnnung des
Veltlin vom Herzogthum Mailand feierlich anerkannt; die nachfolgenden In¬
haber des letzteren bedurften aber ebenso wie jener die Gunst der Schweizer
und Graubündtner viel zu sehr, um auf eine Rückgabe des Thales zu dringen,
wenn gleich die Hoffnung darauf nur hinausgeschoben, nicht aufgegeben wurde.
In den zwanziger Jahren machte der kühne Freibeuter Giciniacomo von Me¬
dici (damals weit bekannt als „der Castellan von Musso"), welchen der von Karl
dem Fünften in Mailand eingesetzte Francesco Sforza mit dem Castell Musso
am westlichen Ufer des Comcrsees belehnt hatte, mit oder ohne Auftrag von
Mailand verschiedene Versuche, das Thal zu gewinnen, und seine Pläne gingen
wol so weit, daß er daran dachte, aus dem Veltlin und den anliegenden Land¬
schaften sich eine eigne Herrschaft von Mailand unabhängig zu gründen. Aber
die Bündner waren wol auf ihrer Hut und ließen jeden Versuch scheitern,
zugleich sorgte man auch in Mailand dafür, daß der gefährliche Abenteurer
von einem Posten entfernt wurde, wo er nach beiden Seiten hin viel Schaden
anrichten konnte. Gianincomo trat dann in die Dienste Karls des Fünften,
in dessen Kriegen er weiterhin eine bedeutende und blutige Rolle gespielt hat,
den er aber zu einem ernstlichen Unternehmen gegen das Veltlin immer ver¬
gebens zu bereden suchte.
Nun brachte es die Reformation bald als eine ihrer durchgreifendsten
Folgen mit sich, daß die religiösen Differenzen allenthalben Anlaß zu neuen
politischen Complicationen gaben, welche aus dem Streite der Bekenntnisse
theils wirklich hervorgingen, theils ihren Vorwand davon hernahmen. In
Graubündten hatte die Reformation Zwinglis von Zürich aus schon in den
ersten Jahren Eingang gefunden, besonders in dem Zehngerichtenbund und
im Gotteshausbund; in den Gegenden, wo die romanische Sprache vorherrschte,
machte es lange Schwierigkeit, daß diese bisher zu literarischem Gebrauch
noch gar nicht verwendet worden war und daher die schriftliche Verbreitung
der neuen Lehren hier erst sehr allmälig vor sich gehn konnte; im Jahre 1552
erst erschien in Poschiavo eine Uebersetzung von Comanders deutschem Kate¬
chismus — das erste Buch, das in rhaetischer Sprache gedruckt ward. „Bei
feinden Anblick." schreibt >um Zeitgenosse, „standen die Graubündner erstarrt vor
Verwunderung wie die alten Israeliten beim Anblick des Manna." Man
hatte bis dahin geweint, daß sich in dieser Sprache gar nichts schreiben ließe.
Begreiflich nun, daß auch im Veltlin die reformirten Lehren schnellen Ein¬
gang fanden ; man weiß, wie diese selbst in Italien eine Zeit lang aller Or¬
ten offne und heimliche Anhänger zählten; die meisten von ihnen, wenn sie der
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